Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

fertig und es blieben auch nicht Käufer aus, die ihm so viel Geld gaben, daß er zu vier Paar Schuhen das Leder kaufen konnte. Die schnitt er Abends wieder zu und fand sie am Morgen fertig und so gings immer fort, was er Abends zuschnitt, das war am Morgen verarbeitet, also daß er bald wieder zu einem wohlhabenden Manne ward mit ehrlichem Auskommen. Nun geschah es, daß eines Abends kurz vor Weihnachten, nachdem der Mann wieder zugeschnitten hatte, er vor Schlafengehen zu seiner Frau sprach: "wie wär's, wenn wir diese Nacht aufblieben, um zu sehen, wer uns solche hilfreiche Hand leiste?" Die Frau wars zufrieden und steckte ein Licht an, darauf verbargen sie sich in den Stubenecken hinter den Kleidern, die da aufgehängt waren, und gaben Acht. Als es Mitternacht war, da kamen zwei kleine, niedliche, nackte Männlein, setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen alle zugeschnittene Arbeit zu sich und fingen an mit ihren Fingerlein so behend und schnell zu stechen, nähen, klopfen, daß der Schuster vor Verwunderung die Augen nicht abwenden konnte. Sie ließen nicht nach, bis alles zu Ende gebracht war und fertig auf dem Tisch stand, und das war lange vor Tag; und dann sprangen sie schnell fort.

Am andern Morgen sprach die Frau: "die kleinen Männer haben uns reich gemacht, dafür müssen wir dankbar seyn. Sie dauern mich, daß sie so herumlaufen und nichts am Leib haben und frieren. Weißt du was? ich will Hemdlein, Rock, Wams und Höslein für sie nähen, auch jedem ein Paar Strümpfe stricken; mach du jedem ein Paar Schühlein dazu." Der Mann

fertig und es blieben auch nicht Kaͤufer aus, die ihm so viel Geld gaben, daß er zu vier Paar Schuhen das Leder kaufen konnte. Die schnitt er Abends wieder zu und fand sie am Morgen fertig und so gings immer fort, was er Abends zuschnitt, das war am Morgen verarbeitet, also daß er bald wieder zu einem wohlhabenden Manne ward mit ehrlichem Auskommen. Nun geschah es, daß eines Abends kurz vor Weihnachten, nachdem der Mann wieder zugeschnitten hatte, er vor Schlafengehen zu seiner Frau sprach: „wie waͤr’s, wenn wir diese Nacht aufblieben, um zu sehen, wer uns solche hilfreiche Hand leiste?“ Die Frau wars zufrieden und steckte ein Licht an, darauf verbargen sie sich in den Stubenecken hinter den Kleidern, die da aufgehaͤngt waren, und gaben Acht. Als es Mitternacht war, da kamen zwei kleine, niedliche, nackte Maͤnnlein, setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen alle zugeschnittene Arbeit zu sich und fingen an mit ihren Fingerlein so behend und schnell zu stechen, naͤhen, klopfen, daß der Schuster vor Verwunderung die Augen nicht abwenden konnte. Sie ließen nicht nach, bis alles zu Ende gebracht war und fertig auf dem Tisch stand, und das war lange vor Tag; und dann sprangen sie schnell fort.

