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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. übersicht der consonanten.

Die vier liquidas sind unwandelbar, ihr flüßiges
element erhält sie gerade aufrecht in aller gewaltsamen
erschütterung; mit ihnen tragen sich bloß einzelne ver-
tauschungen, versetzungen, ausstoßungen, geminationen
zu, deren ungeachtet ihre wesentliche bedeutung die-
selbe bleibt d. h. wenn schon z. b. für chirche zuwei-
len chilche erscheint, stehen doch in allen übrigen fäl-
len r und l. grundverschieden. Zu merken:

1) einerseits l und r in näherer beziehung aufeinander,
andrerseits m und n. Im fall des wechsels ist m das
frühere, feinere; n das spätere, gröbere (vgl. s. 386.
387.). Umgekehrt mag das härtere r älter, das wei-
chere l jünger seyn. m steht in besonderem bezug
auf die lippenlaute, n auf die zungenlaute (vgl. s. 536.)
daher das hochd. au, ou vor m und lab., o vor n und
ling. (s. 100.); l und r verbinden sich gleichgern mit
lab. ling. und gutt. -- l und r lösen sich bisweilen in
u und i auf (und könnten darum halbvocale heißen);
niemahls m und n, doch ließe sich der einfluß des
ausfallenden n auf den vorstehenden voc. vergleichen
(gas f. gans).
2) in der wichtigen berührung des r mit s, der verbin-
dungen rd mit dd und sd (goth. zd) erscheint r, rd
als jüngere, allmählig aus s, sd erwachsene form (vgl.
s. 64. 65. 121. 167. 210. 244. 305. 317. 343. 387. 416.).

Gleich den liquiden laufen die drei spiranten v. h.
s. wesentlich unverändert durch alle deutsche mundar-
ten. Ihre innere verwandtschaft folgere ich theils aus
dem vor ihnen eintretenden e statt ei (s. 91.) o statt au
(s. 94.) theils aus den übergängen zwischen h und v, w
(s. 148. 403.) h und s (s. 318. 416.) und der berührung
der aspiration mit der assibilation (th. ts. z); zwischen
v. w und s, kein unmittelbarer wechsel; h und v, die
leisesten aller cons., fallen zuweilen unersetzt aus, selbst
anlautend und zumahl vor liquiden. --

Ganz anders verhält es sich mit den übrigen conso-
nanten, ein merklicher gegensatz zwischen den hoch-
deutschen und allen anderen mundarten wird offenbar.
Im labial-, lingual-, guttural-laut entspricht die goth.
(sächs. fries. nord.) ten. der hochd. asp.; die goth. med.
der hochd. ten.; die goth. asp. der hochd. media. Das
einzelne stellt sich so vor augen:

goth. P. B. F.T. D. th.K. G. .
alth. F. P. B,(V)Z. T. D.CH. K. G.

I. überſicht der conſonanten.

Die vier liquidas ſind unwandelbar, ihr flüßiges
element erhält ſie gerade aufrecht in aller gewaltſamen
erſchütterung; mit ihnen tragen ſich bloß einzelne ver-
tauſchungen, verſetzungen, ausſtoßungen, geminationen
zu, deren ungeachtet ihre weſentliche bedeutung die-
ſelbe bleibt d. h. wenn ſchon z. b. für chirche zuwei-
len chilche erſcheint, ſtehen doch in allen übrigen fäl-
len r und l. grundverſchieden. Zu merken:

1) einerſeits l und r in näherer beziehung aufeinander,
andrerſeits m und n. Im fall des wechſels iſt m das
frühere, feinere; n das ſpätere, gröbere (vgl. ſ. 386.
387.). Umgekehrt mag das härtere r älter, das wei-
chere l jünger ſeyn. m ſteht in beſonderem bezug
auf die lippenlaute, n auf die zungenlaute (vgl. ſ. 536.)
daher das hochd. au, ou vor m und lab., ô vor n und
ling. (ſ. 100.); l und r verbinden ſich gleichgern mit
lab. ling. und gutt. — l und r löſen ſich bisweilen in
u und i auf (und könnten darum halbvocale heißen);
niemahls m und n, doch ließe ſich der einfluß des
ausfallenden n auf den vorſtehenden voc. vergleichen
(gâs f. gans).
2) in der wichtigen berührung des r mit ſ, der verbin-
dungen rd mit dd und ſd (goth. zd) erſcheint r, rd
als jüngere, allmählig aus ſ, ſd erwachſene form (vgl.
ſ. 64. 65. 121. 167. 210. 244. 305. 317. 343. 387. 416.).

