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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

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angekommen, die hätten einen feinen Verstand, den könnte man wohl in eine Nadel fädeln. Da sprach die Prinzessin: "ich habe zweierlei Haar auf dem Kopf, von was für Farben ist das?" "Wenn's weiter nichts ist, sagte der erste, es wird schwarz und weiß seyn, wie Kümmel und Salz." Die Prinzessin sprach: "falsch gerathen; antworte der zweite." Da sagte der zweite: "ist's nicht schwarz und weiß, so ist's braun und roth, wie meines Vaters Bratenrock." "Falsch gerathen, sagte die Prinzessin, antworte der dritte, dem seh ich's an, der weiß es sicherlich." Da trat das Schneiderlein hervor und sprach: "die Prinzessin hat ein silbernes und ein goldenes Haar auf dem Kopf, und das sind die zweierlei Farben." Wie die Prinzessin das hörte, ward sie blaß und wäre vor Schrecken beinah hingefallen, denn das Schneiderlein hatte es getroffen, und sie hatte sicher geglaubt, das würde kein Mensch auf der Welt herausbringen. Als ihr das Herz wiederkam, sprach sie: "damit hast du mich noch nicht gewonnen, du mußt noch eins thun; unten im Stall liegt ein Bär, bei dem sollst du die Nacht zubringen, wenn ich dann morgen aufstehe und du bist noch lebendig, so sollst du mich heirathen." Sie dachte aber, damit wollte sie das Schneiderlein los werden, denn der Bär hatte noch keinen Menschen lebendig gelassen, der ihm unter die Tatzen gekommen war. Das Schneiderlein sprach vergnügt: "das will ich auch noch vollbringen."

Als nun der Abend kam, ward mein Schneiderlein hinunter zum Bären gebracht; der Bär wollt' auch gleich auf es los und ihm mit seiner Tatze einen guten Willkommen geben. "Sachte,

angekommen, die haͤtten einen feinen Verstand, den koͤnnte man wohl in eine Nadel faͤdeln. Da sprach die Prinzessin: „ich habe zweierlei Haar auf dem Kopf, von was fuͤr Farben ist das?“ „Wenn’s weiter nichts ist, sagte der erste, es wird schwarz und weiß seyn, wie Kuͤmmel und Salz.“ Die Prinzessin sprach: „falsch gerathen; antworte der zweite.“ Da sagte der zweite: „ist’s nicht schwarz und weiß, so ist’s braun und roth, wie meines Vaters Bratenrock.“ „Falsch gerathen, sagte die Prinzessin, antworte der dritte, dem seh ich’s an, der weiß es sicherlich.“ Da trat das Schneiderlein hervor und sprach: „die Prinzessin hat ein silbernes und ein goldenes Haar auf dem Kopf, und das sind die zweierlei Farben.“ Wie die Prinzessin das hoͤrte, ward sie blaß und waͤre vor Schrecken beinah hingefallen, denn das Schneiderlein hatte es getroffen, und sie hatte sicher geglaubt, das wuͤrde kein Mensch auf der Welt herausbringen. Als ihr das Herz wiederkam, sprach sie: „damit hast du mich noch nicht gewonnen, du mußt noch eins thun; unten im Stall liegt ein Baͤr, bei dem sollst du die Nacht zubringen, wenn ich dann morgen aufstehe und du bist noch lebendig, so sollst du mich heirathen.“ Sie dachte aber, damit wollte sie das Schneiderlein los werden, denn der Baͤr hatte noch keinen Menschen lebendig gelassen, der ihm unter die Tatzen gekommen war. Das Schneiderlein sprach vergnuͤgt: „das will ich auch noch vollbringen.“

Als nun der Abend kam, ward mein Schneiderlein hinunter zum Baͤren gebracht; der Baͤr wollt’ auch gleich auf es los und ihm mit seiner Tatze einen guten Willkommen geben. „Sachte,

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[143/0221] angekommen, die haͤtten einen feinen Verstand, den koͤnnte man wohl in eine Nadel faͤdeln. Da sprach die Prinzessin: „ich habe zweierlei Haar auf dem Kopf, von was fuͤr Farben ist das?“ „Wenn’s weiter nichts ist, sagte der erste, es wird schwarz und weiß seyn, wie Kuͤmmel und Salz.“ Die Prinzessin sprach: „falsch gerathen; antworte der zweite.“ Da sagte der zweite: „ist’s nicht schwarz und weiß, so ist’s braun und roth, wie meines Vaters Bratenrock.“ „Falsch gerathen, sagte die Prinzessin, antworte der dritte, dem seh ich’s an, der weiß es sicherlich.“ Da trat das Schneiderlein hervor und sprach: „die Prinzessin hat ein silbernes und ein goldenes Haar auf dem Kopf, und das sind die zweierlei Farben.“ Wie die Prinzessin das hoͤrte, ward sie blaß und waͤre vor Schrecken beinah hingefallen, denn das Schneiderlein hatte es getroffen, und sie hatte sicher geglaubt, das wuͤrde kein Mensch auf der Welt herausbringen. Als ihr das Herz wiederkam, sprach sie: „damit hast du mich noch nicht gewonnen, du mußt noch eins thun; unten im Stall liegt ein Baͤr, bei dem sollst du die Nacht zubringen, wenn ich dann morgen aufstehe und du bist noch lebendig, so sollst du mich heirathen.“ Sie dachte aber, damit wollte sie das Schneiderlein los werden, denn der Baͤr hatte noch keinen Menschen lebendig gelassen, der ihm unter die Tatzen gekommen war. Das Schneiderlein sprach vergnuͤgt: „das will ich auch noch vollbringen.“ Als nun der Abend kam, ward mein Schneiderlein hinunter zum Baͤren gebracht; der Baͤr wollt’ auch gleich auf es los und ihm mit seiner Tatze einen guten Willkommen geben. „Sachte,

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/221>, abgerufen am 28.04.2024.