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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. vergleichung fremder buchstaben.
(caput, oculus). Das gr. ei, oi begegnet zumahl dem
goth. ei, ai, vgl. oida (vait) idmen (vitum) leipo, le-
loipa
(leiba, laib) meizon (maiza) oinos (vein) deiknumi
(monstro, taikns, signum). Lat. dafür langes i, als
leibo (linbo) loibe (linbamen) zuweilen langes u, neben
älterem oi, als unnum, communnem, oinom, comoi-
nem; goth. ainana (gr. ena f. eina vgl. enna, anne
s. 211. 246.) gamainana (oben s. 44.) oder auch oe, wie
in hoedus, goth. gaitei. Die anwendung und weitere
entwickelung solcher hier nur roh aufgestellten ana-
logien wird erst fortgesetztes sprachstudium gewähren.
5) wichtiger ist mir die aus dem sanskrit gewonnene
bestätigung meines auf ganz anderm wege, ohne sie
zu ahnen, gefundenen satzes: daß es ursprünglich nur
drei kurze vocale gebe. Die altindische sprache er-
kennt außer den kürzen a, i, u keine andere und hat
bloß für sie buchstaben; unglaublich, daß sie, deren
alphabet alle anderen laute vollständig bezeichnet,
keine schriftzeichen für e und o, wenn diese in der
aussprache vorhanden gewesen wären, gehabt haben
sollte. Die abwesenheit des e und o im goth. be-
nimmt jeden zweifel *). Dazu tritt, daß nicht nur
im gr. alphabet a, i, u abgeschloßen für sich stehen
und kein verlängerungszeichen neben sich haben, wäh-
rend die späteren e, o von e, o geschieden sind, son-
dern auch im semitischen: v y den von der allmäh-
ligen aussprache zugefügten e und o-laut mit auszu-
drücken haben.
6) vielleicht fügen sich endlich die sieben deutschen län-
gen (s. 578.) zu dem sanskrit. Auf der ersten tafel
Franks (chrestom. sanskrita, Monach. 1820) stehen näm-
lich drei lange vocale an, in, un und vier diphthongen
ae, ai, o, au angegeben. Ich will sie nach meiner
*) Ich vermag daher Bopp nicht beizutreten, wenn er (an-
nals of orient, lit. part. I. Lond. 1820. p. 7.) sagt: there
is only one defect of which we may accuse the sanskrit
alphabet, namely. that the short a, the short italian s
and o are not distinguished from one another. For I can-
not believe, that in the language of the Brahmans, when
it was a vernacular tongue, the akara had always the
power of a short a, and that the sounds of e and o never
occurred in it; I rather think that the sign used for the
snort a was put also to expreß a short e and o.
I. vergleichung fremder buchſtaben.
(caput, oculus). Das gr. ει, οι begegnet zumahl dem
goth. ei, ai, vgl. οἶδα (vait) ἴδμεν (vitum) λείπω, λέ-
λοιπα
(leiba, láib) μείζων (máiza) οἶνος (vein) δείκνυμι
(monſtro, táikns, ſignum). Lat. dafür langes i, als
λείβω (lībo) λοιβὴ (lībamen) zuweilen langes u, neben
älterem oi, als ūnum, commūnem, oinom, comoi-
nem; goth. ainana (gr. ἕνα f. εἵνα vgl. ënna, anne
ſ. 211. 246.) gamáinana (oben ſ. 44.) oder auch oe, wie
in hoedus, goth. gaitei. Die anwendung und weitere
entwickelung ſolcher hier nur roh aufgeſtellten ana-
logien wird erſt fortgeſetztes ſprachſtudium gewähren.
5) wichtiger iſt mir die aus dem ſanſkrit gewonnene
beſtätigung meines auf ganz anderm wege, ohne ſie
zu ahnen, gefundenen ſatzes: daß es urſprünglich nur
drei kurze vocale gebe. Die altindiſche ſprache er-
kennt außer den kürzen a, i, u keine andere und hat
bloß für ſie buchſtaben; unglaublich, daß ſie, deren
alphabet alle anderen laute vollſtändig bezeichnet,
keine ſchriftzeichen für e und o, wenn dieſe in der
ausſprache vorhanden geweſen wären, gehabt haben
ſollte. Die abweſenheit des e und o im goth. be-
nimmt jeden zweifel *). Dazu tritt, daß nicht nur
im gr. alphabet α, ι, υ abgeſchloßen für ſich ſtehen
und kein verlängerungszeichen neben ſich haben, wäh-
rend die ſpäteren ε, ο von η, ω geſchieden ſind, ſon-
dern auch im ſemitiſchen: א ו י den von der allmäh-
ligen ausſprache zugefügten e und o-laut mit auszu-
drücken haben.
