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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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Gang. Jndem kam der Gast, klopfte sittig und höflich an der Hausthüre. Grethel lief und schaute wer da war, und als es den Gast sah, hielt es den Finger an den Mund und sprach 'still! still! macht geschwind daß ihr wieder fort kommt, wenn euch mein Herr erwischt, so seid ihr unglücklich; er hat euch zwar zum Nachtessen eingeladen, aber er hat nichts anders im Sinn, als euch die beiden Ohren abzuschneiden. Hört nur wie er das Messer dazu wetzt.' Der Gast hörte das Wetzen und eilte was er konnte die Stiegen wieder hinab. Grethel war nicht faul, lief schreiend zu dem Herrn und rief 'da habt ihr einen schönen Gast eingeladen!' 'Ei, warum, Grethel? was meinst du damit?' 'Ja,' sagte es, 'der hat mir beide Hühner, die ich eben auftragen wollte, von der Schüssel genommen und ist damit fortgelaufen.' 'Das ist feine Weise!' sprach der Herr, und ward ihm leid um die schönen Hühner, 'wenn er mir dann wenigstens das eine gelassen hätte, damit mir was zu essen geblieben wäre.' Er rief ihm nach er sollte bleiben, aber der Gast that als hörte er es nicht. Da lief er hinter ihm her, das Messer noch immer in der Hand, und schrie 'nur eins! nur eins!' und meinte, der Gast sollte ihm nur ein Huhn lassen, und nicht alle beide nehmen: der Gast aber meinte nicht anders, als er sollte eins von seinen Ohren hergeben, und lief als wenn Feuer unter ihm brennte, damit er sie beide heimbrächte.



Gang. Jndem kam der Gast, klopfte sittig und höflich an der Hausthüre. Grethel lief und schaute wer da war, und als es den Gast sah, hielt es den Finger an den Mund und sprach ‘still! still! macht geschwind daß ihr wieder fort kommt, wenn euch mein Herr erwischt, so seid ihr unglücklich; er hat euch zwar zum Nachtessen eingeladen, aber er hat nichts anders im Sinn, als euch die beiden Ohren abzuschneiden. Hört nur wie er das Messer dazu wetzt.’ Der Gast hörte das Wetzen und eilte was er konnte die Stiegen wieder hinab. Grethel war nicht faul, lief schreiend zu dem Herrn und rief ‘da habt ihr einen schönen Gast eingeladen!’ ‘Ei, warum, Grethel? was meinst du damit?’ ‘Ja,’ sagte es, ‘der hat mir beide Hühner, die ich eben auftragen wollte, von der Schüssel genommen und ist damit fortgelaufen.’ ‘Das ist feine Weise!’ sprach der Herr, und ward ihm leid um die schönen Hühner, ‘wenn er mir dann wenigstens das eine gelassen hätte, damit mir was zu essen geblieben wäre.’ Er rief ihm nach er sollte bleiben, aber der Gast that als hörte er es nicht. Da lief er hinter ihm her, das Messer noch immer in der Hand, und schrie ‘nur eins! nur eins!’ und meinte, der Gast sollte ihm nur ein Huhn lassen, und nicht alle beide nehmen: der Gast aber meinte nicht anders, als er sollte eins von seinen Ohren hergeben, und lief als wenn Feuer unter ihm brennte, damit er sie beide heimbrächte.



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Gang. Jndem kam der Gast, klopfte sittig und höflich an der Hausthüre. Grethel lief und schaute wer da war, und als es den Gast sah, hielt es den Finger an den Mund und sprach &#x2018;still! still! macht geschwind daß ihr wieder fort kommt, wenn euch mein Herr erwischt, so seid ihr unglücklich; er hat euch zwar zum Nachtessen eingeladen, aber er hat nichts anders im Sinn, als euch die beiden Ohren abzuschneiden. Hört nur wie er das Messer dazu wetzt.&#x2019; Der Gast hörte das Wetzen und eilte was er konnte die Stiegen wieder hinab. Grethel war nicht faul, lief schreiend zu dem Herrn und rief &#x2018;da habt ihr einen schönen Gast eingeladen!&#x2019; &#x2018;Ei, warum, Grethel? was meinst du damit?&#x2019; &#x2018;Ja,&#x2019; sagte es, &#x2018;der hat mir beide Hühner, die ich eben auftragen wollte, von der Schüssel genommen und ist damit fortgelaufen.&#x2019; &#x2018;Das ist feine Weise!&#x2019; sprach der Herr, und ward ihm leid um die schönen Hühner, &#x2018;wenn er mir dann wenigstens das eine gelassen hätte, damit mir was zu essen geblieben wäre.&#x2019; Er rief ihm nach er sollte bleiben, aber der Gast that als hörte er es nicht. Da lief er hinter ihm her, das Messer noch immer in der Hand, und schrie &#x2018;nur eins! nur eins!&#x2019; und meinte, der Gast sollte ihm nur ein Huhn lassen, und nicht alle beide nehmen: der Gast aber meinte nicht anders, als er sollte eins von seinen Ohren hergeben, und lief als wenn Feuer unter ihm brennte, damit er sie beide heimbrächte.</p>
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[397/0430] Gang. Jndem kam der Gast, klopfte sittig und höflich an der Hausthüre. Grethel lief und schaute wer da war, und als es den Gast sah, hielt es den Finger an den Mund und sprach ‘still! still! macht geschwind daß ihr wieder fort kommt, wenn euch mein Herr erwischt, so seid ihr unglücklich; er hat euch zwar zum Nachtessen eingeladen, aber er hat nichts anders im Sinn, als euch die beiden Ohren abzuschneiden. Hört nur wie er das Messer dazu wetzt.’ Der Gast hörte das Wetzen und eilte was er konnte die Stiegen wieder hinab. Grethel war nicht faul, lief schreiend zu dem Herrn und rief ‘da habt ihr einen schönen Gast eingeladen!’ ‘Ei, warum, Grethel? was meinst du damit?’ ‘Ja,’ sagte es, ‘der hat mir beide Hühner, die ich eben auftragen wollte, von der Schüssel genommen und ist damit fortgelaufen.’ ‘Das ist feine Weise!’ sprach der Herr, und ward ihm leid um die schönen Hühner, ‘wenn er mir dann wenigstens das eine gelassen hätte, damit mir was zu essen geblieben wäre.’ Er rief ihm nach er sollte bleiben, aber der Gast that als hörte er es nicht. Da lief er hinter ihm her, das Messer noch immer in der Hand, und schrie ‘nur eins! nur eins!’ und meinte, der Gast sollte ihm nur ein Huhn lassen, und nicht alle beide nehmen: der Gast aber meinte nicht anders, als er sollte eins von seinen Ohren hergeben, und lief als wenn Feuer unter ihm brennte, damit er sie beide heimbrächte.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/430>, abgerufen am 29.04.2024.