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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. ableitung. schlußbemerkungen.
tischeres princip. Derivata, die durch eingeschaltete con-
sonanten den schein von compositis annehmen (s. 391.),
sind der jüngeren sprache die hebsten, vielleicht thun sie
es ebendeswegen; in verschiednen ableitungen ist der alte
vocal, ganz gegen die regel allgemeiner vocalverdünnung,
stehen geblieben, weil zufall der letzten silbe das anse-
hen einer zus. gesetzten gab (labsal, armuth). Einige
composita sind zwar umgekehrt zu ableitungen geworden,
wie ich bei -olf und -ard glaube nachgewiesen zu haben
und es können noch mehr beispiele entdeckt werden;
allein solche fälle waren ziemlich frühe eingetreten und
wurden der spätern schriftsprache bald wieder fremd.
Ganz einzelne composita, die sich wie ableitungen aus-
nehmen (vorbem. 5c zum folg. cap.) bestehen fast nur in
gemeiner volkssprache. Welche composita die ableitungen
verdrängen und ersetzen, läßt sich erst am schluße des
dritten cap. nebeneinanderhalten.

10) die fremden sprachen sind in den anmerkungen
zu jeder einzelnen ableitung verglichen worden, doch
will ich hier einiges nachhohlen. Unserm ableitenden -i
und -u und ihrem verschwinden ist das sl. jer und jerr
ähnlich (vgl. oben s. 367. 388.), mit dem jer werden nament-
lich aus adj. abstracta geleitet (Dobr. inst. p. 274.), wie
im deutschen mit -ei, -ei, der lange vocal scheint aus
mischung mit der flexion hervorzugehen. Unter den mu-
tis hat auch im lat. und griech. die lingualreihe das größte,
die labiale das geringste gewicht. Dem -ein, ein unsrer
materiellen adj. entspricht das gr. -inos: xulinos (hulzein)
lithinos (steinein) anthropinos (menniscein), das oben s. 176.
übersehene goth. neutrum gumein vergleicht sich dem
gr. aRRen, arsen. Die litth. -innis: gelezinnis (ferreus)
sidabrinnis (argenteus) stikklinnis (vitreus) medinnis (lig-
neus, silvestris) laukinnis (agrestis) etc. bestärken meine
ansicht von entwickelung der deutschen subst. -inna aus
älteren -in. -- Der, möglicherweise, flexivische ursprung
verschiedner th und d in verbis (vgl. s. 261. und schluß-
anm. 2. am ende) gestattet es, deutsche insinitive wie fin-
than, hin-than, vin-than, vair-than, bin-dan, flin-dan,
svin-dan, gin-dan (beide letztere zumahl neben sveinan,
geinan, vgl. s. 232.) den persischen inf. auf -den, sansk.

-inc, -unge, -ein, inne, -nisse auch noch -aere, -ach, das adj. -ein,
zuweilen -eic, -ot (1, 368. 369.); auch noch das -eit und -eiße in
arbeit, ameiße.

III. ableitung. ſchlußbemerkungen.
tiſcheres princip. Derivata, die durch eingeſchaltete con-
ſonanten den ſchein von compoſitis annehmen (ſ. 391.),
ſind der jüngeren ſprache die hebſten, vielleicht thun ſie
es ebendeswegen; in verſchiednen ableitungen iſt der alte
vocal, ganz gegen die regel allgemeiner vocalverdünnung,
ſtehen geblieben, weil zufall der letzten ſilbe das anſe-
hen einer zuſ. geſetzten gab (labſal, armuth). Einige
compoſita ſind zwar umgekehrt zu ableitungen geworden,
wie ich bei -olf und -ard glaube nachgewieſen zu haben
und es können noch mehr beiſpiele entdeckt werden;
allein ſolche fälle waren ziemlich frühe eingetreten und
wurden der ſpätern ſchriftſprache bald wieder fremd.
Ganz einzelne compoſita, die ſich wie ableitungen aus-
nehmen (vorbem. 5c zum folg. cap.) beſtehen faſt nur in
gemeiner volksſprache. Welche compoſita die ableitungen
verdrängen und erſetzen, läßt ſich erſt am ſchluße des
dritten cap. nebeneinanderhalten.

