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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche consonanten. gutturales.
reigen:zweigen Ben. 31. leigen:heigen:verseigen (co-
lare) M. S. 1, 45a schreigen (? fragm. 29b) meigen:rei-
gen troj. 119b] nur kein völliges g sprechen, da mei-
ger nicht auf veiger; meigen nicht auf zeigen reimt.
Tadel verdient aber die schreibung seigen, meigen,
neigen, so natürlich sie aus dem falschen seien, weien
(f. saejen, waejen) entsprang; nie wird ein angebliches
weien weigen (flare) auf weien, weigen (hinnire),
zweien, zweigen, reimen; ebensowenig fallen maejen
(secare) und meijen (majum) zusammen. Das rom. oi
scheint dem deutschen ei meistens gleich (s. 354.) wes-
halb meijen : gleijen (M. S. 2, 22b) st. gloijen; hieraus
erklären sich die reime und schreibungen beige, beije,
boije, boie (catena) schoige, troige, schoije, troije,
schoie, troie. -- d) solch ein doppelter ausdruck des
(in der regel ganz syncopierten) i findet denn auch
zuweilen nach l. n. r in den unter a. besprochenen
fällen statt, vgl. Maria 5. herige (d. i. herije) st. herje,
herge (exercitu) und tiligen (delere, schon bei N. ti-
ligon) f. tiljen, tilgen; diese erweiterungen sind im
angels. weit häufiger (oben s. 260.). Zuweilen bekom-
men fremde wörter, die gewöhnlich auf -eie endigen,
ein solches -ige, vgl. venige im reim auf menige
(s. 400.) und materige auf das vorhin angeführte herige;
wirkliche bildungsendung ist vorhanden in endigen
(finire) schadgen (schädigen, nocere) etc. Weitere
beispiele sind aber bige (apis, f. beie) d. h. bije, nicht
reimend auf sige, pflige (außer im niederd. Morolf
58a:wige); vigent (inimicus f. veient) frigen (liberum
f. freien) s. oben s. 93. 94. Allmählig scheinen jedoch
auch die erweiterten formen ein langes ei und wirk-
liches g angenommen zu haben, da sich ameige, gefrei-
get auf zweige, schreiget (M. S. 1, 204a) reimen laßen
und arzeneige:dreige (M. S. 1, 126a) klingen.
3) auslautend kein j, noch weniger g seinerstatt.

(H) vom anlaut bloß zu bemerken, daß ihn im
verlauf des 13. jahrh. ungehörig das verb. heischen, hiesch
(exigere) annimmt (vgl. Barl. 58.); die ältesten quellen
haben noch das richtige eischen, iesch (Parc. 30c 53a 54c)
was freischen, friesch (aus vereischen) bestätigt; ähnlich
das spätere heidechse neben eidechse (lacerta), alle solche
fälle fordern eine vernehmliche spirans des inlauts, die
in der schnelle der aussprache den anlaut ergreift und
darauf haftet (oben s. 188. not. **). -- Auslautend wan-

I. mittelhochdeutſche conſonanten. gutturales.
reigen:zweigen Ben. 31. leigen:heigen:verſeigen (co-
lare) M. S. 1, 45a ſchreigen (? fragm. 29b) meigen:rei-
gen troj. 119b] nur kein völliges g ſprechen, da mei-
ger nicht auf veiger; meigen nicht auf zeigen reimt.
Tadel verdient aber die ſchreibung ſeigen, meigen,
neigen, ſo natürlich ſie aus dem falſchen ſeien, weien
(f. ſæjen, wæjen) entſprang; nie wird ein angebliches
weien weigen (flare) auf weien, weigen (hinnire),
zweien, zweigen, reimen; ebenſowenig fallen mæjen
(ſecare) und meijen (majum) zuſammen. Das rom. oi
ſcheint dem deutſchen ei meiſtens gleich (ſ. 354.) wes-
halb meijen : gleijen (M. S. 2, 22b) ſt. gloijen; hieraus
erklären ſich die reime und ſchreibungen beige, beije,
boije, boie (catena) ſchoige, troige, ſchoije, troije,
ſchoie, troie. — δ) ſolch ein doppelter ausdruck des
(in der regel ganz ſyncopierten) i findet denn auch
zuweilen nach l. n. r in den unter α. beſprochenen
fällen ſtatt, vgl. Maria 5. herige (d. i. herije) ſt. herje,
herge (exercitu) und tiligen (delere, ſchon bei N. ti-
ligôn) f. tiljen, tilgen; dieſe erweiterungen ſind im
angelſ. weit häufiger (oben ſ. 260.). Zuweilen bekom-
men fremde wörter, die gewöhnlich auf -îe endigen,
ein ſolches -ige, vgl. venige im reim auf menige
(ſ. 400.) und mâterige auf das vorhin angeführte herige;
wirkliche bildungsendung iſt vorhanden in endigen
(finire) ſchadgen (ſchädigen, nocere) etc. Weitere
beiſpiele ſind aber bige (apis, f. bîe) d. h. bije, nicht
reimend auf ſige, pflige (außer im niederd. Morolf
58a:wige); vigent (inimicus f. vîent) frigen (liberum
f. frîen) ſ. oben ſ. 93. 94. Allmählig ſcheinen jedoch
auch die erweiterten formen ein langes î und wirk-
liches g angenommen zu haben, da ſich âmîge, gefrî-
get auf zwîge, ſchrîget (M. S. 1, 204a) reimen laßen
und arzenîge:drîge (M. S. 1, 126a) klingen.
3) auslautend kein j, noch weniger g ſeinerſtatt.

