Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

'anschnien' fiel, der mußte fortlaufen und die andern liefen ihm nach, und fiengen ihn. Wie sie so fröhlich dahinsprangen, sah's die Stiefmutter vom Fenster mit an, und ärgerte sich. Weil sie aber Hexenkünste verstand, so verwünschte sie beide, das Brüderchen in einen Fisch, und das Schwesterchen in ein Lamm. Da schwamm das Fischchen im Teich hin und her, und war traurig, und das Lämmchen gieng auf der Wiese hin und her, und war traurig, und fraß nicht, und rührte kein Hälmchen an. So gieng eine lange Zeit hin, da kamen fremde Gäste auf das Schloß. Die falsche Stiefmutter dachte 'jetzt ist die Gelegenheit gut,' rief den Koch, und sprach zu ihm 'geh, und hol das Lamm von der Wiese, und schlachts, wir haben sonst nichts für die Gäste.' Da gieng der Koch hin, und holte das Lämmchen, und führte es in die Küche, band ihm die Füßchen, das litt es alles geduldig. Wie er nun sein Messer herausgezogen hatte, und auf der Schwelle wetzte, um es abzustechen, sah es, wie ein Fischlein in dem Wasser vor dem Gossenstein hin und herschwamm, und zu ihm hinaufblickte. Das war aber das Brüderchen, denn als das Fischchen gesehen hatte, wie der Koch das Lämmchen fortführte, war es mitgeschwommen im Teich bis zum Haus. Da rief das Lämmchen hinab

'ach Brüderchen im tiefen See,
wie thut mir doch mein Herz so weh!
der Koch der wetzt das Messer,
will mir mein Herz durchstechen.'

Das Fischchen antwortete

'ach Schwesterchen in der Höh,

‘anschnien’ fiel, der mußte fortlaufen und die andern liefen ihm nach, und fiengen ihn. Wie sie so froͤhlich dahinsprangen, sah’s die Stiefmutter vom Fenster mit an, und aͤrgerte sich. Weil sie aber Hexenkuͤnste verstand, so verwuͤnschte sie beide, das Bruͤderchen in einen Fisch, und das Schwesterchen in ein Lamm. Da schwamm das Fischchen im Teich hin und her, und war traurig, und das Laͤmmchen gieng auf der Wiese hin und her, und war traurig, und fraß nicht, und ruͤhrte kein Haͤlmchen an. So gieng eine lange Zeit hin, da kamen fremde Gaͤste auf das Schloß. Die falsche Stiefmutter dachte ‘jetzt ist die Gelegenheit gut,’ rief den Koch, und sprach zu ihm ‘geh, und hol das Lamm von der Wiese, und schlachts, wir haben sonst nichts fuͤr die Gaͤste.’ Da gieng der Koch hin, und holte das Laͤmmchen, und fuͤhrte es in die Kuͤche, band ihm die Fuͤßchen, das litt es alles geduldig. Wie er nun sein Messer herausgezogen hatte, und auf der Schwelle wetzte, um es abzustechen, sah es, wie ein Fischlein in dem Wasser vor dem Gossenstein hin und herschwamm, und zu ihm hinaufblickte. Das war aber das Bruͤderchen, denn als das Fischchen gesehen hatte, wie der Koch das Laͤmmchen fortfuͤhrte, war es mitgeschwommen im Teich bis zum Haus. Da rief das Laͤmmchen hinab

‘ach Bruͤderchen im tiefen See,
wie thut mir doch mein Herz so weh!
der Koch der wetzt das Messer,
will mir mein Herz durchstechen.’

