Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite
II. possessives pronomen.
(st. usrum); -- aure geht: aure, aure, aure; gen. aures,
aurre, aures; dat. aurum, aurre, aurum; acc. aurne, aure,
aure etc.; vielleicht kürzte sich vor rr der vocal, urre,
urra?
5) altn. poss. sind: minn, ockar, vor; thinn, yckar,
ydhar; siun -- in den sg. poss. kürzt sich ei zu i, so-
bald die flexion assimilation des nr in nn (s. 307.) des
nt in tt (s. 318.) wirkt, es heißt demnach minn, mein,
mitt; gen, meins, minnar, meins; dat. meinum, minni,
meinu; acc. minn (wie einn s. 760.) meina, mitt etc. --
ockar, yckar, ydhar gehen nach s. 741. fem. ockur,
yckur, ydhur, neutr. ockart, yckart, ydhart (wofür
späterhin ockat, yckat, ydhat) -- vor, vor, vort oder
var, var, vart oder or, or, ort wird bei den alten
dichtern da, wo die flexlon mit voc. beginnt, noch
durch die ältere form oss-ersetzt, z. b. ossom (nostro)
ossa (nostram) ossir (nostri) Rask §. 532.
6) im mittelh. (und allen folgenden sprachen) bestehen
wegen der ausgestorbenen dualform nur fünf posses-
siva: mein, unser; dein, iuwer; sein. a) unser und iu-
wer gehen regelmäßig nach heiter (s. 747.): unser
(f. unser'r) unseriu (oder ohne flexion unser) unserß
(ohne fl. unser) gen. unsers, unserre, unsers etc. --
b) die otfried. nebenform uns, iu für unser, iuwer ist
unmittelh. und streift, wo sie gespürt wird, ins nie-
derd., im Rother, in der livl. chron. etc. liest man
häufig: uns, unses, unseme, unsen; M. S. 1, 7b (bei
Joh. v. brab.) iu minne; uns man Nib. Müller 6296.
scheint druckf. f. unser, wie Hagen 6575. liest, ohne
das uns als variante zu nennen. -- g) die sg. poss. ge-
braucht Wolfr. ausnahmsweise unflectiert, z. b. Parc.
18a die sein, von den sein st. die seine, von den seinen;
in der regel biegt er sie ordentlich. -- d) bedenklich
erscheint in den hss. unorg. schwache form der poss.
bei vorstehendem artikel, allein meines wißens in
keiner nothwendigen lesart, z. b. statt Nib. 419. die
seinen 5643 die meinen, 5660 der meinen, 6647 des un-
sern, 5715 die iuwern, 8252 des seinen läßt sich eben-
wohl und mit beistimmung der varianten: die sine,
die meine, der meiner, des unsers, die iuwer, des seines
lesen; Parc. 22427. der dein, M. S. 1, 148b diu deiniu
(oder unfl. diu dein) herstellen. Doch eben die unsel-
tenheit des fehlers in sonst guten, alten hss. lehrt, daß
im verlauf des 13. jahrh. die schwache form wirklich
aufgekommen seyn mag.

II. poſſeſſives pronomen.
(ſt. uſrum); — ûre geht: ûre, ûre, ûre; gen. ûres,
ûrre, ûres; dat. ûrum, ûrre, ûrum; acc. ûrne, ûre,
ûre etc.; vielleicht kürzte ſich vor rr der vocal, urre,
urra?
5) altn. poſſ. ſind: minn, ockar, vor; þinn, yckar,
ydhar; ſiun — in den ſg. poſſ. kürzt ſich î zu i, ſo-
bald die flexion aſſimilation des nr in nn (ſ. 307.) des
nt in tt (ſ. 318.) wirkt, es heißt demnach minn, mîn,
mitt; gen, mîns, minnar, mîns; dat. mînum, minni,
mînu; acc. minn (wie einn ſ. 760.) mîna, mitt etc. —
ockar, yckar, ydhar gehen nach ſ. 741. fem. ockur,
yckur, ydhur, neutr. ockart, yckart, ydhart (wofür
ſpäterhin ockat, yckat, ydhat) — vor, vor, vort oder
vâr, vâr, vârt oder or, or, ort wird bei den alten
dichtern da, wo die flexlon mit voc. beginnt, noch
durch die ältere form oſſ-erſetzt, z. b. oſſom (noſtro)
oſſa (noſtram) oſſir (noſtri) Raſk §. 532.
