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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.

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kam, und fragte ob sie nicht feil wären? 'Nicht für Geld und Gut, aber für Fleisch und Blut; laßt mich noch eine Nacht in der Kammer schlafen, wo der Bräutigam schläft.' Die Braut sagte ja, und wollte sie betrügen wie am vorigen Abend. Als aber der Königssohn zu Bett gieng, fragte er seinen Kammerdiener was das Murmeln und Rauschen in der Nacht gewesen sey. Da erzählte der Kammerdiener alles, daß er ihm einen Schlaftrunk hätte geben müssen, weil ein armes Mädchen heimlich in der Kammer geschlafen hätte, und heute Nacht sollte er ihm wieder einen geben. Sagte der Königssohn 'gieß den Trank neben das Bett aus.' Zur Nacht wurde sie wieder hereingeführt, und als sie anfieng zu erzählen wie es ihr traurig ergangen wäre, da erkannte er gleich an der Stimme seine liebe Gemahlin, sprang auf, und rief 'jetzt bin ich erst recht erlöst, mir ist gewesen, wie in einem Traum, denn die fremde Königstochter hat mich bezaubert, daß ich dich vergessen mußte, aber Gott hat noch zu rechter Stunde die Bethörung von mir genommen.' Da giengen sie beide in der Nacht heimlich aus dem Schloß, denn sie fürchteten sich vor dem Vater der Königstochter, der ein Zauberer war, und setzten sich auf den Vogel Greif, der trug sie über das rothe Meer, und als sie in der Mitte waren, ließ sie die Nuß fallen. Alsbald wuchs ein großer Nußbaum, darauf ruhte sich der Vogel, und dann führte er sie nach Haus, wo sie ihr Kind fanden, das war groß und schön geworden, und sie lebten von nun an vergnügt bis an ihr Ende.



kam, und fragte ob sie nicht feil waͤren? ‘Nicht fuͤr Geld und Gut, aber fuͤr Fleisch und Blut; laßt mich noch eine Nacht in der Kammer schlafen, wo der Braͤutigam schlaͤft.’ Die Braut sagte ja, und wollte sie betruͤgen wie am vorigen Abend. Als aber der Koͤnigssohn zu Bett gieng, fragte er seinen Kammerdiener was das Murmeln und Rauschen in der Nacht gewesen sey. Da erzaͤhlte der Kammerdiener alles, daß er ihm einen Schlaftrunk haͤtte geben muͤssen, weil ein armes Maͤdchen heimlich in der Kammer geschlafen haͤtte, und heute Nacht sollte er ihm wieder einen geben. Sagte der Koͤnigssohn ‘gieß den Trank neben das Bett aus.’ Zur Nacht wurde sie wieder hereingefuͤhrt, und als sie anfieng zu erzaͤhlen wie es ihr traurig ergangen waͤre, da erkannte er gleich an der Stimme seine liebe Gemahlin, sprang auf, und rief ‘jetzt bin ich erst recht erloͤst, mir ist gewesen, wie in einem Traum, denn die fremde Koͤnigstochter hat mich bezaubert, daß ich dich vergessen mußte, aber Gott hat noch zu rechter Stunde die Bethoͤrung von mir genommen.’ Da giengen sie beide in der Nacht heimlich aus dem Schloß, denn sie fuͤrchteten sich vor dem Vater der Koͤnigstochter, der ein Zauberer war, und setzten sich auf den Vogel Greif, der trug sie uͤber das rothe Meer, und als sie in der Mitte waren, ließ sie die Nuß fallen. Alsbald wuchs ein großer Nußbaum, darauf ruhte sich der Vogel, und dann fuͤhrte er sie nach Haus, wo sie ihr Kind fanden, das war groß und schoͤn geworden, und sie lebten von nun an vergnuͤgt bis an ihr Ende.



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[14/0030] kam, und fragte ob sie nicht feil waͤren? ‘Nicht fuͤr Geld und Gut, aber fuͤr Fleisch und Blut; laßt mich noch eine Nacht in der Kammer schlafen, wo der Braͤutigam schlaͤft.’ Die Braut sagte ja, und wollte sie betruͤgen wie am vorigen Abend. Als aber der Koͤnigssohn zu Bett gieng, fragte er seinen Kammerdiener was das Murmeln und Rauschen in der Nacht gewesen sey. Da erzaͤhlte der Kammerdiener alles, daß er ihm einen Schlaftrunk haͤtte geben muͤssen, weil ein armes Maͤdchen heimlich in der Kammer geschlafen haͤtte, und heute Nacht sollte er ihm wieder einen geben. Sagte der Koͤnigssohn ‘gieß den Trank neben das Bett aus.’ Zur Nacht wurde sie wieder hereingefuͤhrt, und als sie anfieng zu erzaͤhlen wie es ihr traurig ergangen waͤre, da erkannte er gleich an der Stimme seine liebe Gemahlin, sprang auf, und rief ‘jetzt bin ich erst recht erloͤst, mir ist gewesen, wie in einem Traum, denn die fremde Koͤnigstochter hat mich bezaubert, daß ich dich vergessen mußte, aber Gott hat noch zu rechter Stunde die Bethoͤrung von mir genommen.’ Da giengen sie beide in der Nacht heimlich aus dem Schloß, denn sie fuͤrchteten sich vor dem Vater der Koͤnigstochter, der ein Zauberer war, und setzten sich auf den Vogel Greif, der trug sie uͤber das rothe Meer, und als sie in der Mitte waren, ließ sie die Nuß fallen. Alsbald wuchs ein großer Nußbaum, darauf ruhte sich der Vogel, und dann fuͤhrte er sie nach Haus, wo sie ihr Kind fanden, das war groß und schoͤn geworden, und sie lebten von nun an vergnuͤgt bis an ihr Ende.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/30>, abgerufen am 28.04.2024.