Das Fischchen antwortete

‘ach Schwesterchen in der Hoͤh,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0295" n="279"/>
&#x2018;anschnien&#x2019; fiel, der mußte fortlaufen und die andern liefen ihm nach, und fiengen ihn. Wie sie so fro&#x0364;hlich dahinsprangen, sah&#x2019;s die Stiefmutter vom Fenster mit an, und a&#x0364;rgerte sich. Weil sie aber Hexenku&#x0364;nste verstand, so verwu&#x0364;nschte sie beide, das Bru&#x0364;derchen in einen Fisch, und das Schwesterchen in ein Lamm. Da schwamm das Fischchen im Teich hin und her, und war traurig, und das La&#x0364;mmchen gieng auf der Wiese hin und her, und war traurig, und fraß nicht, und ru&#x0364;hrte kein Ha&#x0364;lmchen an. So gieng eine lange Zeit hin, da kamen fremde Ga&#x0364;ste auf das Schloß. Die falsche Stiefmutter dachte &#x2018;jetzt ist die Gelegenheit gut,&#x2019; rief den Koch, und sprach zu ihm &#x2018;geh, und hol das Lamm von der Wiese, und schlachts, wir haben sonst nichts fu&#x0364;r die Ga&#x0364;ste.&#x2019; Da gieng der Koch hin, und holte das La&#x0364;mmchen, und fu&#x0364;hrte es in die Ku&#x0364;che, band ihm die Fu&#x0364;ßchen, das litt es alles geduldig. Wie er nun sein Messer herausgezogen hatte, und auf der Schwelle wetzte, um es abzustechen, sah es, wie ein Fischlein in dem Wasser vor dem Gossenstein hin und herschwamm, und zu ihm hinaufblickte. Das war aber das Bru&#x0364;derchen, denn als das Fischchen gesehen hatte, wie der Koch das La&#x0364;mmchen fortfu&#x0364;hrte, war es mitgeschwommen im Teich bis zum Haus. Da rief das La&#x0364;mmchen hinab</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x2018;ach Bru&#x0364;derchen im tiefen See,</l><lb/>
          <l>wie thut mir doch mein Herz so weh!</l><lb/>
          <l>der Koch der wetzt das Messer,</l><lb/>
          <l>will mir mein Herz durchstechen.&#x2019;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Das Fischchen antwortete</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x2018;ach Schwesterchen in der Ho&#x0364;h,</l><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0295] ‘anschnien’ fiel, der mußte fortlaufen und die andern liefen ihm nach, und fiengen ihn. Wie sie so froͤhlich dahinsprangen, sah’s die Stiefmutter vom Fenster mit an, und aͤrgerte sich. Weil sie aber Hexenkuͤnste verstand, so verwuͤnschte sie beide, das Bruͤderchen in einen Fisch, und das Schwesterchen in ein Lamm. Da schwamm das Fischchen im Teich hin und her, und war traurig, und das Laͤmmchen gieng auf der Wiese hin und her, und war traurig, und fraß nicht, und ruͤhrte kein Haͤlmchen an. So gieng eine lange Zeit hin, da kamen fremde Gaͤste auf das Schloß. Die falsche Stiefmutter dachte ‘jetzt ist die Gelegenheit gut,’ rief den Koch, und sprach zu ihm ‘geh, und hol das Lamm von der Wiese, und schlachts, wir haben sonst nichts fuͤr die Gaͤste.’ Da gieng der Koch hin, und holte das Laͤmmchen, und fuͤhrte es in die Kuͤche, band ihm die Fuͤßchen, das litt es alles geduldig. Wie er nun sein Messer herausgezogen hatte, und auf der Schwelle wetzte, um es abzustechen, sah es, wie ein Fischlein in dem Wasser vor dem Gossenstein hin und herschwamm, und zu ihm hinaufblickte. Das war aber das Bruͤderchen, denn als das Fischchen gesehen hatte, wie der Koch das Laͤmmchen fortfuͤhrte, war es mitgeschwommen im Teich bis zum Haus. Da rief das Laͤmmchen hinab ‘ach Bruͤderchen im tiefen See, wie thut mir doch mein Herz so weh! der Koch der wetzt das Messer, will mir mein Herz durchstechen.’ Das Fischchen antwortete ‘ach Schwesterchen in der Hoͤh,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/295
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/295>, abgerufen am 30.04.2024.