6) vielleicht fügen ſich endlich die ſieben deutſchen län-
gen (ſ. 578.) zu dem ſanſkrit. Auf der erſten tafel
Franks (chreſtom. ſanſkrita, Monach. 1820) ſtehen näm-
lich drei lange vocale ā, ī, ū und vier diphthongen
ae, ai, o, au angegeben. Ich will ſie nach meiner
*) Ich vermag daher Bopp nicht beizutreten, wenn er (an-
nals of orient, lit. part. I. Lond. 1820. p. 7.) ſagt: there
is only one defect of which we may accuſe the ſanſkrit
alphabet, namely. that the ſhort a, the ſhort italian s
and o are not diſtinguiſhed from one another. For I can-
not believe, that in the language of the Brahmans, when
it was a vernacular tongue, the akâra had always the
power of a ſhort a, and that the ſounds of e and o never
occurred in it; I rather think that the ſign uſed for the
ſnort a was put alſo to expreß a ſhort e and o.
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[594/0620] I. vergleichung fremder buchſtaben. (caput, oculus). Das gr. ει, οι begegnet zumahl dem goth. ei, ai, vgl. οἶδα (vait) ἴδμεν (vitum) λείπω, λέ- λοιπα (leiba, láib) μείζων (máiza) οἶνος (vein) δείκνυμι (monſtro, táikns, ſignum). Lat. dafür langes i, als λείβω (lībo) λοιβὴ (lībamen) zuweilen langes u, neben älterem oi, als ūnum, commūnem, oinom, comoi- nem; goth. ainana (gr. ἕνα f. εἵνα vgl. ënna, anne ſ. 211. 246.) gamáinana (oben ſ. 44.) oder auch oe, wie in hoedus, goth. gaitei. Die anwendung und weitere entwickelung ſolcher hier nur roh aufgeſtellten ana- logien wird erſt fortgeſetztes ſprachſtudium gewähren. 5) wichtiger iſt mir die aus dem ſanſkrit gewonnene beſtätigung meines auf ganz anderm wege, ohne ſie zu ahnen, gefundenen ſatzes: daß es urſprünglich nur drei kurze vocale gebe. Die altindiſche ſprache er- kennt außer den kürzen a, i, u keine andere und hat bloß für ſie buchſtaben; unglaublich, daß ſie, deren alphabet alle anderen laute vollſtändig bezeichnet, keine ſchriftzeichen für e und o, wenn dieſe in der ausſprache vorhanden geweſen wären, gehabt haben ſollte. Die abweſenheit des e und o im goth. be- nimmt jeden zweifel *). Dazu tritt, daß nicht nur im gr. alphabet α, ι, υ abgeſchloßen für ſich ſtehen und kein verlängerungszeichen neben ſich haben, wäh- rend die ſpäteren ε, ο von η, ω geſchieden ſind, ſon- dern auch im ſemitiſchen: א ו י den von der allmäh- ligen ausſprache zugefügten e und o-laut mit auszu- drücken haben. 6) vielleicht fügen ſich endlich die ſieben deutſchen län- gen (ſ. 578.) zu dem ſanſkrit. Auf der erſten tafel Franks (chreſtom. ſanſkrita, Monach. 1820) ſtehen näm- lich drei lange vocale ā, ī, ū und vier diphthongen ae, ai, o, au angegeben. Ich will ſie nach meiner *) Ich vermag daher Bopp nicht beizutreten, wenn er (an- nals of orient, lit. part. I. Lond. 1820. p. 7.) ſagt: there is only one defect of which we may accuſe the ſanſkrit alphabet, namely. that the ſhort a, the ſhort italian s and o are not diſtinguiſhed from one another. For I can- not believe, that in the language of the Brahmans, when it was a vernacular tongue, the akâra had always the power of a ſhort a, and that the ſounds of e and o never occurred in it; I rather think that the ſign uſed for the ſnort a was put alſo to expreß a ſhort e and o.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/620>, abgerufen am 16.06.2024.