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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843.

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begehre ich zu heirathen und keine andere auf der Welt,' und nach einigen Tagen vermählte er sich mit ihr.

Der König aber hatte eine böse Mutter, die war unzufrieden mit dieser Heirath, und sprach schlecht von der jungen Königin. 'Wer weiß, wo die Dirne her ist,' sagte sie, 'die nicht reden kann: sie ist eines Königs nicht würdig.' Über ein Jahr, als die Königin das erste Kind zur Welt brachte, nahm es ihr die Alte weg, und bestrich ihr im Schlafe den Mund mit Blut. Dann gieng sie zum König, und klagte sie an, sie sei eine Menschenfresserin. Der König wollte es nicht glauben, und litt nicht daß man ihr ein Leid anthat. Sie saß aber beständig, und nähte an den Hemden, und achtete auf nichts anderes. Das nächstemal, als sie wieder einen schönen Knaben gebar, übte die falsche Schwiegermutter denselben Betrug aus, aber der König konnte sich nicht entschließen ihren Reden Glauben beizumessen, und sprach 'sie ist zu fromm und gut als daß sie so etwas thun könnte, wäre sie nicht stumm, und könnte sie sich vertheidigen, so würde ihre Unschuld an den Tag kommen.' Als aber das drittemal die Alte das neugeborne Kind raubte, und die Königin anklagte, 'die kein Wort zu ihrer Vertheidigung vorbrachte, so konnte der König nicht anders, er mußte sie dem Gericht übergeben, und das verurtheilte sie den Tod durchs Feuer zu erleiden.

Als der Tag heran kam, wo das Urtheil sollte vollzogen werden, da war zugleich der letzte Tag von den sechs Jahren herum, in welchen sie nicht sprechen und nicht lachen durfte, und sie hatte ihre lieben Brüder aus der Macht des Zaubers befreit. Die sechs Hemden waren fertig

begehre ich zu heirathen und keine andere auf der Welt,’ und nach einigen Tagen vermählte er sich mit ihr.

Der König aber hatte eine böse Mutter, die war unzufrieden mit dieser Heirath, und sprach schlecht von der jungen Königin. ‘Wer weiß, wo die Dirne her ist,’ sagte sie, ‘die nicht reden kann: sie ist eines Königs nicht würdig.’ Über ein Jahr, als die Königin das erste Kind zur Welt brachte, nahm es ihr die Alte weg, und bestrich ihr im Schlafe den Mund mit Blut. Dann gieng sie zum König, und klagte sie an, sie sei eine Menschenfresserin. Der König wollte es nicht glauben, und litt nicht daß man ihr ein Leid anthat. Sie saß aber beständig, und nähte an den Hemden, und achtete auf nichts anderes. Das nächstemal, als sie wieder einen schönen Knaben gebar, übte die falsche Schwiegermutter denselben Betrug aus, aber der König konnte sich nicht entschließen ihren Reden Glauben beizumessen, und sprach ‘sie ist zu fromm und gut als daß sie so etwas thun könnte, wäre sie nicht stumm, und könnte sie sich vertheidigen, so würde ihre Unschuld an den Tag kommen.’ Als aber das drittemal die Alte das neugeborne Kind raubte, und die Königin anklagte, ‘die kein Wort zu ihrer Vertheidigung vorbrachte, so konnte der König nicht anders, er mußte sie dem Gericht übergeben, und das verurtheilte sie den Tod durchs Feuer zu erleiden.

Als der Tag heran kam, wo das Urtheil sollte vollzogen werden, da war zugleich der letzte Tag von den sechs Jahren herum, in welchen sie nicht sprechen und nicht lachen durfte, und sie hatte ihre lieben Brüder aus der Macht des Zaubers befreit. Die sechs Hemden waren fertig

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[291/0329] begehre ich zu heirathen und keine andere auf der Welt,’ und nach einigen Tagen vermählte er sich mit ihr. Der König aber hatte eine böse Mutter, die war unzufrieden mit dieser Heirath, und sprach schlecht von der jungen Königin. ‘Wer weiß, wo die Dirne her ist,’ sagte sie, ‘die nicht reden kann: sie ist eines Königs nicht würdig.’ Über ein Jahr, als die Königin das erste Kind zur Welt brachte, nahm es ihr die Alte weg, und bestrich ihr im Schlafe den Mund mit Blut. Dann gieng sie zum König, und klagte sie an, sie sei eine Menschenfresserin. Der König wollte es nicht glauben, und litt nicht daß man ihr ein Leid anthat. Sie saß aber beständig, und nähte an den Hemden, und achtete auf nichts anderes. Das nächstemal, als sie wieder einen schönen Knaben gebar, übte die falsche Schwiegermutter denselben Betrug aus, aber der König konnte sich nicht entschließen ihren Reden Glauben beizumessen, und sprach ‘sie ist zu fromm und gut als daß sie so etwas thun könnte, wäre sie nicht stumm, und könnte sie sich vertheidigen, so würde ihre Unschuld an den Tag kommen.’ Als aber das drittemal die Alte das neugeborne Kind raubte, und die Königin anklagte, ‘die kein Wort zu ihrer Vertheidigung vorbrachte, so konnte der König nicht anders, er mußte sie dem Gericht übergeben, und das verurtheilte sie den Tod durchs Feuer zu erleiden. Als der Tag heran kam, wo das Urtheil sollte vollzogen werden, da war zugleich der letzte Tag von den sechs Jahren herum, in welchen sie nicht sprechen und nicht lachen durfte, und sie hatte ihre lieben Brüder aus der Macht des Zaubers befreit. Die sechs Hemden waren fertig

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1843, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1843/329>, abgerufen am 02.05.2024.