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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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Zeitlang, und kam das Täubchen alle Tage und
sorgte für alles, was es bedurfte, und war das
ein stilles, gutes Leben.

Einmal aber kam das Täubchen und sprach:
"willst du mir etwas zu Lieb' thun?" -- "Von
Herzen gern," sagte das Mädchen. Da sprach
das Täubchen: "ich will dich zu einem kleinen
Häuschen führen, da geh' hinein, mittendrin am
Heerd da wird eine alte Frau sitzen und guten
Tag sagen. Aber gib ihr bei Leibe keine Antwort,
sie mag auch anfangen was sie will, sondern geh
zu ihrer rechten Hand weiter, da ist eine Thüre,
die mach auf, so wirst du in eine Stube kommen,
wo eine große Menge von Ringen allerlei
Art auf dem Tisch liegt, darunter sind prächtige
mit glitzerigen Steinen, die laß aber alle liegen
und such nur einen schlichten heraus, der auch
darunter seyn muß und bring ihn zu mir her so
geschwind du kannst." "Da ging das Mädchen
hin in das Häuschen und fand die Alte, die machte
große Augen, wie sie es sah, und sprach: "guten
Tag mein Kind." Es gab ihr keine Antwort
und ging auf die Thüre zu; "ei! wo hinaus?"
rief sie und faßt es beim Rock und wollt es fest-
halten; "das ist mein Haus, da darf niemand
herein, wenn ich's nicht haben will." Aber es
schwieg immer still, machte sich von ihr los und
ging in die Stube hinein. Da war nun eine
übergroße Menge von Ringen, die glitzten und

N 2

Zeitlang, und kam das Taͤubchen alle Tage und
ſorgte fuͤr alles, was es bedurfte, und war das
ein ſtilles, gutes Leben.

Einmal aber kam das Taͤubchen und ſprach:
„willſt du mir etwas zu Lieb’ thun?“ — „Von
Herzen gern,“ ſagte das Maͤdchen. Da ſprach
das Taͤubchen: „ich will dich zu einem kleinen
Haͤuschen fuͤhren, da geh’ hinein, mittendrin am
Heerd da wird eine alte Frau ſitzen und guten
Tag ſagen. Aber gib ihr bei Leibe keine Antwort,
ſie mag auch anfangen was ſie will, ſondern geh
zu ihrer rechten Hand weiter, da iſt eine Thuͤre,
die mach auf, ſo wirſt du in eine Stube kommen,
wo eine große Menge von Ringen allerlei
Art auf dem Tiſch liegt, darunter ſind praͤchtige
mit glitzerigen Steinen, die laß aber alle liegen
und ſuch nur einen ſchlichten heraus, der auch
darunter ſeyn muß und bring ihn zu mir her ſo
geſchwind du kannſt.“ „Da ging das Maͤdchen
hin in das Haͤuschen und fand die Alte, die machte
große Augen, wie ſie es ſah, und ſprach: „guten
Tag mein Kind.“ Es gab ihr keine Antwort
und ging auf die Thuͤre zu; „ei! wo hinaus?“
rief ſie und faßt es beim Rock und wollt es feſt-
halten; „das iſt mein Haus, da darf niemand
herein, wenn ich’s nicht haben will.“ Aber es
ſchwieg immer ſtill, machte ſich von ihr los und
ging in die Stube hinein. Da war nun eine
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[195/0216] Zeitlang, und kam das Taͤubchen alle Tage und ſorgte fuͤr alles, was es bedurfte, und war das ein ſtilles, gutes Leben. Einmal aber kam das Taͤubchen und ſprach: „willſt du mir etwas zu Lieb’ thun?“ — „Von Herzen gern,“ ſagte das Maͤdchen. Da ſprach das Taͤubchen: „ich will dich zu einem kleinen Haͤuschen fuͤhren, da geh’ hinein, mittendrin am Heerd da wird eine alte Frau ſitzen und guten Tag ſagen. Aber gib ihr bei Leibe keine Antwort, ſie mag auch anfangen was ſie will, ſondern geh zu ihrer rechten Hand weiter, da iſt eine Thuͤre, die mach auf, ſo wirſt du in eine Stube kommen, wo eine große Menge von Ringen allerlei Art auf dem Tiſch liegt, darunter ſind praͤchtige mit glitzerigen Steinen, die laß aber alle liegen und ſuch nur einen ſchlichten heraus, der auch darunter ſeyn muß und bring ihn zu mir her ſo geſchwind du kannſt.“ „Da ging das Maͤdchen hin in das Haͤuschen und fand die Alte, die machte große Augen, wie ſie es ſah, und ſprach: „guten Tag mein Kind.“ Es gab ihr keine Antwort und ging auf die Thuͤre zu; „ei! wo hinaus?“ rief ſie und faßt es beim Rock und wollt es feſt- halten; „das iſt mein Haus, da darf niemand herein, wenn ich’s nicht haben will.“ Aber es ſchwieg immer ſtill, machte ſich von ihr los und ging in die Stube hinein. Da war nun eine uͤbergroße Menge von Ringen, die glitzten und N 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/216>, abgerufen am 07.05.2024.