6) im mittelh. (und allen folgenden ſprachen) beſtehen
wegen der ausgeſtorbenen dualform nur fünf poſſeſ-
ſiva: mîn, unſer; dîn, iuwer; ſîn. α) unſer und iu-
wer gehen regelmäßig nach heiter (ſ. 747.): unſer
(f. unſer’r) unſeriu (oder ohne flexion unſer) unſerƷ
(ohne fl. unſer) gen. unſers, unſerre, unſers etc. —
β) die otfried. nebenform uns, iu für unſer, iuwer iſt
unmittelh. und ſtreift, wo ſie geſpürt wird, ins nie-
derd., im Rother, in der livl. chron. etc. lieſt man
häufig: uns, unſes, unſeme, unſen; M. S. 1, 7b (bei
Joh. v. brab.) iu minne; uns man Nib. Müller 6296.
ſcheint druckf. f. unſer, wie Hagen 6575. lieſt, ohne
das uns als variante zu nennen. — γ) die ſg. poſſ. ge-
braucht Wolfr. ausnahmsweiſe unflectiert, z. b. Parc.
18a die ſîn, von den ſîn ſt. die ſîne, von den ſînen;
in der regel biegt er ſie ordentlich. — δ) bedenklich
erſcheint in den hſſ. unorg. ſchwache form der poſſ.
bei vorſtehendem artikel, allein meines wißens in
keiner nothwendigen lesart, z. b. ſtatt Nib. 419. die
ſînen 5643 die mînen, 5660 der mînen, 6647 des un-
ſern, 5715 die iuwern, 8252 des ſînen läßt ſich eben-
wohl und mit beiſtimmung der varianten: die ſìne,
die mîne, der mîner, des unſers, die iuwer, des ſînes
leſen; Parc. 22427. der dîn, M. S. 1, 148b diu dîniu
(oder unfl. diu dîn) herſtellen. Doch eben die unſel-
tenheit des fehlers in ſonſt guten, alten hſſ. lehrt, daß
im verlauf des 13. jahrh. die ſchwache form wirklich
aufgekommen ſeyn mag.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <list>
                <item><pb facs="#f0810" n="784"/><fw place="top" type="header">II. <hi rendition="#i">po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ives pronomen.</hi></fw><lb/>
(&#x017F;t. u&#x017F;rum); &#x2014; ûre geht: ûre, ûre, ûre; gen. ûres,<lb/>
ûrre, ûres; dat. ûrum, ûrre, ûrum; acc. ûrne, ûre,<lb/>
ûre etc.; vielleicht kürzte &#x017F;ich vor rr der vocal, urre,<lb/>
urra?</item><lb/>
                <item>5) <hi rendition="#i">altn.</hi> po&#x017F;&#x017F;. &#x017F;ind: minn, ockar, vor; þinn, yckar,<lb/>
ydhar; &#x017F;iun &#x2014; in den &#x017F;g. po&#x017F;&#x017F;. kürzt &#x017F;ich î zu i, &#x017F;o-<lb/>
bald die flexion a&#x017F;&#x017F;imilation des <hi rendition="#i">nr</hi> in <hi rendition="#i">nn</hi> (&#x017F;. 307.) des<lb/><hi rendition="#i">nt</hi> in <hi rendition="#i">tt</hi> (&#x017F;. 318.) wirkt, es heißt demnach minn, mîn,<lb/>
mitt; gen, mîns, minnar, mîns; dat. mînum, minni,<lb/>
mînu; acc. minn (wie einn &#x017F;. 760.) mîna, mitt etc. &#x2014;<lb/>
ockar, yckar, ydhar gehen nach &#x017F;. 741. fem. ockur,<lb/>
yckur, ydhur, neutr. ockart, yckart, ydhart (wofür<lb/>
