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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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in Gestalt von weißen Tauben, die mußten täglich zweimal zu ihr fliegen und ihr das Essen bringen, bis die sieben Jahre herum waren.

Der Koch aber dachte bei sich 'hat das Kind wünschliche Gedanken und ich bin hier, so könnte es mich leicht ins Unglück bringen.' Da machte er sich vom Schloß weg, und gieng zu dem Knaben, der war schon so groß, daß er sprechen konnte, und sagte zu ihm 'wünsche dir ein schönes Schloß mit einem Garten und was dazu gehört.' Und kaum waren die Worte aus dem Munde des Knaben, so stand alles da, was er gewünscht hatte. Über eine Zeit sprach der Koch zu ihm 'es ist nicht gut, daß du so allein bist, wünsche dir eine schöne Jungfrau zur Gesellschaft.' Da wünschte sie der Königssohn herbei, und sie stand gleich vor ihm, und war so schön, wie sie kein Maler malen konnte. Nun spielten die beide zusammen, und hatten sich von Herzen lieb, und der alte Koch gieng auf die Jagd, wie ein vornehmer Mann. Es kam ihm aber der Gedanke, der Königssohn könnte einmal wünschen bei seinem Vater zu sein und ihn damit in große Noth bringen. Da gieng er hinaus, nahm das Mädchen beiseit und sprach 'diese Nacht, wenn der Knabe schläft, so geh an sein Bett und stoß ihm das Messer ins Herz und bring mir Herz und Zunge von ihm; und wenn du das nicht thust, so sollst du dein Leben verlieren.' Darauf gieng er fort, und als er am andern Tag wieder kam, so hatte sie es nicht gethan und sprach 'was soll ich ein unschuldiges Blut ums Leben bringen, das noch niemand beleidigt hat?' Sprach der Koch wieder 'wo du es nicht thust, so kostet dichs selbst dein Leben.' Als er weggegangen war, ließ sie sich eine kleine Hirschkuh herbei holen, und ließ sie schlachten, und nahm Herz und Zunge, und legte sie auf einen Teller, und als sie den Alten kommen sah, sprach sie zu dem Knaben 'leg dich ins Bett und zieh die Decke über dich.'

in Gestalt von weißen Tauben, die mußten täglich zweimal zu ihr fliegen und ihr das Essen bringen, bis die sieben Jahre herum waren.

Der Koch aber dachte bei sich ‘hat das Kind wünschliche Gedanken und ich bin hier, so könnte es mich leicht ins Unglück bringen.’ Da machte er sich vom Schloß weg, und gieng zu dem Knaben, der war schon so groß, daß er sprechen konnte, und sagte zu ihm ‘wünsche dir ein schönes Schloß mit einem Garten und was dazu gehört.’ Und kaum waren die Worte aus dem Munde des Knaben, so stand alles da, was er gewünscht hatte. Über eine Zeit sprach der Koch zu ihm ‘es ist nicht gut, daß du so allein bist, wünsche dir eine schöne Jungfrau zur Gesellschaft.’ Da wünschte sie der Königssohn herbei, und sie stand gleich vor ihm, und war so schön, wie sie kein Maler malen konnte. Nun spielten die beide zusammen, und hatten sich von Herzen lieb, und der alte Koch gieng auf die Jagd, wie ein vornehmer Mann. Es kam ihm aber der Gedanke, der Königssohn könnte einmal wünschen bei seinem Vater zu sein und ihn damit in große Noth bringen. Da gieng er hinaus, nahm das Mädchen beiseit und sprach ‘diese Nacht, wenn der Knabe schläft, so geh an sein Bett und stoß ihm das Messer ins Herz und bring mir Herz und Zunge von ihm; und wenn du das nicht thust, so sollst du dein Leben verlieren.’ Darauf gieng er fort, und als er am andern Tag wieder kam, so hatte sie es nicht gethan und sprach ‘was soll ich ein unschuldiges Blut ums Leben bringen, das noch niemand beleidigt hat?’ Sprach der Koch wieder ‘wo du es nicht thust, so kostet dichs selbst dein Leben.’ Als er weggegangen war, ließ sie sich eine kleine Hirschkuh herbei holen, und ließ sie schlachten, und nahm Herz und Zunge, und legte sie auf einen Teller, und als sie den Alten kommen sah, sprach sie zu dem Knaben ‘leg dich ins Bett und zieh die Decke über dich.’

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[390/0423] in Gestalt von weißen Tauben, die mußten täglich zweimal zu ihr fliegen und ihr das Essen bringen, bis die sieben Jahre herum waren. Der Koch aber dachte bei sich ‘hat das Kind wünschliche Gedanken und ich bin hier, so könnte es mich leicht ins Unglück bringen.’ Da machte er sich vom Schloß weg, und gieng zu dem Knaben, der war schon so groß, daß er sprechen konnte, und sagte zu ihm ‘wünsche dir ein schönes Schloß mit einem Garten und was dazu gehört.’ Und kaum waren die Worte aus dem Munde des Knaben, so stand alles da, was er gewünscht hatte. Über eine Zeit sprach der Koch zu ihm ‘es ist nicht gut, daß du so allein bist, wünsche dir eine schöne Jungfrau zur Gesellschaft.’ Da wünschte sie der Königssohn herbei, und sie stand gleich vor ihm, und war so schön, wie sie kein Maler malen konnte. Nun spielten die beide zusammen, und hatten sich von Herzen lieb, und der alte Koch gieng auf die Jagd, wie ein vornehmer Mann. Es kam ihm aber der Gedanke, der Königssohn könnte einmal wünschen bei seinem Vater zu sein und ihn damit in große Noth bringen. Da gieng er hinaus, nahm das Mädchen beiseit und sprach ‘diese Nacht, wenn der Knabe schläft, so geh an sein Bett und stoß ihm das Messer ins Herz und bring mir Herz und Zunge von ihm; und wenn du das nicht thust, so sollst du dein Leben verlieren.’ Darauf gieng er fort, und als er am andern Tag wieder kam, so hatte sie es nicht gethan und sprach ‘was soll ich ein unschuldiges Blut ums Leben bringen, das noch niemand beleidigt hat?’ Sprach der Koch wieder ‘wo du es nicht thust, so kostet dichs selbst dein Leben.’ Als er weggegangen war, ließ sie sich eine kleine Hirschkuh herbei holen, und ließ sie schlachten, und nahm Herz und Zunge, und legte sie auf einen Teller, und als sie den Alten kommen sah, sprach sie zu dem Knaben ‘leg dich ins Bett und zieh die Decke über dich.’

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/423>, abgerufen am 29.04.2024.