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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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damit auf den Baum. Als es in der Mitte war, rutschte es auf einem Ast bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam, und ließ dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen. Der Riese spürte lange nichts, doch endlich wachte er auf, stieß seinen Gesellen an und sprach 'was schlägst du mich.' 'Du träumst,' sagte der andere, 'ich schlage dich nicht.' Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab. 'Was soll das?' rief der andere, 'warum wirfst du mich?' 'Jch werfe dich nicht,' antwortete der erste und brummte. Sie zankten sich eine Weile herum, doch weil sie müde waren, ließen sies gut sein, und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fieng sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust. 'Das ist zu arg!' schrie er, sprang wie ein Unsinniger auf und stieß seinen Gesellen wider den Baum daß dieser zitterte. Der andere zahlte mit gleicher Münze, und sie geriethen in solche Wuth, daß sie Bäume ausrissen, auf einander los schlugen, so lang bis sie endlich beide zugleich todt auf die Erde fielen. Nun sprang das Schneiderlein herab. 'Ein Glück nur,' sprach es, 'daß sie den Baum, auf dem ich saß, nicht ausgerissen haben, sonst hätte ich wie ein Eichhörnchen auf einen andern springen müssen: doch unser einer ist flüchtig!' Es zog sein Schwert und versetzte jedem ein paar tüchtige Hiebe in die Brust, dann gieng es hinaus zu den Reitern und sprach 'die Arbeit ist gethan, ich habe beiden den Garaus gemacht: aber hart ist es hergegangen, sie haben in der Noth Bäume ausgerissen und sich gewehrt, doch das hilft alles nichts wenn einer kommt wie ich, der siebene auf einen Streich schlägt.' 'Seid ihr denn nicht verwundet?' fragten die Reiter. 'Das hat gute Wege,' antwortete der Schneider, 'kein Haar haben sie mir gekrümmt.' Die Reiter wollten ihm keinen Glauben beimessen und ritten in den Wald hinein: da fanden sie

damit auf den Baum. Als es in der Mitte war, rutschte es auf einem Ast bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam, und ließ dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen. Der Riese spürte lange nichts, doch endlich wachte er auf, stieß seinen Gesellen an und sprach ‘was schlägst du mich.’ ‘Du träumst,’ sagte der andere, ‘ich schlage dich nicht.’ Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab. ‘Was soll das?’ rief der andere, ‘warum wirfst du mich?’ ‘Jch werfe dich nicht,’ antwortete der erste und brummte. Sie zankten sich eine Weile herum, doch weil sie müde waren, ließen sies gut sein, und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fieng sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust. ‘Das ist zu arg!’ schrie er, sprang wie ein Unsinniger auf und stieß seinen Gesellen wider den Baum daß dieser zitterte. Der andere zahlte mit gleicher Münze, und sie geriethen in solche Wuth, daß sie Bäume ausrissen, auf einander los schlugen, so lang bis sie endlich beide zugleich todt auf die Erde fielen. Nun sprang das Schneiderlein herab. ‘Ein Glück nur,’ sprach es, ‘daß sie den Baum, auf dem ich saß, nicht ausgerissen haben, sonst hätte ich wie ein Eichhörnchen auf einen andern springen müssen: doch unser einer ist flüchtig!’ Es zog sein Schwert und versetzte jedem ein paar tüchtige Hiebe in die Brust, dann gieng es hinaus zu den Reitern und sprach ‘die Arbeit ist gethan, ich habe beiden den Garaus gemacht: aber hart ist es hergegangen, sie haben in der Noth Bäume ausgerissen und sich gewehrt, doch das hilft alles nichts wenn einer kommt wie ich, der siebene auf einen Streich schlägt.’ ‘Seid ihr denn nicht verwundet?’ fragten die Reiter. ‘Das hat gute Wege,’ antwortete der Schneider, ‘kein Haar haben sie mir gekrümmt.’ Die Reiter wollten ihm keinen Glauben beimessen und ritten in den Wald hinein: da fanden sie

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[115/0148] damit auf den Baum. Als es in der Mitte war, rutschte es auf einem Ast bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam, und ließ dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen. Der Riese spürte lange nichts, doch endlich wachte er auf, stieß seinen Gesellen an und sprach ‘was schlägst du mich.’ ‘Du träumst,’ sagte der andere, ‘ich schlage dich nicht.’ Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab. ‘Was soll das?’ rief der andere, ‘warum wirfst du mich?’ ‘Jch werfe dich nicht,’ antwortete der erste und brummte. Sie zankten sich eine Weile herum, doch weil sie müde waren, ließen sies gut sein, und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fieng sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust. ‘Das ist zu arg!’ schrie er, sprang wie ein Unsinniger auf und stieß seinen Gesellen wider den Baum daß dieser zitterte. Der andere zahlte mit gleicher Münze, und sie geriethen in solche Wuth, daß sie Bäume ausrissen, auf einander los schlugen, so lang bis sie endlich beide zugleich todt auf die Erde fielen. Nun sprang das Schneiderlein herab. ‘Ein Glück nur,’ sprach es, ‘daß sie den Baum, auf dem ich saß, nicht ausgerissen haben, sonst hätte ich wie ein Eichhörnchen auf einen andern springen müssen: doch unser einer ist flüchtig!’ Es zog sein Schwert und versetzte jedem ein paar tüchtige Hiebe in die Brust, dann gieng es hinaus zu den Reitern und sprach ‘die Arbeit ist gethan, ich habe beiden den Garaus gemacht: aber hart ist es hergegangen, sie haben in der Noth Bäume ausgerissen und sich gewehrt, doch das hilft alles nichts wenn einer kommt wie ich, der siebene auf einen Streich schlägt.’ ‘Seid ihr denn nicht verwundet?’ fragten die Reiter. ‘Das hat gute Wege,’ antwortete der Schneider, ‘kein Haar haben sie mir gekrümmt.’ Die Reiter wollten ihm keinen Glauben beimessen und ritten in den Wald hinein: da fanden sie

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/148>, abgerufen am 27.04.2024.