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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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solle kommen: "gekleidet und ungekleidet, gegessen
und ungegessen, nicht einsam und doch ohne jemands
Begleitung." Sie wickelt sich, wie hier, nackt
in ein Fischgarn, darüber her ihr schönes Haar,
beißt ein wenig in einen Lauch (Zwiebel) so daß man
den Geruch davon empfindet und läßt ihren Hund
mitlaufen. Zu vergleichen ist auch ein ähnliches Räth-
sel in andern Erzählungen *), so daß es überhaupt
als ein altes Volksräthsel erscheint.

Auch in der fortwährenden Klugheit und wie
sie sich des Königs Liebe wieder zuwendet,
der die Bäuerin zurückschicken will, gleicht sie der
Aslaug. Ragnar war in Schweden beim König Ei-
stein, dessen schöne Tochter Ingeborg ihm gefiel, auch

*) Nämlich. Pauli's Schimpf und Ernst enthält einen
Schwank, wornach einem die Strafe erlassen wer-
den soll, wenn er kommt: "halb geritten und halb ge-
gangen, mit seinem größten Feind und größten Freund."
Der Schuldige kommt mit seinem Pferd, indem er den
rechten Fuß in den Steigbügel setzt, mit dem andern
auf der Erde fortstelzt; mit seiner Frau, die ihn auf
eine Ohrfeige gleich als Mörder anklagt, (was er ihr
fälschlich als ein Geheimniß anvertraut hatte) und sich
so als sein größter Feind ausweist; und mit seinem
Hund, der sein größter Freund ist, weil er, nachdem
er ihn geschlagen, auf sein Locken, wedelnd zurück
kommt. Hans Sachs erzählt auch die Geschichte sehr
gut und in der Sache übereinstimmend, ed. 1560. fol.
78. Eine abweichende Recension, welche die Gesta Ro-
manor. enthalten (lat. Ausg. Cap. 121. deutsche, Cap.
24.) hat auch die Aufgabe etwas anders: der Schul-
dige bringt nämlich kein Pferd, sondern legt das rechte
Bein auf den Hund, und weil er noch ferner seinen
besten Spielmann sollte mitbringen, hat er sein Kind
mitgenommen, als welches ihm, wenn es vor ihm
spiele, die größte Kurzweil mache. -- Endlich kommt
dasselbe in einer Erzählung der Cento novelle antiche
(Torino
1802.) S. 163. vor. Wer zu einem bestimmten
Tag "seinen Freund, Feind und Spielmann mit-
bringt" soll die Gnade des Königs und große Schätze
haben, das wird wie dort aufgelöst; nur, daß er halb
geritten und halb gegangen kommen soll, fehlt.

ſolle kommen: „gekleidet und ungekleidet, gegeſſen
und ungegeſſen, nicht einſam und doch ohne jemands
Begleitung.“ Sie wickelt ſich, wie hier, nackt
in ein Fiſchgarn, daruͤber her ihr ſchoͤnes Haar,
beißt ein wenig in einen Lauch (Zwiebel) ſo daß man
den Geruch davon empfindet und laͤßt ihren Hund
mitlaufen. Zu vergleichen iſt auch ein aͤhnliches Raͤth-
ſel in andern Erzaͤhlungen *), ſo daß es uͤberhaupt
als ein altes Volksraͤthſel erſcheint.

Auch in der fortwaͤhrenden Klugheit und wie
ſie ſich des Koͤnigs Liebe wieder zuwendet,
der die Baͤuerin zuruͤckſchicken will, gleicht ſie der
Aslaug. Ragnar war in Schweden beim Koͤnig Ei-
ſtein, deſſen ſchoͤne Tochter Ingeborg ihm gefiel, auch