(H) vom anlaut bloß zu bemerken, daß ihn im
verlauf des 13. jahrh. ungehörig das verb. heiſchen, hieſch
(exigere) annimmt (vgl. Barl. 58.); die älteſten quellen
haben noch das richtige eiſchen, ieſch (Parc. 30c 53a 54c)
was freiſchen, frieſch (aus vereiſchen) beſtätigt; ähnlich
das ſpätere heidechſe neben eidechſe (lacerta), alle ſolche
fälle fordern eine vernehmliche ſpirans des inlauts, die
in der ſchnelle der ausſprache den anlaut ergreift und
darauf haftet (oben ſ. 188. not. **). — Auslautend wan-

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[437/0463] I. mittelhochdeutſche conſonanten. gutturales. reigen:zweigen Ben. 31. leigen:heigen:verſeigen (co- lare) M. S. 1, 45a ſchreigen (? fragm. 29b) meigen:rei- gen troj. 119b] nur kein völliges g ſprechen, da mei- ger nicht auf veiger; meigen nicht auf zeigen reimt. Tadel verdient aber die ſchreibung ſeigen, meigen, neigen, ſo natürlich ſie aus dem falſchen ſeien, weien (f. ſæjen, wæjen) entſprang; nie wird ein angebliches weien weigen (flare) auf weien, weigen (hinnire), zweien, zweigen, reimen; ebenſowenig fallen mæjen (ſecare) und meijen (majum) zuſammen. Das rom. oi ſcheint dem deutſchen ei meiſtens gleich (ſ. 354.) wes- halb meijen : gleijen (M. S. 2, 22b) ſt. gloijen; hieraus erklären ſich die reime und ſchreibungen beige, beije, boije, boie (catena) ſchoige, troige, ſchoije, troije, ſchoie, troie. — δ) ſolch ein doppelter ausdruck des (in der regel ganz ſyncopierten) i findet denn auch zuweilen nach l. n. r in den unter α. beſprochenen fällen ſtatt, vgl. Maria 5. herige (d. i. herije) ſt. herje, herge (exercitu) und tiligen (delere, ſchon bei N. ti- ligôn) f. tiljen, tilgen; dieſe erweiterungen ſind im angelſ. weit häufiger (oben ſ. 260.). Zuweilen bekom- men fremde wörter, die gewöhnlich auf -îe endigen, ein ſolches -ige, vgl. venige im reim auf menige (ſ. 400.) und mâterige auf das vorhin angeführte herige; wirkliche bildungsendung iſt vorhanden in endigen (finire) ſchadgen (ſchädigen, nocere) etc. Weitere beiſpiele ſind aber bige (apis, f. bîe) d. h. bije, nicht reimend auf ſige, pflige (außer im niederd. Morolf 58a:wige); vigent (inimicus f. vîent) frigen (liberum f. frîen) ſ. oben ſ. 93. 94. Allmählig ſcheinen jedoch auch die erweiterten formen ein langes î und wirk- liches g angenommen zu haben, da ſich âmîge, gefrî- get auf zwîge, ſchrîget (M. S. 1, 204a) reimen laßen und arzenîge:drîge (M. S. 1, 126a) klingen. 3) auslautend kein j, noch weniger g ſeinerſtatt. (H) vom anlaut bloß zu bemerken, daß ihn im verlauf des 13. jahrh. ungehörig das verb. heiſchen, hieſch (exigere) annimmt (vgl. Barl. 58.); die älteſten quellen haben noch das richtige eiſchen, ieſch (Parc. 30c 53a 54c) was freiſchen, frieſch (aus vereiſchen) beſtätigt; ähnlich das ſpätere heidechſe neben eidechſe (lacerta), alle ſolche fälle fordern eine vernehmliche ſpirans des inlauts, die in der ſchnelle der ausſprache den anlaut ergreift und darauf haftet (oben ſ. 188. not. **). — Auslautend wan-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/463>, abgerufen am 17.06.2024.