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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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traurig an, daß Hans großes Mitleid empfand und dachte 'du mußt sie aus der Gewalt des bösen Zwerges erlösen,' und gab ihm einen Streich mit seinem Stab, daß er todt niedersank. Alsbald fielen die Ketten von der Jungfrau ab, und Hans war wie verzückt über ihre Schönheit. Sie erzählte ihm sie wäre eine Königstochter, die ein wilder Graf aus ihrer Heimath geraubt und hier in den Felsen eingesperrt hätte, weil sie nichts von ihm hätte wissen wollen: den Zwerg aber hätte der Graf zum Wächter gesetzt und er hätte ihr Leid und Drangsal genug angethan. Darauf setzte Hans die Jungfrau in den Korb und ließ sie hinauf ziehen. Der Korb kam wieder herab, aber Hans traute den beiden Gesellen nicht und dachte 'sie haben sich schon falsch gezeigt und dir nichts von dem Zwerg gesagt, wer weiß was sie gegen dich im Schild führen.' Da legte er seinen Stab in den Korb, und das war sein Glück, denn als der Korb halb in der Höhe war, ließen sie ihn fallen, und hätte Hans wirklich darin gesessen, so wäre es sein Tod gewesen. Aber nun wußte er nicht wie er sich aus der Tiefe herausarbeiten sollte und wie er hin und her dachte, er fand keinen Rath. 'Es ist doch traurig,' sagte er 'daß du da unten verschmachten sollst.' Und als er so auf und abgieng, kam er wieder zu dem Kämmerchen, wo die Jungfrau gesessen hatte, und sah daß der Zwerg einen Ring am Finger hatte, der glänzte und schimmerte. Da zog er ihn ab und steckte ihn an, und als er ihn am Finger umdrehte, so hörte er plötzlich etwas über seinem Kopf rauschen. Er blickte in die Höhe und sah da Luftgeister schweben, die sagten er wäre ihr Herr und fragten was sein Begehren wäre. Hans war anfangs ganz verstummt, dann aber sagte er sie sollten ihn hinauf tragen. Augenblicklich gehorchten sie, und es war nicht anders als flöge er hinauf. Als er aber oben war, so war kein Mensch mehr zu sehen, und als er in das Schloß gieng, so fand er auch dort niemand. Der Tannendreher und der Felsenklipperer waren fortgeeilt

traurig an, daß Hans großes Mitleid empfand und dachte ‘du mußt sie aus der Gewalt des bösen Zwerges erlösen,’ und gab ihm einen Streich mit seinem Stab, daß er todt niedersank. Alsbald fielen die Ketten von der Jungfrau ab, und Hans war wie verzückt über ihre Schönheit. Sie erzählte ihm sie wäre eine Königstochter, die ein wilder Graf aus ihrer Heimath geraubt und hier in den Felsen eingesperrt hätte, weil sie nichts von ihm hätte wissen wollen: den Zwerg aber hätte der Graf zum Wächter gesetzt und er hätte ihr Leid und Drangsal genug angethan. Darauf setzte Hans die Jungfrau in den Korb und ließ sie hinauf ziehen. Der Korb kam wieder herab, aber Hans traute den beiden Gesellen nicht und dachte ‘sie haben sich schon falsch gezeigt und dir nichts von dem Zwerg gesagt, wer weiß was sie gegen dich im Schild führen.’ Da legte er seinen Stab in den Korb, und das war sein Glück, denn als der Korb halb in der Höhe war, ließen sie ihn fallen, und hätte Hans wirklich darin gesessen, so wäre es sein Tod gewesen. Aber nun wußte er nicht wie er sich aus der Tiefe herausarbeiten sollte und wie er hin und her dachte, er fand keinen Rath. ‘Es ist doch traurig,’ sagte er ‘daß du da unten verschmachten sollst.’ Und als er so auf und abgieng, kam er wieder zu dem Kämmerchen, wo die Jungfrau gesessen hatte, und sah daß der Zwerg einen Ring am Finger hatte, der glänzte und schimmerte. Da zog er ihn ab und steckte ihn an, und als er ihn am Finger umdrehte, so hörte er plötzlich etwas über seinem Kopf rauschen. Er blickte in die Höhe und sah da Luftgeister schweben, die sagten er wäre ihr Herr und fragten was sein Begehren wäre. Hans war anfangs ganz verstummt, dann aber sagte er sie sollten ihn hinauf tragen. Augenblicklich gehorchten sie, und es war nicht anders als flöge er hinauf. Als er aber oben war, so war kein Mensch mehr zu sehen, und als er in das Schloß gieng, so fand er auch dort niemand. Der Tannendreher und der Felsenklipperer waren fortgeeilt

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[329/0341] traurig an, daß Hans großes Mitleid empfand und dachte ‘du mußt sie aus der Gewalt des bösen Zwerges erlösen,’ und gab ihm einen Streich mit seinem Stab, daß er todt niedersank. Alsbald fielen die Ketten von der Jungfrau ab, und Hans war wie verzückt über ihre Schönheit. Sie erzählte ihm sie wäre eine Königstochter, die ein wilder Graf aus ihrer Heimath geraubt und hier in den Felsen eingesperrt hätte, weil sie nichts von ihm hätte wissen wollen: den Zwerg aber hätte der Graf zum Wächter gesetzt und er hätte ihr Leid und Drangsal genug angethan. Darauf setzte Hans die Jungfrau in den Korb und ließ sie hinauf ziehen. Der Korb kam wieder herab, aber Hans traute den beiden Gesellen nicht und dachte ‘sie haben sich schon falsch gezeigt und dir nichts von dem Zwerg gesagt, wer weiß was sie gegen dich im Schild führen.’ Da legte er seinen Stab in den Korb, und das war sein Glück, denn als der Korb halb in der Höhe war, ließen sie ihn fallen, und hätte Hans wirklich darin gesessen, so wäre es sein Tod gewesen. Aber nun wußte er nicht wie er sich aus der Tiefe herausarbeiten sollte und wie er hin und her dachte, er fand keinen Rath. ‘Es ist doch traurig,’ sagte er ‘daß du da unten verschmachten sollst.’ Und als er so auf und abgieng, kam er wieder zu dem Kämmerchen, wo die Jungfrau gesessen hatte, und sah daß der Zwerg einen Ring am Finger hatte, der glänzte und schimmerte. Da zog er ihn ab und steckte ihn an, und als er ihn am Finger umdrehte, so hörte er plötzlich etwas über seinem Kopf rauschen. Er blickte in die Höhe und sah da Luftgeister schweben, die sagten er wäre ihr Herr und fragten was sein Begehren wäre. Hans war anfangs ganz verstummt, dann aber sagte er sie sollten ihn hinauf tragen. Augenblicklich gehorchten sie, und es war nicht anders als flöge er hinauf. Als er aber oben war, so war kein Mensch mehr zu sehen, und als er in das Schloß gieng, so fand er auch dort niemand. Der Tannendreher und der Felsenklipperer waren fortgeeilt

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/341>, abgerufen am 29.04.2024.