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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

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aufs Schiff und segelten in das Meer hinein, da kam der Drache, der wach geworden war und die Königstochter nicht mehr gefunden hatte, wüthend hinter ihnen her durch die Luft geschnaubt; als er eben über dem Schiff war und sich herablassen wollte, da legte der Jäger seine Büchse an und schoß ihm gerade in Herz, daß er todt herabfiel. Es war aber ein so gewaltiges Unthier, daß es im Herabfallen das ganze Schiff zertrümmerte und sie nur noch auf ein paar Brettern in der offenen See schwammen. Da war der Schneider nicht faul, nahm seine wunderbare Nadel, nähte mit ein paar großen Stichen einige Bretter zusammen, setzte sich darauf, schiffte hin und sammelte alle Stücke des Schiffs. Dann nähte er sie so behend zusammen, daß gar bald das Schiff wieder segelfertig war und sie glücklich heimfahren konnten.

Als sie dem König seine Tochter wiederbrachten, da war große Freude und er sprach zu den vier Brüdern: "einer von euch soll sie zur Gemahlin haben, aber welcher das ist, macht unter euch aus." Da entstand Streit unter ihnen und der Sterngucker sprach: "hätte ich nicht die Königstochter gesehen, so wären alle eure Künste für nichts gewesen, darum ist sie mein." Der Dieb sprach: "was hätte das sehen geholfen, wenn ich sie nicht unter dem Drachen weggenommen hätte, darum ist sie mein." Der Jäger sprach: "ihr wärt doch sammt der Königstochter von dem Unthier zerrissen worden, wenn ich es nicht getödtet hätte, darum ist sie mein." Der Schneider sprach: "und hätte ich euch mit meiner Kunst nicht das Schiff wieder zusammengebracht, ihr wärt alle jämmerlich ertrunken, darum ist sie mein." Da that der

aufs Schiff und segelten in das Meer hinein, da kam der Drache, der wach geworden war und die Koͤnigstochter nicht mehr gefunden hatte, wuͤthend hinter ihnen her durch die Luft geschnaubt; als er eben uͤber dem Schiff war und sich herablassen wollte, da legte der Jaͤger seine Buͤchse an und schoß ihm gerade in Herz, daß er todt herabfiel. Es war aber ein so gewaltiges Unthier, daß es im Herabfallen das ganze Schiff zertruͤmmerte und sie nur noch auf ein paar Brettern in der offenen See schwammen. Da war der Schneider nicht faul, nahm seine wunderbare Nadel, naͤhte mit ein paar großen Stichen einige Bretter zusammen, setzte sich darauf, schiffte hin und sammelte alle Stuͤcke des Schiffs. Dann naͤhte er sie so behend zusammen, daß gar bald das Schiff wieder segelfertig war und sie gluͤcklich heimfahren konnten.

Als sie dem Koͤnig seine Tochter wiederbrachten, da war große Freude und er sprach zu den vier Bruͤdern: „einer von euch soll sie zur Gemahlin haben, aber welcher das ist, macht unter euch aus.“ Da entstand Streit unter ihnen und der Sterngucker sprach: „haͤtte ich nicht die Koͤnigstochter gesehen, so waͤren alle eure Kuͤnste fuͤr nichts gewesen, darum ist sie mein.“ Der Dieb sprach: „was haͤtte das sehen geholfen, wenn ich sie nicht unter dem Drachen weggenommen haͤtte, darum ist sie mein.“ Der Jaͤger sprach: „ihr waͤrt doch sammt der Koͤnigstochter von dem Unthier zerrissen worden, wenn ich es nicht getoͤdtet haͤtte, darum ist sie mein.“ Der Schneider sprach: „und haͤtte ich euch mit meiner Kunst nicht das Schiff wieder zusammengebracht, ihr waͤrt alle jaͤmmerlich ertrunken, darum ist sie mein.“ Da that der

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[211/0289] aufs Schiff und segelten in das Meer hinein, da kam der Drache, der wach geworden war und die Koͤnigstochter nicht mehr gefunden hatte, wuͤthend hinter ihnen her durch die Luft geschnaubt; als er eben uͤber dem Schiff war und sich herablassen wollte, da legte der Jaͤger seine Buͤchse an und schoß ihm gerade in Herz, daß er todt herabfiel. Es war aber ein so gewaltiges Unthier, daß es im Herabfallen das ganze Schiff zertruͤmmerte und sie nur noch auf ein paar Brettern in der offenen See schwammen. Da war der Schneider nicht faul, nahm seine wunderbare Nadel, naͤhte mit ein paar großen Stichen einige Bretter zusammen, setzte sich darauf, schiffte hin und sammelte alle Stuͤcke des Schiffs. Dann naͤhte er sie so behend zusammen, daß gar bald das Schiff wieder segelfertig war und sie gluͤcklich heimfahren konnten. Als sie dem Koͤnig seine Tochter wiederbrachten, da war große Freude und er sprach zu den vier Bruͤdern: „einer von euch soll sie zur Gemahlin haben, aber welcher das ist, macht unter euch aus.“ Da entstand Streit unter ihnen und der Sterngucker sprach: „haͤtte ich nicht die Koͤnigstochter gesehen, so waͤren alle eure Kuͤnste fuͤr nichts gewesen, darum ist sie mein.“ Der Dieb sprach: „was haͤtte das sehen geholfen, wenn ich sie nicht unter dem Drachen weggenommen haͤtte, darum ist sie mein.“ Der Jaͤger sprach: „ihr waͤrt doch sammt der Koͤnigstochter von dem Unthier zerrissen worden, wenn ich es nicht getoͤdtet haͤtte, darum ist sie mein.“ Der Schneider sprach: „und haͤtte ich euch mit meiner Kunst nicht das Schiff wieder zusammengebracht, ihr waͤrt alle jaͤmmerlich ertrunken, darum ist sie mein.“ Da that der

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/289>, abgerufen am 01.05.2024.