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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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dete ihn, daß er am ganzen Leibe blutete. "Gotts
willen, schrie der Jud', laß der Herr sein Geigen
seyn, was hab' ich verbrochen?" Die Leute hast
du genug geschunden, dachte der lustige Knecht, so
geschieht dir kein Unrecht, und spielte einen neuen
Hüpfauf. Da legte sich der Jud' auf Bitten und
Versprechen und wollte ihm Geld geben, wenn
er aufhörte, allein das Geld war dem Knecht erst
lange nicht genug und trieb ihn immer weiter, bis
der Jud' ihm hundert harte Gulden verhieß, die
er im Beutel führte und eben einem Christen ab-
geprellt hatte. Wie mein Knecht das viele Geld
sah, sprach er: "unter dieser Bedingung ja,"
nahm den Beutel und stellte sein Fiedeln ein;
darauf ging er ruhig und vergnügt weiter die
Straße.

Der Jud' riß sich halb nackicht und armselig
aus dem Dornstrauch, überschlug, wie er sich rä-
chen möchte, und fluchte dem Gesellen alles Böse
nach. Lief endlich zum Richter, klagte daß er von
einem Bösewicht unverschuldeterweise seines Geldes
beraubt und noch dazu zerschlagen wäre, daß es er-
barmte, und der Kerl, der es gethan hätte, trüge ein
Rohr auf dem Buckel und eine Geige hinge an sei-
nem Hals. Da sandte der Richter Boten und Hä-
scher aus, die sollten den Knecht fahen, wo sie ihn
könnten sehen, der wurde bald ertappt und vor
Gericht gestellt. Da klagte der Jud', daß er ihm
das Geld geraubt hätte, der Knecht sagte: "nein,

dete ihn, daß er am ganzen Leibe blutete. „Gotts
willen, ſchrie der Jud’, laß der Herr ſein Geigen
ſeyn, was hab’ ich verbrochen?“ Die Leute haſt
du genug geſchunden, dachte der luſtige Knecht, ſo
geſchieht dir kein Unrecht, und ſpielte einen neuen
Huͤpfauf. Da legte ſich der Jud’ auf Bitten und
Verſprechen und wollte ihm Geld geben, wenn
er aufhoͤrte, allein das Geld war dem Knecht erſt
lange nicht genug und trieb ihn immer weiter, bis
der Jud’ ihm hundert harte Gulden verhieß, die
er im Beutel fuͤhrte und eben einem Chriſten ab-
geprellt hatte. Wie mein Knecht das viele Geld
ſah, ſprach er: „unter dieſer Bedingung ja,“
nahm den Beutel und ſtellte ſein Fiedeln ein;
darauf ging er ruhig und vergnuͤgt weiter die
Straße.

Der Jud’ riß ſich halb nackicht und armſelig
aus dem Dornſtrauch, uͤberſchlug, wie er ſich raͤ-
chen moͤchte, und fluchte dem Geſellen alles Boͤſe
nach. Lief endlich zum Richter, klagte daß er von
einem Boͤſewicht unverſchuldeterweiſe ſeines Geldes
beraubt und noch dazu zerſchlagen waͤre, daß es er-
barmte, und der Kerl, der es gethan haͤtte, truͤge ein
Rohr auf dem Buckel und eine Geige hinge an ſei-
nem Hals. Da ſandte der Richter Boten und Haͤ-
ſcher aus, die ſollten den Knecht fahen, wo ſie ihn
koͤnnten ſehen, der wurde bald ertappt und vor
Gericht geſtellt. Da klagte der Jud’, daß er ihm
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[136/0157] dete ihn, daß er am ganzen Leibe blutete. „Gotts willen, ſchrie der Jud’, laß der Herr ſein Geigen ſeyn, was hab’ ich verbrochen?“ Die Leute haſt du genug geſchunden, dachte der luſtige Knecht, ſo geſchieht dir kein Unrecht, und ſpielte einen neuen Huͤpfauf. Da legte ſich der Jud’ auf Bitten und Verſprechen und wollte ihm Geld geben, wenn er aufhoͤrte, allein das Geld war dem Knecht erſt lange nicht genug und trieb ihn immer weiter, bis der Jud’ ihm hundert harte Gulden verhieß, die er im Beutel fuͤhrte und eben einem Chriſten ab- geprellt hatte. Wie mein Knecht das viele Geld ſah, ſprach er: „unter dieſer Bedingung ja,“ nahm den Beutel und ſtellte ſein Fiedeln ein; darauf ging er ruhig und vergnuͤgt weiter die Straße. Der Jud’ riß ſich halb nackicht und armſelig aus dem Dornſtrauch, uͤberſchlug, wie er ſich raͤ- chen moͤchte, und fluchte dem Geſellen alles Boͤſe nach. Lief endlich zum Richter, klagte daß er von einem Boͤſewicht unverſchuldeterweiſe ſeines Geldes beraubt und noch dazu zerſchlagen waͤre, daß es er- barmte, und der Kerl, der es gethan haͤtte, truͤge ein Rohr auf dem Buckel und eine Geige hinge an ſei- nem Hals. Da ſandte der Richter Boten und Haͤ- ſcher aus, die ſollten den Knecht fahen, wo ſie ihn koͤnnten ſehen, der wurde bald ertappt und vor Gericht geſtellt. Da klagte der Jud’, daß er ihm das Geld geraubt haͤtte, der Knecht ſagte: „nein,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/157>, abgerufen am 29.04.2024.