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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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hörte und dachte bei sich: "du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird mein Lebtag nichts; was ein Häkchen werden will muß sich bei Zeiten krümmen." Der Vater seufzte und antwortete ihm: "das Gruseln, das sollst du schon noch lernen, aber dein Brod wirst du damit nicht verdienen."

Bald darnach kam der Küster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Noth und erzählte, wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wisse nichts und lerne nichts. "Denkt euch, als ich ihn gefragt, womit er sein Brot verdienen wolle, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen! "Ei, antwortete der Küster, das kann er bei mir lernen, thut ihn nur zu mir, ich will ihn schon abhobeln." Der Vater war es zufrieden, weil er dachte, der Junge wird doch ein wenig abgehobelt, und der Küster nahm ihn zu sich ins Haus, und er mußte ihm die Glocke läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehn, in den Kirchthurm steigen und läuten. "Da wirst du schon lernen, was Gruseln ist" dachte er, doch um ihm noch einen rechten Schrecken einzujagen, ging er heimlich voraus und stellte sich ins Schallloch, da sollte der Junge meinen, es wär ein Gespenst. Der Junge stieg ruhig den Thurm hinauf, als er oben hinkam, sah er eine Gestalt im Schalloch. "Wer steht dort?" rief er, aber es regte und bewegte sich nicht. Da sprach er: "was willst du hier in der Nacht? mach, daß du fortkommst, oder ich werf dich hinunter." Der Küster dachte, es wird so arg nicht gemeint seyn, schwieg und blieb unbeweglich stehn; da rief ihn der Junge zum drittenmal an, und

hoͤrte und dachte bei sich: „du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird mein Lebtag nichts; was ein Haͤkchen werden will muß sich bei Zeiten kruͤmmen.“ Der Vater seufzte und antwortete ihm: „das Gruseln, das sollst du schon noch lernen, aber dein Brod wirst du damit nicht verdienen.“

Bald darnach kam der Kuͤster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Noth und erzaͤhlte, wie sein juͤngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen waͤre, er wisse nichts und lerne nichts. „Denkt euch, als ich ihn gefragt, womit er sein Brot verdienen wolle, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen! „Ei, antwortete der Kuͤster, das kann er bei mir lernen, thut ihn nur zu mir, ich will ihn schon abhobeln.“ Der Vater war es zufrieden, weil er dachte, der Junge wird doch ein wenig abgehobelt, und der Kuͤster nahm ihn zu sich ins Haus, und er mußte ihm die Glocke laͤuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehn, in den Kirchthurm steigen und laͤuten. „Da wirst du schon lernen, was Gruseln ist“ dachte er, doch um ihm noch einen rechten Schrecken einzujagen, ging er heimlich voraus und stellte sich ins Schallloch, da sollte der Junge meinen, es waͤr ein Gespenst. Der Junge stieg ruhig den Thurm hinauf, als er oben hinkam, sah er eine Gestalt im Schalloch. „Wer steht dort?“ rief er, aber es regte und bewegte sich nicht. Da sprach er: „was willst du hier in der Nacht? mach, daß du fortkommst, oder ich werf dich hinunter.“ Der Kuͤster dachte, es wird so arg nicht gemeint seyn, schwieg und blieb unbeweglich stehn; da rief ihn der Junge zum drittenmal an, und

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[15/0079] hoͤrte und dachte bei sich: „du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird mein Lebtag nichts; was ein Haͤkchen werden will muß sich bei Zeiten kruͤmmen.“ Der Vater seufzte und antwortete ihm: „das Gruseln, das sollst du schon noch lernen, aber dein Brod wirst du damit nicht verdienen.“ Bald darnach kam der Kuͤster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Noth und erzaͤhlte, wie sein juͤngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen waͤre, er wisse nichts und lerne nichts. „Denkt euch, als ich ihn gefragt, womit er sein Brot verdienen wolle, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen! „Ei, antwortete der Kuͤster, das kann er bei mir lernen, thut ihn nur zu mir, ich will ihn schon abhobeln.“ Der Vater war es zufrieden, weil er dachte, der Junge wird doch ein wenig abgehobelt, und der Kuͤster nahm ihn zu sich ins Haus, und er mußte ihm die Glocke laͤuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehn, in den Kirchthurm steigen und laͤuten. „Da wirst du schon lernen, was Gruseln ist“ dachte er, doch um ihm noch einen rechten Schrecken einzujagen, ging er heimlich voraus und stellte sich ins Schallloch, da sollte der Junge meinen, es waͤr ein Gespenst. Der Junge stieg ruhig den Thurm hinauf, als er oben hinkam, sah er eine Gestalt im Schalloch. „Wer steht dort?“ rief er, aber es regte und bewegte sich nicht. Da sprach er: „was willst du hier in der Nacht? mach, daß du fortkommst, oder ich werf dich hinunter.“ Der Kuͤster dachte, es wird so arg nicht gemeint seyn, schwieg und blieb unbeweglich stehn; da rief ihn der Junge zum drittenmal an, und

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/79>, abgerufen am 27.04.2024.