Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

weil ich sonst um mein Leben wäre gekommen. Er aber drang in sie, und ließ ihr keinen Frieden: 'willst du mirs nicht erzählen, sagte der alte König endlich, so darfst dus doch dem Kachelofen erzählen.' 'Ja, das will ich wohl' antwortete sie. Damit mußte sie in den Ofen kriechen, und schüttete ihr ganzes Herz aus, wie ihr bis dahin ergangen, und wie sie von der bösen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber der Ofen hatte oben ein Loch, da lauerte ihr der alte König zu, und vernahm ihr Schicksal von Wort zu Wort. Da wars gut, und Königskleider wurden ihr alsbald angethan, und es schien ein Wunder, wie sie so schön war. Der alte König rief seinen Sohn, und offenbarte ihm daß er die falsche Braut hätte, die wäre bloß ein Kammermädchen: die wahre aber stände hier, als die gewesene Gänsemagd. Der junge König aber war herzensfroh, als er ihre Schönheit und Tugend erblickte, und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden. Obenan saß der Bräutigam, die Königstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet, und erkannte jene nicht mehr in dem glänzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten, und gutes Muths waren, gab der alte König der Kammerfrau ein Räthsel auf, was eine solche werth wäre, die den Herrn so und so betrogen hätte, erzählte damit den ganzen Verlauf, und fragte 'welches Urtheils ist diese würdig?' Da sprach die falsche Braut 'die ist nichts besseres werth als splinternackt ausgezogen in ein Faß, das inwendig mit spitzen Nägeln

weil ich sonst um mein Leben waͤre gekommen. Er aber drang in sie, und ließ ihr keinen Frieden: ‘willst du mirs nicht erzaͤhlen, sagte der alte Koͤnig endlich, so darfst dus doch dem Kachelofen erzaͤhlen.’ ‘Ja, das will ich wohl’ antwortete sie. Damit mußte sie in den Ofen kriechen, und schuͤttete ihr ganzes Herz aus, wie ihr bis dahin ergangen, und wie sie von der boͤsen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber der Ofen hatte oben ein Loch, da lauerte ihr der alte Koͤnig zu, und vernahm ihr Schicksal von Wort zu Wort. Da wars gut, und Koͤnigskleider wurden ihr alsbald angethan, und es schien ein Wunder, wie sie so schoͤn war. Der alte Koͤnig rief seinen Sohn, und offenbarte ihm daß er die falsche Braut haͤtte, die waͤre bloß ein Kammermaͤdchen: die wahre aber staͤnde hier, als die gewesene Gaͤnsemagd. Der junge Koͤnig aber war herzensfroh, als er ihre Schoͤnheit und Tugend erblickte, und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden. Obenan saß der Braͤutigam, die Koͤnigstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet, und erkannte jene nicht mehr in dem glaͤnzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten, und gutes Muths waren, gab der alte Koͤnig der Kammerfrau ein Raͤthsel auf, was eine solche werth waͤre, die den Herrn so und so betrogen haͤtte, erzaͤhlte damit den ganzen Verlauf, und fragte ‘welches Urtheils ist diese wuͤrdig?’ Da sprach die falsche Braut ‘die ist nichts besseres werth als splinternackt ausgezogen in ein Faß, das inwendig mit spitzen Naͤgeln

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0038" n="22"/>
weil ich sonst um mein Leben wa&#x0364;re gekommen. Er aber drang in sie, und ließ ihr keinen Frieden: &#x2018;willst du mirs nicht erza&#x0364;hlen, sagte der alte Ko&#x0364;nig endlich, so darfst dus doch dem Kachelofen erza&#x0364;hlen.&#x2019; &#x2018;Ja, das will ich wohl&#x2019; antwortete sie. Damit mußte sie in den Ofen kriechen, und schu&#x0364;ttete ihr ganzes Herz aus, wie ihr bis dahin ergangen, und wie sie von der bo&#x0364;sen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber der Ofen hatte oben ein Loch, da lauerte ihr der alte Ko&#x0364;nig zu, und vernahm ihr Schicksal von Wort zu Wort. Da wars gut, und Ko&#x0364;nigskleider wurden ihr alsbald angethan, und es schien ein Wunder, wie sie so scho&#x0364;n war. Der alte Ko&#x0364;nig rief seinen Sohn, und offenbarte ihm daß er die falsche Braut ha&#x0364;tte, die wa&#x0364;re bloß ein Kammerma&#x0364;dchen: die wahre aber sta&#x0364;nde hier, als die gewesene Ga&#x0364;nsemagd. Der junge Ko&#x0364;nig aber war herzensfroh, als er ihre Scho&#x0364;nheit und Tugend erblickte, und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden. Obenan saß der Bra&#x0364;utigam, die Ko&#x0364;nigstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet, und erkannte jene nicht mehr in dem gla&#x0364;nzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten, und gutes Muths waren, gab der alte Ko&#x0364;nig der Kammerfrau ein Ra&#x0364;thsel auf, was eine solche werth wa&#x0364;re, die den Herrn so und so betrogen ha&#x0364;tte, erza&#x0364;hlte damit den ganzen Verlauf, und fragte &#x2018;welches Urtheils ist diese wu&#x0364;rdig?&#x2019; Da sprach die falsche Braut &#x2018;die ist nichts besseres werth als splinternackt ausgezogen in ein Faß, das inwendig mit spitzen Na&#x0364;geln
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0038] weil ich sonst um mein Leben waͤre gekommen. Er aber drang in sie, und ließ ihr keinen Frieden: ‘willst du mirs nicht erzaͤhlen, sagte der alte Koͤnig endlich, so darfst dus doch dem Kachelofen erzaͤhlen.’ ‘Ja, das will ich wohl’ antwortete sie. Damit mußte sie in den Ofen kriechen, und schuͤttete ihr ganzes Herz aus, wie ihr bis dahin ergangen, und wie sie von der boͤsen Kammerjungfer betrogen worden war. Aber der Ofen hatte oben ein Loch, da lauerte ihr der alte Koͤnig zu, und vernahm ihr Schicksal von Wort zu Wort. Da wars gut, und Koͤnigskleider wurden ihr alsbald angethan, und es schien ein Wunder, wie sie so schoͤn war. Der alte Koͤnig rief seinen Sohn, und offenbarte ihm daß er die falsche Braut haͤtte, die waͤre bloß ein Kammermaͤdchen: die wahre aber staͤnde hier, als die gewesene Gaͤnsemagd. Der junge Koͤnig aber war herzensfroh, als er ihre Schoͤnheit und Tugend erblickte, und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden. Obenan saß der Braͤutigam, die Koͤnigstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet, und erkannte jene nicht mehr in dem glaͤnzenden Schmuck. Als sie nun gegessen und getrunken hatten, und gutes Muths waren, gab der alte Koͤnig der Kammerfrau ein Raͤthsel auf, was eine solche werth waͤre, die den Herrn so und so betrogen haͤtte, erzaͤhlte damit den ganzen Verlauf, und fragte ‘welches Urtheils ist diese wuͤrdig?’ Da sprach die falsche Braut ‘die ist nichts besseres werth als splinternackt ausgezogen in ein Faß, das inwendig mit spitzen Naͤgeln

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/38
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/38>, abgerufen am 28.04.2024.