&#x017F;päterhin ockat, yckat, ydhat) &#x2014; vor, vor, vort oder<lb/>
vâr, vâr, vârt oder or, or, ort wird bei den alten<lb/>
dichtern da, wo die flexlon mit voc. beginnt, noch<lb/>
durch die ältere form o&#x017F;&#x017F;-er&#x017F;etzt, z. b. o&#x017F;&#x017F;om (no&#x017F;tro)<lb/>
o&#x017F;&#x017F;a (no&#x017F;tram) o&#x017F;&#x017F;ir (no&#x017F;tri) Ra&#x017F;k §. 532.</item><lb/>
                <item>6) im <hi rendition="#i">mittelh</hi>. (und allen folgenden &#x017F;prachen) be&#x017F;tehen<lb/>
wegen der ausge&#x017F;torbenen dualform nur fünf po&#x017F;&#x017F;e&#x017F;-<lb/>
&#x017F;iva: mîn, un&#x017F;er; dîn, iuwer; &#x017F;în. <hi rendition="#i">&#x03B1;</hi>) un&#x017F;er und iu-<lb/>
wer gehen regelmäßig nach heiter (&#x017F;. 747.): un&#x017F;er<lb/>
(f. un&#x017F;er&#x2019;r) un&#x017F;eriu (oder ohne flexion un&#x017F;er) un&#x017F;er&#x01B7;<lb/>
(ohne fl. un&#x017F;er) gen. un&#x017F;ers, un&#x017F;erre, un&#x017F;ers etc. &#x2014;<lb/><hi rendition="#i">&#x03B2;</hi>) die otfried. nebenform <hi rendition="#i">uns, iu</hi> für un&#x017F;er, iuwer i&#x017F;t<lb/>
unmittelh. und &#x017F;treift, wo &#x017F;ie ge&#x017F;pürt wird, ins nie-<lb/>
derd., im Rother, in der livl. chron. etc. lie&#x017F;t man<lb/>
häufig: uns, un&#x017F;es, un&#x017F;eme, un&#x017F;en; M. S. 1, 7<hi rendition="#sup">b</hi> (bei<lb/>
Joh. v. brab.) iu minne; uns man Nib. Müller 6296.<lb/>
&#x017F;cheint druckf. f. un&#x017F;er, wie Hagen 6575. lie&#x017F;t, ohne<lb/>
das uns als variante zu nennen. &#x2014; <hi rendition="#i">&#x03B3;</hi>) die &#x017F;g. po&#x017F;&#x017F;. ge-<lb/>
braucht Wolfr. ausnahmswei&#x017F;e unflectiert, z. b. Parc.<lb/>
18<hi rendition="#sup">a</hi> die &#x017F;în, von den &#x017F;în &#x017F;t. die &#x017F;îne, von den &#x017F;înen;<lb/>
in der regel biegt er &#x017F;ie ordentlich. &#x2014; <hi rendition="#i">&#x03B4;</hi>) bedenklich<lb/>
er&#x017F;cheint in den h&#x017F;&#x017F;. unorg. &#x017F;chwache form der po&#x017F;&#x017F;.<lb/>
bei vor&#x017F;tehendem artikel, allein meines wißens in<lb/>
keiner nothwendigen lesart, z. b. &#x017F;tatt Nib. 419. die<lb/>
&#x017F;înen 5643 die mînen, 5660 der mînen, 6647 des un-<lb/>
&#x017F;ern, 5715 die iuwern, 8252 des &#x017F;înen läßt &#x017F;ich eben-<lb/>
wohl und mit bei&#x017F;timmung der varianten: die &#x017F;ìne,<lb/>
die mîne, der mîner, des un&#x017F;ers, die iuwer, des &#x017F;înes<lb/>
le&#x017F;en; Parc. 22427. der dîn, M. S. 1, 148<hi rendition="#sup">b</hi> diu dîniu<lb/>
(oder unfl. diu dîn) her&#x017F;tellen. Doch eben die un&#x017F;el-<lb/>
tenheit des fehlers in &#x017F;on&#x017F;t guten, alten h&#x017F;&#x017F;. lehrt, daß<lb/>