*) Nämlich. Pauli’s Schimpf und Ernſt enthält einen
Schwank, wornach einem die Strafe erlaſſen wer-
den ſoll, wenn er kommt: „halb geritten und halb ge-
gangen, mit ſeinem größten Feind und größten Freund.“
Der Schuldige kommt mit ſeinem Pferd, indem er den
rechten Fuß in den Steigbügel ſetzt, mit dem andern
auf der Erde fortſtelzt; mit ſeiner Frau, die ihn auf
eine Ohrfeige gleich als Mörder anklagt, (was er ihr
fälſchlich als ein Geheimniß anvertraut hatte) und ſich
ſo als ſein größter Feind ausweiſt; und mit ſeinem
Hund, der ſein größter Freund iſt, weil er, nachdem
er ihn geſchlagen, auf ſein Locken, wedelnd zurück
kommt. Hans Sachs erzählt auch die Geſchichte ſehr
gut und in der Sache übereinſtimmend, ed. 1560. fol.
78. Eine abweichende Recenſion, welche die Geſta Ro-
manor. enthalten (lat. Ausg. Cap. 121. deutſche, Cap.
24.) hat auch die Aufgabe etwas anders: der Schul-
dige bringt nämlich kein Pferd, ſondern legt das rechte
Bein auf den Hund, und weil er noch ferner ſeinen
beſten Spielmann ſollte mitbringen, hat er ſein Kind
mitgenommen, als welches ihm, wenn es vor ihm
ſpiele, die größte Kurzweil mache. — Endlich kommt
daſſelbe in einer Erzählung der Cento novelle antiche
(Torino
1802.) S. 163. vor. Wer zu einem beſtimmten
Tag „ſeinen Freund, Feind und Spielmann mit-
bringt“ ſoll die Gnade des Königs und große Schätze
haben, das wird wie dort aufgelöſt; nur, daß er halb
geritten und halb gegangen kommen ſoll, fehlt.
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[XV/0334] ſolle kommen: „gekleidet und ungekleidet, gegeſſen und ungegeſſen, nicht einſam und doch ohne jemands Begleitung.“ Sie wickelt ſich, wie hier, nackt in ein Fiſchgarn, daruͤber her ihr ſchoͤnes Haar, beißt ein wenig in einen Lauch (Zwiebel) ſo daß man den Geruch davon empfindet und laͤßt ihren Hund mitlaufen. Zu vergleichen iſt auch ein aͤhnliches Raͤth- ſel in andern Erzaͤhlungen *), ſo daß es uͤberhaupt als ein altes Volksraͤthſel erſcheint. Auch in der fortwaͤhrenden Klugheit und wie ſie ſich des Koͤnigs Liebe wieder zuwendet, der die Baͤuerin zuruͤckſchicken will, gleicht ſie der Aslaug. Ragnar war in Schweden beim Koͤnig Ei- ſtein, deſſen ſchoͤne Tochter Ingeborg ihm gefiel, auch *) Nämlich. Pauli’s Schimpf und Ernſt enthält einen Schwank, wornach einem die Strafe erlaſſen wer- den ſoll, wenn er kommt: „halb geritten und halb ge- gangen, mit ſeinem größten Feind und größten Freund.“ Der Schuldige kommt mit ſeinem Pferd, indem er den rechten Fuß in den Steigbügel ſetzt, mit dem andern auf der Erde fortſtelzt; mit ſeiner Frau, die ihn auf eine Ohrfeige gleich als Mörder anklagt, (was er ihr fälſchlich als ein Geheimniß anvertraut hatte) und ſich ſo als ſein größter Feind ausweiſt; und mit ſeinem Hund, der ſein größter Freund iſt, weil er, nachdem er ihn geſchlagen, auf ſein Locken, wedelnd zurück kommt. Hans Sachs erzählt auch die Geſchichte ſehr gut und in der Sache übereinſtimmend, ed. 1560. fol. 78. Eine abweichende Recenſion, welche die Geſta Ro- manor. enthalten (lat. Ausg. Cap. 121. deutſche, Cap. 24.) hat auch die Aufgabe etwas anders: der Schul- dige bringt nämlich kein Pferd, ſondern legt das rechte Bein auf den Hund, und weil er noch ferner ſeinen beſten Spielmann ſollte mitbringen, hat er ſein Kind mitgenommen, als welches ihm, wenn es vor ihm ſpiele, die größte Kurzweil mache. — Endlich kommt daſſelbe in einer Erzählung der Cento novelle antiche (Torino 1802.) S. 163. vor. Wer zu einem beſtimmten Tag „ſeinen Freund, Feind und Spielmann mit- bringt“ ſoll die Gnade des Königs und große Schätze haben, das wird wie dort aufgelöſt; nur, daß er halb geritten und halb gegangen kommen ſoll, fehlt.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. XV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/334>, abgerufen am 30.04.2024.