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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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die Königin darüber freuete, sprach die Jungfrau Maria: willst du nun eingestehen, daß du die verbotene Thür geöffnet hast; so will ich dir deine beiden Söhnlein zurück geben." Die Königin antwortete zum drittenmal: nein, ich habe die verbotene Thüre nicht geöffnet." Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde sinken und nahm ihr auch das dritte Kind.

Am andern Morgen, als es ruchtbar ward, schrien alle Leute laut: die Königin ist eine Menschenfresserin und muß verurtheilt werden!" und der König konnte seine Räthe nicht mehr zurückweisen. Es wurde ein Gericht über sie gehalten und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen und als sie nun an den Pfahl festgebunden war und das Feuer rings herum zu brennen anfing, da ward ihr Herz von Reue bewegt und sie dachte, könnt ich vor meinem Tode gestehen, daß ich die Thüre geöffnet habe und rief: "o Maria, ich hab es gethan!" Und wie der Gedanke in ihr Herz kam, da fing der Himmel an zu regnen und löschte die Feuerflammen und über ihr brach ein Licht hervor und die Jungfrau Maria kam herab und hatte die beiden Söhnlein zu ihren Seiten, das neu geborne Töchterlein auf dem Arm. Sie sprach freundlich zu ihr: "wer seine Sünde gesteht und bereut, dem ist sie vergeben," und reichte ihr die Kinder, löste ihr den Mund und gab ihr Glück für ihr ganzes Leben.


die Koͤnigin daruͤber freuete, sprach die Jungfrau Maria: willst du nun eingestehen, daß du die verbotene Thuͤr geoͤffnet hast; so will ich dir deine beiden Soͤhnlein zuruͤck geben.“ Die Koͤnigin antwortete zum drittenmal: nein, ich habe die verbotene Thuͤre nicht geoͤffnet.“ Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde sinken und nahm ihr auch das dritte Kind.

Am andern Morgen, als es ruchtbar ward, schrien alle Leute laut: die Koͤnigin ist eine Menschenfresserin und muß verurtheilt werden!“ und der Koͤnig konnte seine Raͤthe nicht mehr zuruͤckweisen. Es wurde ein Gericht uͤber sie gehalten und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen und als sie nun an den Pfahl festgebunden war und das Feuer rings herum zu brennen anfing, da ward ihr Herz von Reue bewegt und sie dachte, koͤnnt ich vor meinem Tode gestehen, daß ich die Thuͤre geoͤffnet habe und rief: „o Maria, ich hab es gethan!“ Und wie der Gedanke in ihr Herz kam, da fing der Himmel an zu regnen und loͤschte die Feuerflammen und uͤber ihr brach ein Licht hervor und die Jungfrau Maria kam herab und hatte die beiden Soͤhnlein zu ihren Seiten, das neu geborne Toͤchterlein auf dem Arm. Sie sprach freundlich zu ihr: „wer seine Suͤnde gesteht und bereut, dem ist sie vergeben,“ und reichte ihr die Kinder, loͤste ihr den Mund und gab ihr Gluͤck fuͤr ihr ganzes Leben.


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[13/0077] die Koͤnigin daruͤber freuete, sprach die Jungfrau Maria: willst du nun eingestehen, daß du die verbotene Thuͤr geoͤffnet hast; so will ich dir deine beiden Soͤhnlein zuruͤck geben.“ Die Koͤnigin antwortete zum drittenmal: nein, ich habe die verbotene Thuͤre nicht geoͤffnet.“ Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde sinken und nahm ihr auch das dritte Kind. Am andern Morgen, als es ruchtbar ward, schrien alle Leute laut: die Koͤnigin ist eine Menschenfresserin und muß verurtheilt werden!“ und der Koͤnig konnte seine Raͤthe nicht mehr zuruͤckweisen. Es wurde ein Gericht uͤber sie gehalten und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen und als sie nun an den Pfahl festgebunden war und das Feuer rings herum zu brennen anfing, da ward ihr Herz von Reue bewegt und sie dachte, koͤnnt ich vor meinem Tode gestehen, daß ich die Thuͤre geoͤffnet habe und rief: „o Maria, ich hab es gethan!“ Und wie der Gedanke in ihr Herz kam, da fing der Himmel an zu regnen und loͤschte die Feuerflammen und uͤber ihr brach ein Licht hervor und die Jungfrau Maria kam herab und hatte die beiden Soͤhnlein zu ihren Seiten, das neu geborne Toͤchterlein auf dem Arm. Sie sprach freundlich zu ihr: „wer seine Suͤnde gesteht und bereut, dem ist sie vergeben,“ und reichte ihr die Kinder, loͤste ihr den Mund und gab ihr Gluͤck fuͤr ihr ganzes Leben.

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/77>, abgerufen am 28.04.2024.