im verlauf des 13. jahrh. die &#x017F;chwache form wirklich<lb/>
aufgekommen &#x017F;eyn mag.</item><lb/>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[784/0810] II. poſſeſſives pronomen. (ſt. uſrum); — ûre geht: ûre, ûre, ûre; gen. ûres, ûrre, ûres; dat. ûrum, ûrre, ûrum; acc. ûrne, ûre, ûre etc.; vielleicht kürzte ſich vor rr der vocal, urre, urra? 5) altn. poſſ. ſind: minn, ockar, vor; þinn, yckar, ydhar; ſiun — in den ſg. poſſ. kürzt ſich î zu i, ſo- bald die flexion aſſimilation des nr in nn (ſ. 307.) des nt in tt (ſ. 318.) wirkt, es heißt demnach minn, mîn, mitt; gen, mîns, minnar, mîns; dat. mînum, minni, mînu; acc. minn (wie einn ſ. 760.) mîna, mitt etc. — ockar, yckar, ydhar gehen nach ſ. 741. fem. ockur, yckur, ydhur, neutr. ockart, yckart, ydhart (wofür ſpäterhin ockat, yckat, ydhat) — vor, vor, vort oder vâr, vâr, vârt oder or, or, ort wird bei den alten dichtern da, wo die flexlon mit voc. beginnt, noch durch die ältere form oſſ-erſetzt, z. b. oſſom (noſtro) oſſa (noſtram) oſſir (noſtri) Raſk §. 532. 6) im mittelh. (und allen folgenden ſprachen) beſtehen wegen der ausgeſtorbenen dualform nur fünf poſſeſ- ſiva: mîn, unſer; dîn, iuwer; ſîn. α) unſer und iu- wer gehen regelmäßig nach heiter (ſ. 747.): unſer (f. unſer’r) unſeriu (oder ohne flexion unſer) unſerƷ (ohne fl. unſer) gen. unſers, unſerre, unſers etc. — β) die otfried. nebenform uns, iu für unſer, iuwer iſt unmittelh. und ſtreift, wo ſie geſpürt wird, ins nie- derd., im Rother, in der livl. chron. etc. lieſt man häufig: uns, unſes, unſeme, unſen; M. S. 1, 7b (bei Joh. v. brab.) iu minne; uns man Nib. Müller 6296. ſcheint druckf. f. unſer, wie Hagen 6575. lieſt, ohne das uns als variante zu nennen. — γ) die ſg. poſſ. ge- braucht Wolfr. ausnahmsweiſe unflectiert, z. b. Parc. 18a die ſîn, von den ſîn ſt. die ſîne, von den ſînen; in der regel biegt er ſie ordentlich. — δ) bedenklich erſcheint in den hſſ. unorg. ſchwache form der poſſ. bei vorſtehendem artikel, allein meines wißens in keiner nothwendigen lesart, z. b. ſtatt Nib. 419. die ſînen 5643 die mînen, 5660 der mînen, 6647 des un- ſern, 5715 die iuwern, 8252 des ſînen läßt ſich eben- wohl und mit beiſtimmung der varianten: die ſìne, die mîne, der mîner, des unſers, die iuwer, des ſînes leſen; Parc. 22427. der dîn, M. S. 1, 148b diu dîniu (oder unfl. diu dîn) herſtellen. Doch eben die unſel- tenheit des fehlers in ſonſt guten, alten hſſ. lehrt, daß im verlauf des 13. jahrh. die ſchwache form wirklich aufgekommen ſeyn mag.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/810
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 784. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/810>, abgerufen am 30.04.2024.