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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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Da giengen sie beide hinaus auf die Landstraße. Es war aber warmes Wetter, und als sie ein Eckchen gegangen waren, sprach der Hund 'ich bin müde und möchte gerne schlafen.' 'Ja, schlaf nur,' antwortete der Sperling, 'ich will mich derweil auf einen Zweig setzen.' Der Hund legte sich also auf die Straße und schlief fest ein. Während er da lag und schlief, kam ein Fuhrmann heran gefahren, der hatte einen Wagen mit drei Pferden, und hatte zwei Fässer Wein geladen. Der Sperling aber sah daß er nicht ausbiegen wollte, sondern in der Fahrgleise blieb, in welcher der Hund lag, da rief er 'Fuhrmann, thus nicht, oder ich mache dich arm.' Der Fuhrmann aber brummte vor sich 'du wirst mich nicht arm machen,' knallte mit der Peitsche und trieb den Wagen über den Hund, daß ihn die Räder todt fuhren. Da rief der Sperling 'du hast mir meinen Bruder Hund todt gefahren, das soll dich Karre und Gaul kosten.' 'Ja, Karre und Gaul,' sagte der Fuhrmann, 'was könntest du mir schaden!' und fuhr weiter. Da kroch der Sperling unter das Wagentuch und pickte an dem einen Spuntloch so lange, bis er den Spunt losbrachte: da lief der ganze Wein heraus, ohne daß es der Fuhrmann merkte. Und als er einmal hinter sich blickte, sah er daß der Wagen tröpfelte, untersuchte die Fässer und fand daß eins leer war. 'Ach, ich armer Mann!' rief er. 'Noch nicht arm genug' sprach der Sperling und flog dem einen Pferd auf den Kopf und pickte ihm die Augen aus. Als der Fuhrmann das sah, zog er seine Hacke heraus und wollte den Sperling treffen, aber der Sperling flog in die Höhe, und der Fuhrmann traf seinen Gaul auf den Kopf, daß er todt hinfiel. 'Ach, ich armer Mann!' rief er. 'Noch nicht arm genug' sprach der Sperling, und als der Fuhrmann mit den zwei Pferden weiter fuhr, kroch der Sperling wieder unter das Tuch und pickte den Spunt auch am zweiten Faß los, daß aller Wein herausschwankte. Als es der Fuhrmann gewahr wurde, rief er wieder, 'ach, ich

Da giengen sie beide hinaus auf die Landstraße. Es war aber warmes Wetter, und als sie ein Eckchen gegangen waren, sprach der Hund ‘ich bin müde und möchte gerne schlafen.’ ‘Ja, schlaf nur,’ antwortete der Sperling, ‘ich will mich derweil auf einen Zweig setzen.’ Der Hund legte sich also auf die Straße und schlief fest ein. Während er da lag und schlief, kam ein Fuhrmann heran gefahren, der hatte einen Wagen mit drei Pferden, und hatte zwei Fässer Wein geladen. Der Sperling aber sah daß er nicht ausbiegen wollte, sondern in der Fahrgleise blieb, in welcher der Hund lag, da rief er ‘Fuhrmann, thus nicht, oder ich mache dich arm.’ Der Fuhrmann aber brummte vor sich ‘du wirst mich nicht arm machen,’ knallte mit der Peitsche und trieb den Wagen über den Hund, daß ihn die Räder todt fuhren. Da rief der Sperling ‘du hast mir meinen Bruder Hund todt gefahren, das soll dich Karre und Gaul kosten.’ ‘Ja, Karre und Gaul,’ sagte der Fuhrmann, ‘was könntest du mir schaden!’ und fuhr weiter. Da kroch der Sperling unter das Wagentuch und pickte an dem einen Spuntloch so lange, bis er den Spunt losbrachte: da lief der ganze Wein heraus, ohne daß es der Fuhrmann merkte. Und als er einmal hinter sich blickte, sah er daß der Wagen tröpfelte, untersuchte die Fässer und fand daß eins leer war. ‘Ach, ich armer Mann!’ rief er. ‘Noch nicht arm genug’ sprach der Sperling und flog dem einen Pferd auf den Kopf und pickte ihm die Augen aus. Als der Fuhrmann das sah, zog er seine Hacke heraus und wollte den Sperling treffen, aber der Sperling flog in die Höhe, und der Fuhrmann traf seinen Gaul auf den Kopf, daß er todt hinfiel. ‘Ach, ich armer Mann!’ rief er. ‘Noch nicht arm genug’ sprach der Sperling, und als der Fuhrmann mit den zwei Pferden weiter fuhr, kroch der Sperling wieder unter das Tuch und pickte den Spunt auch am zweiten Faß los, daß aller Wein herausschwankte. Als es der Fuhrmann gewahr wurde, rief er wieder, ‘ach, ich

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[300/0333] Da giengen sie beide hinaus auf die Landstraße. Es war aber warmes Wetter, und als sie ein Eckchen gegangen waren, sprach der Hund ‘ich bin müde und möchte gerne schlafen.’ ‘Ja, schlaf nur,’ antwortete der Sperling, ‘ich will mich derweil auf einen Zweig setzen.’ Der Hund legte sich also auf die Straße und schlief fest ein. Während er da lag und schlief, kam ein Fuhrmann heran gefahren, der hatte einen Wagen mit drei Pferden, und hatte zwei Fässer Wein geladen. Der Sperling aber sah daß er nicht ausbiegen wollte, sondern in der Fahrgleise blieb, in welcher der Hund lag, da rief er ‘Fuhrmann, thus nicht, oder ich mache dich arm.’ Der Fuhrmann aber brummte vor sich ‘du wirst mich nicht arm machen,’ knallte mit der Peitsche und trieb den Wagen über den Hund, daß ihn die Räder todt fuhren. Da rief der Sperling ‘du hast mir meinen Bruder Hund todt gefahren, das soll dich Karre und Gaul kosten.’ ‘Ja, Karre und Gaul,’ sagte der Fuhrmann, ‘was könntest du mir schaden!’ und fuhr weiter. Da kroch der Sperling unter das Wagentuch und pickte an dem einen Spuntloch so lange, bis er den Spunt losbrachte: da lief der ganze Wein heraus, ohne daß es der Fuhrmann merkte. Und als er einmal hinter sich blickte, sah er daß der Wagen tröpfelte, untersuchte die Fässer und fand daß eins leer war. ‘Ach, ich armer Mann!’ rief er. ‘Noch nicht arm genug’ sprach der Sperling und flog dem einen Pferd auf den Kopf und pickte ihm die Augen aus. Als der Fuhrmann das sah, zog er seine Hacke heraus und wollte den Sperling treffen, aber der Sperling flog in die Höhe, und der Fuhrmann traf seinen Gaul auf den Kopf, daß er todt hinfiel. ‘Ach, ich armer Mann!’ rief er. ‘Noch nicht arm genug’ sprach der Sperling, und als der Fuhrmann mit den zwei Pferden weiter fuhr, kroch der Sperling wieder unter das Tuch und pickte den Spunt auch am zweiten Faß los, daß aller Wein herausschwankte. Als es der Fuhrmann gewahr wurde, rief er wieder, ‘ach, ich

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/333>, abgerufen am 29.04.2024.