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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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sprach: "laß ihn laufen, was sollen wir mit
dem Bärenhäuter anfangen, der ist so arm und
kahl, wie eine Kirchenmaus!" So kam er
glücklich durch die Spitzbuben, und in ein Dorf,
da sah er ein Mädchen so schön, daß er nicht
glaubte, es könne ein schöneres auf der Welt
seyn und fragte, ob es ihn heirathen wolle, und
das Mädchen sagte ja, es wolle ihm treu blei-
ben sein Lebelang. Sie hielten nun Hochzeit mit
einander und waren vergnügt, da kam der
Braut Vater nach Haus, und als er sahe, daß
seine Tochter einen Bärenführer geheirathet,
denn er hatte die Bärenhaut noch nicht abge-
legt, da ward er zornig und wollte den Bräu-
tigam ermorden. Die Braut aber bat ihn,
was sie nur konnte: sie hätte ihn doch so lieb,
und es sey nun einmal ihr Mann, bis er sich
zur Ruhe gab. Und am andern Morgen früh
stand er auf, und wollte seinen Schwiegersohn
noch einmal sehen, da sah er einen herrlichen,
goldenen Mann im Bette liegen. Dem Bräu-
tigam aber träumte, er solle auf die Jagd ge-
hen nach einem prächtigen Hirsch, und als er
erwachte, wollt' er darnach ausgehen, aber sei-
ne Verlobte bat ihn da zu bleiben, und fürch-
tete für ihn; er aber sprach: "ich soll und muß
fort." Damit stund er auf und ging in den
Wald, da hielt ein stolzer Hirsch vor ihm,
ganz nach seinem Traum, wie er aber anlegen

ſprach: „laß ihn laufen, was ſollen wir mit
dem Baͤrenhaͤuter anfangen, der iſt ſo arm und
kahl, wie eine Kirchenmaus!“ So kam er
gluͤcklich durch die Spitzbuben, und in ein Dorf,
da ſah er ein Maͤdchen ſo ſchoͤn, daß er nicht
glaubte, es koͤnne ein ſchoͤneres auf der Welt
ſeyn und fragte, ob es ihn heirathen wolle, und
das Maͤdchen ſagte ja, es wolle ihm treu blei-
ben ſein Lebelang. Sie hielten nun Hochzeit mit
einander und waren vergnuͤgt, da kam der
Braut Vater nach Haus, und als er ſahe, daß
ſeine Tochter einen Baͤrenfuͤhrer geheirathet,
denn er hatte die Baͤrenhaut noch nicht abge-
legt, da ward er zornig und wollte den Braͤu-
tigam ermorden. Die Braut aber bat ihn,
was ſie nur konnte: ſie haͤtte ihn doch ſo lieb,
und es ſey nun einmal ihr Mann, bis er ſich
zur Ruhe gab. Und am andern Morgen fruͤh
ſtand er auf, und wollte ſeinen Schwiegerſohn
noch einmal ſehen, da ſah er einen herrlichen,
goldenen Mann im Bette liegen. Dem Braͤu-
tigam aber traͤumte, er ſolle auf die Jagd ge-
hen nach einem praͤchtigen Hirſch, und als er
erwachte, wollt' er darnach ausgehen, aber ſei-
ne Verlobte bat ihn da zu bleiben, und fuͤrch-
tete fuͤr ihn; er aber ſprach: „ich ſoll und muß
fort.“ Damit ſtund er auf und ging in den
Wald, da hielt ein ſtolzer Hirſch vor ihm,
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[293/0327] ſprach: „laß ihn laufen, was ſollen wir mit dem Baͤrenhaͤuter anfangen, der iſt ſo arm und kahl, wie eine Kirchenmaus!“ So kam er gluͤcklich durch die Spitzbuben, und in ein Dorf, da ſah er ein Maͤdchen ſo ſchoͤn, daß er nicht glaubte, es koͤnne ein ſchoͤneres auf der Welt ſeyn und fragte, ob es ihn heirathen wolle, und das Maͤdchen ſagte ja, es wolle ihm treu blei- ben ſein Lebelang. Sie hielten nun Hochzeit mit einander und waren vergnuͤgt, da kam der Braut Vater nach Haus, und als er ſahe, daß ſeine Tochter einen Baͤrenfuͤhrer geheirathet, denn er hatte die Baͤrenhaut noch nicht abge- legt, da ward er zornig und wollte den Braͤu- tigam ermorden. Die Braut aber bat ihn, was ſie nur konnte: ſie haͤtte ihn doch ſo lieb, und es ſey nun einmal ihr Mann, bis er ſich zur Ruhe gab. Und am andern Morgen fruͤh ſtand er auf, und wollte ſeinen Schwiegerſohn noch einmal ſehen, da ſah er einen herrlichen, goldenen Mann im Bette liegen. Dem Braͤu- tigam aber traͤumte, er ſolle auf die Jagd ge- hen nach einem praͤchtigen Hirſch, und als er erwachte, wollt' er darnach ausgehen, aber ſei- ne Verlobte bat ihn da zu bleiben, und fuͤrch- tete fuͤr ihn; er aber ſprach: „ich ſoll und muß fort.“ Damit ſtund er auf und ging in den Wald, da hielt ein ſtolzer Hirſch vor ihm, ganz nach ſeinem Traum, wie er aber anlegen

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/327>, abgerufen am 29.04.2024.