Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

machte der Arzt sich fort. Da fing ihr die Nase
an zu wachsen und wuchs so stark, daß sie vom
Sessel nicht aufstehen konnte, sondern umfiel.
Da wuchs die Nase sechszig Ellen um den Tisch
herum, sechszig um ihren Schrank und dann durch's
Fenster hundert Ellen um's Schloß, und noch
zwanzig Meilen zur Stadt hinaus. Da lag sie,
konnte sich nicht regen und bewegen und wußte
ihr kein Doctor zu helfen. Der alte König ließ
ausschreiben, wenn sich irgend ein Fremder fände,
der seiner Tochter womit helfen könnte, sollt' er
viel Geld haben. Da hatte nun der alte Soldat
drauf gewartet, meldete sich als ein Doctor: "so
es Gottes Wille wäre, wollt' er ihr schon helfen."
Darauf gab er ihr Pulver von den Aepfeln, da
fing die Nase an von neuem zu wachsen und ward
noch größer; am Abend gab er ihr Pulver von
den Birnen, da ward sie ein wenig kleiner, doch
nicht viel. Am andern Tag gab er ihr wieder
Aepfelpulver, um sie recht zu ängstigen und zu
strafen, da wuchs sie wieder, viel mehr als sie
gestern abgenommen hatte. Endlich sagte er:
"gnädigste Prinzessin, Sie müssen einmal etwas
entwendet haben, wenn Sie das nicht herausge-
ben, hilft kein Rath." Da sagte sie: "ich weiß
von nichts." Sprach er: "es ist so, sonst müßt
mein Pulver helfen und wenn Sie es nicht her-
ausgeben, müssen Sie sterben an der langen Nase."
Da sagte der alte König: "gib den Beutel, den

Man-

machte der Arzt ſich fort. Da fing ihr die Naſe
an zu wachſen und wuchs ſo ſtark, daß ſie vom
Seſſel nicht aufſtehen konnte, ſondern umfiel.
Da wuchs die Naſe ſechszig Ellen um den Tiſch
herum, ſechszig um ihren Schrank und dann durch’s
Fenſter hundert Ellen um’s Schloß, und noch
zwanzig Meilen zur Stadt hinaus. Da lag ſie,
konnte ſich nicht regen und bewegen und wußte
ihr kein Doctor zu helfen. Der alte Koͤnig ließ
ausſchreiben, wenn ſich irgend ein Fremder faͤnde,
der ſeiner Tochter womit helfen koͤnnte, ſollt’ er
viel Geld haben. Da hatte nun der alte Soldat
drauf gewartet, meldete ſich als ein Doctor: „ſo
es Gottes Wille waͤre, wollt’ er ihr ſchon helfen.“
Darauf gab er ihr Pulver von den Aepfeln, da
fing die Naſe an von neuem zu wachſen und ward
noch groͤßer; am Abend gab er ihr Pulver von
den Birnen, da ward ſie ein wenig kleiner, doch
nicht viel. Am andern Tag gab er ihr wieder
Aepfelpulver, um ſie recht zu aͤngſtigen und zu
ſtrafen, da wuchs ſie wieder, viel mehr als ſie
geſtern abgenommen hatte. Endlich ſagte er:
„gnaͤdigſte Prinzeſſin, Sie muͤſſen einmal etwas
entwendet haben, wenn Sie das nicht herausge-
ben, hilft kein Rath.“ Da ſagte ſie: „ich weiß
von nichts.“ Sprach er: „es iſt ſo, ſonſt muͤßt
mein Pulver helfen und wenn Sie es nicht her-
ausgeben, muͤſſen Sie ſterben an der langen Naſe.“
Da ſagte der alte Koͤnig: „gib den Beutel, den