10) die fremden ſprachen ſind in den anmerkungen
zu jeder einzelnen ableitung verglichen worden, doch
will ich hier einiges nachhohlen. Unſerm ableitenden -i
und -u und ihrem verſchwinden iſt das ſl. jer und jerr
ähnlich (vgl. oben ſ. 367. 388.), mit dem jer werden nament-
lich aus adj. abſtracta geleitet (Dobr. inſt. p. 274.), wie
im deutſchen mit -ei, -î, der lange vocal ſcheint aus
miſchung mit der flexion hervorzugehen. Unter den mu-
tis hat auch im lat. und griech. die lingualreihe das größte,
die labiale das geringſte gewicht. Dem -ein, în unſrer
materiellen adj. entſpricht das gr. -ινος: ξύλινος (hulzîn)
λίθινος (ſteinîn) ἀνθρώπινος (menniſcîn), das oben ſ. 176.
überſehene goth. neutrum gumein vergleicht ſich dem
gr. ἄῤῥεν, ἄρσεν. Die litth. -innis: gelezinnis (ferreus)
ſidabrinnis (argenteus) ſtikklinnis (vitreus) medinnis (lig-
neus, ſilveſtris) laukinnis (agreſtis) etc. beſtärken meine
anſicht von entwickelung der deutſchen ſubſt. -inna aus
älteren -in. — Der, möglicherweiſe, flexiviſche urſprung
verſchiedner þ und d in verbis (vgl. ſ. 261. und ſchluß-
anm. 2. am ende) geſtattet es, deutſche inſinitive wie fin-
þan, hin-þan, vin-þan, vaír-þan, bin-dan, flin-dan,
ſvin-dan, gin-dan (beide letztere zumahl neben ſvînan,
gînan, vgl. ſ. 232.) den perſiſchen inf. auf -den, ſanſk.

-inc, -unge, -în, inne, -niſſe auch noch -ære, -ach, das adj. -în,
zuweilen -îc, -ôt (1, 368. 369.); auch noch das -eit und -eiƷe in
arbeit, ameiƷe.
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[404/0422] III. ableitung. ſchlußbemerkungen. tiſcheres princip. Derivata, die durch eingeſchaltete con- ſonanten den ſchein von compoſitis annehmen (ſ. 391.), ſind der jüngeren ſprache die hebſten, vielleicht thun ſie es ebendeswegen; in verſchiednen ableitungen iſt der alte vocal, ganz gegen die regel allgemeiner vocalverdünnung, ſtehen geblieben, weil zufall der letzten ſilbe das anſe- hen einer zuſ. geſetzten gab (labſal, armuth). Einige compoſita ſind zwar umgekehrt zu ableitungen geworden, wie ich bei -olf und -ard glaube nachgewieſen zu haben und es können noch mehr beiſpiele entdeckt werden; allein ſolche fälle waren ziemlich frühe eingetreten und wurden der ſpätern ſchriftſprache bald wieder fremd. Ganz einzelne compoſita, die ſich wie ableitungen aus- nehmen (vorbem. 5c zum folg. cap.) beſtehen faſt nur in gemeiner volksſprache. Welche compoſita die ableitungen verdrängen und erſetzen, läßt ſich erſt am ſchluße des dritten cap. nebeneinanderhalten. 10) die fremden ſprachen ſind in den anmerkungen zu jeder einzelnen ableitung verglichen worden, doch will ich hier einiges nachhohlen. Unſerm ableitenden -i und -u und ihrem verſchwinden iſt das ſl. jer und jerr ähnlich (vgl. oben ſ. 367. 388.), mit dem jer werden nament- lich aus adj. abſtracta geleitet (Dobr. inſt. p. 274.), wie im deutſchen mit -ei, -î, der lange vocal ſcheint aus miſchung mit der flexion hervorzugehen. Unter den mu- tis hat auch im lat. und griech. die lingualreihe das größte, die labiale das geringſte gewicht. Dem -ein, în unſrer materiellen adj. entſpricht das gr. -ινος: ξύλινος (hulzîn) λίθινος (ſteinîn) ἀνθρώπινος (menniſcîn), das oben ſ. 176. überſehene goth. neutrum gumein vergleicht ſich dem gr. ἄῤῥεν, ἄρσεν. Die litth. -innis: gelezinnis (ferreus) ſidabrinnis (argenteus) ſtikklinnis (vitreus) medinnis (lig- neus, ſilveſtris) laukinnis (agreſtis) etc. beſtärken meine anſicht von entwickelung der deutſchen ſubſt. -inna aus älteren -in. — Der, möglicherweiſe, flexiviſche urſprung verſchiedner þ und d in verbis (vgl. ſ. 261. und ſchluß- anm. 2. am ende) geſtattet es, deutſche inſinitive wie fin- þan, hin-þan, vin-þan, vaír-þan, bin-dan, flin-dan, ſvin-dan, gin-dan (beide letztere zumahl neben ſvînan, gînan, vgl. ſ. 232.) den perſiſchen inf. auf -den, ſanſk. **) **) -inc, -unge, -în, inne, -niſſe auch noch -ære, -ach, das adj. -în, zuweilen -îc, -ôt (1, 368. 369.); auch noch das -eit und -eiƷe in arbeit, ameiƷe.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/422>, abgerufen am 29.04.2024.