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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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ein paar Tage früher hören läßt; auch ein ganz kleiner Vogel, der noch keinen Namen hatte, mischte sich unter die Schaar. Das Huhn, das zufällig von der ganzen Sache nichts gehört hatte, verwunderte sich über die große Versammlung. 'Wat, wat, wat is den dar to don?' gackerte es, aber der Hahn beruhigte seine liebe Henne und sagte 'luter riek Lüd,' erzählte ihr auch was sie vor hätten. Es ward aber beschlossen daß der König sein sollte, der am höchsten fliegen könnte. Ein Laubfrosch, der im Gebüsche saß, rief, als er das hörte, warnend 'natt, natt, natt! natt, natt, natt!' weil er meinte es würden deshalb viel Thränen vergossen werden. Die Krähe aber sagte 'Quark ok!', es sollte alles friedlich abgehen.

Es ward nun beschlossen, sie wollten gleich an diesem schönen Morgen aufsteigen, damit niemand hinterher sagen könnte 'ich wäre wohl noch höher geflogen, aber der Abend kam, da konnte ich nicht mehr.' Auf ein gegebenes Zeichen erhob sich also die ganze Schaar in die Lüfte. Der Staub stieg da von dem Felde auf, es war ein gewaltiges Sausen und Brausen und Fittichschlagen, und es sah aus als wenn eine schwarze Wolke dahin zöge. Die kleinern Vögel aber blieben bald zurück, konnten nicht weiter und fielen wieder auf die Erde. Die größern hieltens länger aus, aber keiner konnte es dem Adler gleich thun, der stieg so hoch daß er der Sonne hätte die Augen aushacken können. Und als er sah daß die andern nicht zu ihm herauf konnten, so dachte er 'was willst du noch höher fliegen, du bist doch der König,' und fieng an sich wieder herab zu lassen. Die Vögel unter ihm riefen ihm alle gleich zu 'du mußt unser König sein, keiner ist höher geflogen als du.' 'Ausgenommen ich' schrie der kleine Kerl ohne Namen, der sich in die Brustfedern des Adlers verkrochen hatte. Und da er nicht müde war, so stieg er auf und stieg so hoch, daß er Gott auf seinem Stuhle konnte sitzen sehen. Als

ein paar Tage früher hören läßt; auch ein ganz kleiner Vogel, der noch keinen Namen hatte, mischte sich unter die Schaar. Das Huhn, das zufällig von der ganzen Sache nichts gehört hatte, verwunderte sich über die große Versammlung. ‘Wat, wat, wat is den dar to don?’ gackerte es, aber der Hahn beruhigte seine liebe Henne und sagte ‘luter riek Lüd,’ erzählte ihr auch was sie vor hätten. Es ward aber beschlossen daß der König sein sollte, der am höchsten fliegen könnte. Ein Laubfrosch, der im Gebüsche saß, rief, als er das hörte, warnend ‘natt, natt, natt! natt, natt, natt!’ weil er meinte es würden deshalb viel Thränen vergossen werden. Die Krähe aber sagte ‘Quark ok!’, es sollte alles friedlich abgehen.

Es ward nun beschlossen, sie wollten gleich an diesem schönen Morgen aufsteigen, damit niemand hinterher sagen könnte ‘ich wäre wohl noch höher geflogen, aber der Abend kam, da konnte ich nicht mehr.’ Auf ein gegebenes Zeichen erhob sich also die ganze Schaar in die Lüfte. Der Staub stieg da von dem Felde auf, es war ein gewaltiges Sausen und Brausen und Fittichschlagen, und es sah aus als wenn eine schwarze Wolke dahin zöge. Die kleinern Vögel aber blieben bald zurück, konnten nicht weiter und fielen wieder auf die Erde. Die größern hieltens länger aus, aber keiner konnte es dem Adler gleich thun, der stieg so hoch daß er der Sonne hätte die Augen aushacken können. Und als er sah daß die andern nicht zu ihm herauf konnten, so dachte er ‘was willst du noch höher fliegen, du bist doch der König,’ und fieng an sich wieder herab zu lassen. Die Vögel unter ihm riefen ihm alle gleich zu ‘du mußt unser König sein, keiner ist höher geflogen als du.’ ‘Ausgenommen ich’ schrie der kleine Kerl ohne Namen, der sich in die Brustfedern des Adlers verkrochen hatte. Und da er nicht müde war, so stieg er auf und stieg so hoch, daß er Gott auf seinem Stuhle konnte sitzen sehen. Als

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[343/0355] ein paar Tage früher hören läßt; auch ein ganz kleiner Vogel, der noch keinen Namen hatte, mischte sich unter die Schaar. Das Huhn, das zufällig von der ganzen Sache nichts gehört hatte, verwunderte sich über die große Versammlung. ‘Wat, wat, wat is den dar to don?’ gackerte es, aber der Hahn beruhigte seine liebe Henne und sagte ‘luter riek Lüd,’ erzählte ihr auch was sie vor hätten. Es ward aber beschlossen daß der König sein sollte, der am höchsten fliegen könnte. Ein Laubfrosch, der im Gebüsche saß, rief, als er das hörte, warnend ‘natt, natt, natt! natt, natt, natt!’ weil er meinte es würden deshalb viel Thränen vergossen werden. Die Krähe aber sagte ‘Quark ok!’, es sollte alles friedlich abgehen. Es ward nun beschlossen, sie wollten gleich an diesem schönen Morgen aufsteigen, damit niemand hinterher sagen könnte ‘ich wäre wohl noch höher geflogen, aber der Abend kam, da konnte ich nicht mehr.’ Auf ein gegebenes Zeichen erhob sich also die ganze Schaar in die Lüfte. Der Staub stieg da von dem Felde auf, es war ein gewaltiges Sausen und Brausen und Fittichschlagen, und es sah aus als wenn eine schwarze Wolke dahin zöge. Die kleinern Vögel aber blieben bald zurück, konnten nicht weiter und fielen wieder auf die Erde. Die größern hieltens länger aus, aber keiner konnte es dem Adler gleich thun, der stieg so hoch daß er der Sonne hätte die Augen aushacken können. Und als er sah daß die andern nicht zu ihm herauf konnten, so dachte er ‘was willst du noch höher fliegen, du bist doch der König,’ und fieng an sich wieder herab zu lassen. Die Vögel unter ihm riefen ihm alle gleich zu ‘du mußt unser König sein, keiner ist höher geflogen als du.’ ‘Ausgenommen ich’ schrie der kleine Kerl ohne Namen, der sich in die Brustfedern des Adlers verkrochen hatte. Und da er nicht müde war, so stieg er auf und stieg so hoch, daß er Gott auf seinem Stuhle konnte sitzen sehen. Als

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/355>, abgerufen am 29.04.2024.