Man-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0213" n="192"/>
machte der Arzt &#x017F;ich fort. Da fing ihr die Na&#x017F;e<lb/>
an zu wach&#x017F;en und wuchs &#x017F;o &#x017F;tark, daß &#x017F;ie vom<lb/>
Se&#x017F;&#x017F;el nicht auf&#x017F;tehen konnte, &#x017F;ondern umfiel.<lb/>
Da wuchs die Na&#x017F;e &#x017F;echszig Ellen um den Ti&#x017F;ch<lb/>
herum, &#x017F;echszig um ihren Schrank und dann durch&#x2019;s<lb/>
Fen&#x017F;ter hundert Ellen um&#x2019;s Schloß, und noch<lb/>
zwanzig Meilen zur Stadt hinaus. Da lag &#x017F;ie,<lb/>
konnte &#x017F;ich nicht regen und bewegen und wußte<lb/>
ihr kein Doctor zu helfen. Der alte Ko&#x0364;nig ließ<lb/>
aus&#x017F;chreiben, wenn &#x017F;ich irgend ein Fremder fa&#x0364;nde,<lb/>
der &#x017F;einer Tochter womit helfen ko&#x0364;nnte, &#x017F;ollt&#x2019; er<lb/>
viel Geld haben. Da hatte nun der alte Soldat<lb/>
drauf gewartet, meldete &#x017F;ich als ein Doctor: &#x201E;&#x017F;o<lb/>
es Gottes Wille wa&#x0364;re, wollt&#x2019; er ihr &#x017F;chon helfen.&#x201C;<lb/>
Darauf gab er ihr Pulver von den Aepfeln, da<lb/>
fing die Na&#x017F;e an von neuem zu wach&#x017F;en und ward<lb/>
noch gro&#x0364;ßer; am Abend gab er ihr Pulver von<lb/>
den Birnen, da ward &#x017F;ie ein wenig kleiner, doch<lb/>
nicht viel. Am andern Tag gab er ihr wieder<lb/>
Aepfelpulver, um &#x017F;ie recht zu a&#x0364;ng&#x017F;tigen und zu<lb/>
&#x017F;trafen, da wuchs &#x017F;ie wieder, viel mehr als &#x017F;ie<lb/>
ge&#x017F;tern abgenommen hatte. Endlich &#x017F;agte er:<lb/>
&#x201E;gna&#x0364;dig&#x017F;te Prinze&#x017F;&#x017F;in, Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en einmal etwas<lb/>
entwendet haben, wenn Sie das nicht herausge-<lb/>
ben, hilft kein Rath.&#x201C; Da &#x017F;agte &#x017F;ie: &#x201E;ich weiß<lb/>
von nichts.&#x201C; Sprach er: &#x201E;es i&#x017F;t &#x017F;o, &#x017F;on&#x017F;t mu&#x0364;ßt<lb/>
mein Pulver helfen und wenn Sie es nicht her-<lb/>
ausgeben, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;terben an der langen Na&#x017F;e.&#x201C;<lb/>
Da &#x017F;agte der alte Ko&#x0364;nig: &#x201E;gib den Beutel, den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Man-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0213] machte der Arzt ſich fort. Da fing ihr die Naſe an zu wachſen und wuchs ſo ſtark, daß ſie vom Seſſel nicht aufſtehen konnte, ſondern umfiel. Da wuchs die Naſe ſechszig Ellen um den Tiſch herum, ſechszig um ihren Schrank und dann durch’s Fenſter hundert Ellen um’s Schloß, und noch zwanzig Meilen zur Stadt hinaus. Da lag ſie, konnte ſich nicht regen und bewegen und wußte ihr kein Doctor zu helfen. Der alte Koͤnig ließ ausſchreiben, wenn ſich irgend ein Fremder faͤnde, der ſeiner Tochter womit helfen koͤnnte, ſollt’ er viel Geld haben. Da hatte nun der alte Soldat drauf gewartet, meldete ſich als ein Doctor: „ſo es Gottes Wille waͤre, wollt’ er ihr ſchon helfen.“ Darauf gab er ihr Pulver von den Aepfeln, da fing die Naſe an von neuem zu wachſen und ward noch groͤßer; am Abend gab er ihr Pulver von den Birnen, da ward ſie ein wenig kleiner, doch nicht viel. Am andern Tag gab er ihr wieder Aepfelpulver, um ſie recht zu aͤngſtigen und zu ſtrafen, da wuchs ſie wieder, viel mehr als ſie geſtern abgenommen hatte. Endlich ſagte er: „gnaͤdigſte Prinzeſſin, Sie muͤſſen einmal etwas entwendet haben, wenn Sie das nicht herausge- ben, hilft kein Rath.“ Da ſagte ſie: „ich weiß von nichts.“ Sprach er: „es iſt ſo, ſonſt muͤßt mein Pulver helfen und wenn Sie es nicht her- ausgeben, muͤſſen Sie ſterben an der langen Naſe.“ Da ſagte der alte Koͤnig: „gib den Beutel, den Man-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/213
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/213>, abgerufen am 05.05.2024.