Am andern Morgen sprach die Frau: „die kleinen Maͤnner haben uns reich gemacht, dafuͤr muͤssen wir dankbar seyn. Sie dauern mich, daß sie so herumlaufen und nichts am Leib haben und frieren. Weißt du was? ich will Hemdlein, Rock, Wams und Hoͤslein fuͤr sie naͤhen, auch jedem ein Paar Struͤmpfe stricken; mach du jedem ein Paar Schuͤhlein dazu.“ Der Mann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0267" n="203"/>
fertig und es blieben auch nicht Ka&#x0364;ufer aus, die ihm so viel Geld gaben, daß er zu vier Paar Schuhen das Leder kaufen konnte. Die schnitt er Abends wieder zu und fand sie am Morgen fertig und so gings immer fort, was er Abends zuschnitt, das war am Morgen verarbeitet, also daß er bald wieder zu einem wohlhabenden Manne ward mit ehrlichem Auskommen. Nun geschah es, daß eines Abends kurz vor Weihnachten, nachdem der Mann wieder zugeschnitten hatte, er vor Schlafengehen zu seiner Frau sprach: &#x201E;wie wa&#x0364;r&#x2019;s, wenn wir diese Nacht aufblieben, um zu sehen, wer uns solche hilfreiche Hand leiste?&#x201C; Die Frau wars zufrieden und steckte ein Licht an, darauf verbargen sie sich in den Stubenecken hinter den Kleidern, die da aufgeha&#x0364;ngt waren, und gaben Acht. Als es Mitternacht war, da kamen zwei kleine, niedliche, nackte Ma&#x0364;nnlein, setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen alle zugeschnittene Arbeit zu sich und fingen an mit ihren Fingerlein so behend und schnell zu stechen, na&#x0364;hen, klopfen, daß der Schuster vor Verwunderung die Augen nicht abwenden konnte. Sie ließen nicht nach, bis alles zu Ende gebracht war und fertig auf dem Tisch stand, und das war lange vor Tag; und dann sprangen sie schnell fort.</p><lb/>
          <p>Am andern Morgen sprach die Frau: &#x201E;die kleinen Ma&#x0364;nner haben uns reich gemacht, dafu&#x0364;r mu&#x0364;ssen wir dankbar seyn. Sie dauern mich, daß sie so herumlaufen und nichts am Leib haben und frieren. Weißt du was? ich will Hemdlein, Rock, Wams und Ho&#x0364;slein fu&#x0364;r sie na&#x0364;hen, auch jedem ein Paar Stru&#x0364;mpfe stricken; mach du jedem ein Paar Schu&#x0364;hlein dazu.&#x201C; Der Mann
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0267] fertig und es blieben auch nicht Kaͤufer aus, die ihm so viel Geld gaben, daß er zu vier Paar Schuhen das Leder kaufen konnte. Die schnitt er Abends wieder zu und fand sie am Morgen fertig und so gings immer fort, was er Abends zuschnitt, das war am Morgen verarbeitet, also daß er bald wieder zu einem wohlhabenden Manne ward mit ehrlichem Auskommen. Nun geschah es, daß eines Abends kurz vor Weihnachten, nachdem der Mann wieder zugeschnitten hatte, er vor Schlafengehen zu seiner Frau sprach: „wie waͤr’s, wenn wir diese Nacht aufblieben, um zu sehen, wer uns solche hilfreiche Hand leiste?“ Die Frau wars zufrieden und steckte ein Licht an, darauf verbargen sie sich in den Stubenecken hinter den Kleidern, die da aufgehaͤngt waren, und gaben Acht. Als es Mitternacht war, da kamen zwei kleine, niedliche, nackte Maͤnnlein, setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen alle zugeschnittene Arbeit zu sich und fingen an mit ihren Fingerlein so behend und schnell zu stechen, naͤhen, klopfen, daß der Schuster vor Verwunderung die Augen nicht abwenden konnte. Sie ließen nicht nach, bis alles zu Ende gebracht war und fertig auf dem Tisch stand, und das war lange vor Tag; und dann sprangen sie schnell fort. Am andern Morgen sprach die Frau: „die kleinen Maͤnner haben uns reich gemacht, dafuͤr muͤssen wir dankbar seyn. Sie dauern mich, daß sie so herumlaufen und nichts am Leib haben und frieren. Weißt du was? ich will Hemdlein, Rock, Wams und Hoͤslein fuͤr sie naͤhen, auch jedem ein Paar Struͤmpfe stricken; mach du jedem ein Paar Schuͤhlein dazu.“ Der Mann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/267
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/267>, abgerufen am 03.05.2024.