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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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"nimm mich zum Gevatter." "Wer bist du?" fragte der Mann. "Jch bin der Tod, der alles gleich macht." Da sprach der Mann: "du bist der rechte, du holst den Reichen und den Armen ohne Unterschied, du sollst mein Gevattersmann seyn." Der Tod antwortete: "ich will dein Kind reich und berühmt machen auf der Welt, denn wer mich zum Freund hat, dem kanns nicht fehlen." Sprach der Mann: "künftigen Sonntag ist die Taufe, da stell dich zu rechter Zeit ein." Der Tod erschien, wie er versprochen hatte, und hielt das Kind über die Taufe.

Als der Knabe nun zu Jahren gekommen war, trat zu einer Zeit der Pathe ein, nahm ihn mit sich hinaus in den Wald, und als sie ganz allein waren, sprach er: "jetzt sollst du dein Pathengeschenk haben. Jch mache dich zu einem berühmten Arzt. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so will ich dir jedesmal erscheinen, stehe ich zu Füßen des Kranken, so sprich keck, ich will ihn wieder gesund machen, und gieb ihm nur von einem gewissen Kraut ein, das ich dir zeigen will, so wird er genesen; stehe ich aber zu Häupten des Kranken, so ist er mein und dann sprich: "alle Hilfe ist umsonst, der muß sterben." Dann zeigte ihm der Tod das Kraut und sprach: "hüte dich, daß du es nicht gegen meinen Willen gebrauchst."

Es dauerte nicht lange, so war der Arzt in der ganzen Welt berühmt. "Wenn der den Kranken nur ansieht, weiß er gleich, ob er wieder gesund wird oder ob er sterben muß," so hieß es von ihm und weit und breit kamen die Leute und holten ihn und gaben ihm Gold, so viel, als er verlangte, also daß er bald

„nimm mich zum Gevatter.“ „Wer bist du?“ fragte der Mann. „Jch bin der Tod, der alles gleich macht.“ Da sprach der Mann: „du bist der rechte, du holst den Reichen und den Armen ohne Unterschied, du sollst mein Gevattersmann seyn.“ Der Tod antwortete: „ich will dein Kind reich und beruͤhmt machen auf der Welt, denn wer mich zum Freund hat, dem kanns nicht fehlen.“ Sprach der Mann: „kuͤnftigen Sonntag ist die Taufe, da stell dich zu rechter Zeit ein.“ Der Tod erschien, wie er versprochen hatte, und hielt das Kind uͤber die Taufe.

Als der Knabe nun zu Jahren gekommen war, trat zu einer Zeit der Pathe ein, nahm ihn mit sich hinaus in den Wald, und als sie ganz allein waren, sprach er: „jetzt sollst du dein Pathengeschenk haben. Jch mache dich zu einem beruͤhmten Arzt. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so will ich dir jedesmal erscheinen, stehe ich zu Fuͤßen des Kranken, so sprich keck, ich will ihn wieder gesund machen, und gieb ihm nur von einem gewissen Kraut ein, das ich dir zeigen will, so wird er genesen; stehe ich aber zu Haͤupten des Kranken, so ist er mein und dann sprich: „alle Hilfe ist umsonst, der muß sterben.“ Dann zeigte ihm der Tod das Kraut und sprach: „huͤte dich, daß du es nicht gegen meinen Willen gebrauchst.“

Es dauerte nicht lange, so war der Arzt in der ganzen Welt beruͤhmt. „Wenn der den Kranken nur ansieht, weiß er gleich, ob er wieder gesund wird oder ob er sterben muß,“ so hieß es von ihm und weit und breit kamen die Leute und holten ihn und gaben ihm Gold, so viel, als er verlangte, also daß er bald

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[216/0280] „nimm mich zum Gevatter.“ „Wer bist du?“ fragte der Mann. „Jch bin der Tod, der alles gleich macht.“ Da sprach der Mann: „du bist der rechte, du holst den Reichen und den Armen ohne Unterschied, du sollst mein Gevattersmann seyn.“ Der Tod antwortete: „ich will dein Kind reich und beruͤhmt machen auf der Welt, denn wer mich zum Freund hat, dem kanns nicht fehlen.“ Sprach der Mann: „kuͤnftigen Sonntag ist die Taufe, da stell dich zu rechter Zeit ein.“ Der Tod erschien, wie er versprochen hatte, und hielt das Kind uͤber die Taufe. Als der Knabe nun zu Jahren gekommen war, trat zu einer Zeit der Pathe ein, nahm ihn mit sich hinaus in den Wald, und als sie ganz allein waren, sprach er: „jetzt sollst du dein Pathengeschenk haben. Jch mache dich zu einem beruͤhmten Arzt. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so will ich dir jedesmal erscheinen, stehe ich zu Fuͤßen des Kranken, so sprich keck, ich will ihn wieder gesund machen, und gieb ihm nur von einem gewissen Kraut ein, das ich dir zeigen will, so wird er genesen; stehe ich aber zu Haͤupten des Kranken, so ist er mein und dann sprich: „alle Hilfe ist umsonst, der muß sterben.“ Dann zeigte ihm der Tod das Kraut und sprach: „huͤte dich, daß du es nicht gegen meinen Willen gebrauchst.“ Es dauerte nicht lange, so war der Arzt in der ganzen Welt beruͤhmt. „Wenn der den Kranken nur ansieht, weiß er gleich, ob er wieder gesund wird oder ob er sterben muß,“ so hieß es von ihm und weit und breit kamen die Leute und holten ihn und gaben ihm Gold, so viel, als er verlangte, also daß er bald

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/280>, abgerufen am 07.05.2024.