Gleich den liquiden laufen die drei ſpiranten v. h.
ſ. weſentlich unverändert durch alle deutſche mundar-
ten. Ihre innere verwandtſchaft folgere ich theils aus
dem vor ihnen eintretenden ê ſtatt ei (ſ. 91.) ô ſtatt au
(ſ. 94.) theils aus den übergängen zwiſchen h und v, w
(ſ. 148. 403.) h und ſ (ſ. 318. 416.) und der berührung
der aſpiration mit der aſſibilation (th. ts. z); zwiſchen
v. w und ſ, kein unmittelbarer wechſel; h und v, die
leiſeſten aller conſ., fallen zuweilen unerſetzt aus, ſelbſt
anlautend und zumahl vor liquiden. —

Ganz anders verhält es ſich mit den übrigen conſo-
nanten, ein merklicher gegenſatz zwiſchen den hoch-
deutſchen und allen anderen mundarten wird offenbar.
Im labial-, lingual-, guttural-laut entſpricht die goth.
(ſächſ. frieſ. nord.) ten. der hochd. aſp.; die goth. med.
der hochd. ten.; die goth. aſp. der hochd. media. Das
einzelne ſtellt ſich ſo vor augen:

goth. P. B. F.T. D. þ.K. G. .
alth. F. P. B,(V)Z. T. D.CH. K. G.

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[581/0607] I. überſicht der conſonanten. Die vier liquidas ſind unwandelbar, ihr flüßiges element erhält ſie gerade aufrecht in aller gewaltſamen erſchütterung; mit ihnen tragen ſich bloß einzelne ver- tauſchungen, verſetzungen, ausſtoßungen, geminationen zu, deren ungeachtet ihre weſentliche bedeutung die- ſelbe bleibt d. h. wenn ſchon z. b. für chirche zuwei- len chilche erſcheint, ſtehen doch in allen übrigen fäl- len r und l. grundverſchieden. Zu merken: 1) einerſeits l und r in näherer beziehung aufeinander, andrerſeits m und n. Im fall des wechſels iſt m das frühere, feinere; n das ſpätere, gröbere (vgl. ſ. 386. 387.). Umgekehrt mag das härtere r älter, das wei- chere l jünger ſeyn. m ſteht in beſonderem bezug auf die lippenlaute, n auf die zungenlaute (vgl. ſ. 536.) daher das hochd. au, ou vor m und lab., ô vor n und ling. (ſ. 100.); l und r verbinden ſich gleichgern mit lab. ling. und gutt. — l und r löſen ſich bisweilen in u und i auf (und könnten darum halbvocale heißen); niemahls m und n, doch ließe ſich der einfluß des ausfallenden n auf den vorſtehenden voc. vergleichen (gâs f. gans). 2) in der wichtigen berührung des r mit ſ, der verbin- dungen rd mit dd und ſd (goth. zd) erſcheint r, rd als jüngere, allmählig aus ſ, ſd erwachſene form (vgl. ſ. 64. 65. 121. 167. 210. 244. 305. 317. 343. 387. 416.). Gleich den liquiden laufen die drei ſpiranten v. h. ſ. weſentlich unverändert durch alle deutſche mundar- ten. Ihre innere verwandtſchaft folgere ich theils aus dem vor ihnen eintretenden ê ſtatt ei (ſ. 91.) ô ſtatt au (ſ. 94.) theils aus den übergängen zwiſchen h und v, w (ſ. 148. 403.) h und ſ (ſ. 318. 416.) und der berührung der aſpiration mit der aſſibilation (th. ts. z); zwiſchen v. w und ſ, kein unmittelbarer wechſel; h und v, die leiſeſten aller conſ., fallen zuweilen unerſetzt aus, ſelbſt anlautend und zumahl vor liquiden. — Ganz anders verhält es ſich mit den übrigen conſo- nanten, ein merklicher gegenſatz zwiſchen den hoch- deutſchen und allen anderen mundarten wird offenbar. Im labial-, lingual-, guttural-laut entſpricht die goth. (ſächſ. frieſ. nord.) ten. der hochd. aſp.; die goth. med. der hochd. ten.; die goth. aſp. der hochd. media. Das einzelne ſtellt ſich ſo vor augen: goth. P. B. F. T. D. þ. K. G. . alth. F. P. B,(V) Z. T. D. CH. K. G.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/607>, abgerufen am 16.06.2024.