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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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der umstehenden Mitlauter verlangt. Ob er gleich hierin mit
dem Princip der Alliteration zusammenfällt, so greift er den-
noch nie in diese selbst ein, Reim und Alliteration stehen ne-
ben einander, in denselben Worten oder nicht 187).

3) Die Alliteration ist der innern Freiheit ungeachtet, wieder
etwas stetiges, und fordert, wie gesagt, Nähe, weil sie sonst
verhallen und nichts wirken würde. Eben diese Eigenschaft hat
auch der Reim in der nordischen Poesie angenommen. Daher
ist kein Verschränken oder Ueberschlagen thunlich, weder im
System der Alliteration, noch der Reime 188).

4) Das ist zugleich mit Grund, warum die Scalden auch
in Mannichfaltigkeit ihrer Weisen hinter den Deutschen zu blei-
ben scheinen. Worm und Olavius haben es für die ältere
Zeit weit übertrieben, daß 136 Veränderungen im Silbenmaaß
statt gefunden hätten. Die reine Alliteration litt fast gar
keine, bloß durch die Silbenzahl kam eine Abwechselung hinein.
Als aber in der Form Runhend die Reime hinzu traten, und in
Drott- und Togmällt, (Königs- und Herzogsweise?) so zu
sagen, die Alliteration auf den Reim angewendet wurde, öff-

gensatz unsern Reim Ausreim zu nennen. Wie aber den
Reim in Drott- und Togmällt? den man einen in das Wort
weiter einfressenden (jedoch umgedrehten) Anreim nennen kann,
so daß er (in einsilbigen Worten) oft zu einem wirklichen Aus-
reim wird. Also innerer, Mitte-, Ein- reim.
187) Daran kann man das ältere Fundament der Alliteration er-
kennen, daß sie stets auf im Sinn bedeutenden Wörtern ruht,
während die nordischen Reime schon auch mit Flickwörtern vor-
lieb nehmen müssen.
188) Conf. Olafsen cap. 2. §. 50. cap. 6. § 32. Indessen ist mir
doch ein Beispiel von überschlagenden Reimen bekannt, in den
144 ersten Zeilen der Rimur von Karl und Grim, eingangs
der biörnerischen Sammlung. Dieses überkünstliche, unpoctische
Stück ist aber ohne Zweifel nicht sehr alt. Vergl. über solche
Rimur überh. Olafsen pag. 69. § 39. und pag. 200. §. 20.
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der umſtehenden Mitlauter verlangt. Ob er gleich hierin mit
dem Princip der Alliteration zuſammenfaͤllt, ſo greift er den-
noch nie in dieſe ſelbſt ein, Reim und Alliteration ſtehen ne-
ben einander, in denſelben Worten oder nicht 187).

3) Die Alliteration iſt der innern Freiheit ungeachtet, wieder
etwas ſtetiges, und fordert, wie geſagt, Naͤhe, weil ſie ſonſt
verhallen und nichts wirken wuͤrde. Eben dieſe Eigenſchaft hat
auch der Reim in der nordiſchen Poeſie angenommen. Daher
iſt kein Verſchraͤnken oder Ueberſchlagen thunlich, weder im
Syſtem der Alliteration, noch der Reime 188).

4) Das iſt zugleich mit Grund, warum die Scalden auch
in Mannichfaltigkeit ihrer Weiſen hinter den Deutſchen zu blei-
ben ſcheinen. Worm und Olavius haben es fuͤr die aͤltere
Zeit weit uͤbertrieben, daß 136 Veraͤnderungen im Silbenmaaß
ſtatt gefunden haͤtten. Die reine Alliteration litt faſt gar
keine, bloß durch die Silbenzahl kam eine Abwechſelung hinein.
Als aber in der Form Runhend die Reime hinzu traten, und in
Drott- und Togmaͤllt, (Koͤnigs- und Herzogsweiſe?) ſo zu
ſagen, die Alliteration auf den Reim angewendet wurde, oͤff-

genſatz unſern Reim Ausreim zu nennen. Wie aber den
Reim in Drott- und Togmaͤllt? den man einen in das Wort
weiter einfreſſenden (jedoch umgedrehten) Anreim nennen kann,
ſo daß er (in einſilbigen Worten) oft zu einem wirklichen Aus-
reim wird. Alſo innerer, Mitte-, Ein- reim.
187) Daran kann man das aͤltere Fundament der Alliteration er-
kennen, daß ſie ſtets auf im Sinn bedeutenden Woͤrtern ruht,
waͤhrend die nordiſchen Reime ſchon auch mit Flickwoͤrtern vor-
lieb nehmen muͤſſen.
188) Conf. Olafsen cap. 2. §. 50. cap. 6. § 32. Indeſſen iſt mir
doch ein Beiſpiel von uͤberſchlagenden Reimen bekannt, in den
144 erſten Zeilen der Rimur von Karl und Grim, eingangs
der bioͤrneriſchen Sammlung. Dieſes uͤberkuͤnſtliche, unpoctiſche
Stuͤck iſt aber ohne Zweifel nicht ſehr alt. Vergl. uͤber ſolche
Rimur uͤberh. Olafſen pag. 69. § 39. und pag. 200. §. 20.
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[163/0173] der umſtehenden Mitlauter verlangt. Ob er gleich hierin mit dem Princip der Alliteration zuſammenfaͤllt, ſo greift er den- noch nie in dieſe ſelbſt ein, Reim und Alliteration ſtehen ne- ben einander, in denſelben Worten oder nicht 187). 3) Die Alliteration iſt der innern Freiheit ungeachtet, wieder etwas ſtetiges, und fordert, wie geſagt, Naͤhe, weil ſie ſonſt verhallen und nichts wirken wuͤrde. Eben dieſe Eigenſchaft hat auch der Reim in der nordiſchen Poeſie angenommen. Daher iſt kein Verſchraͤnken oder Ueberſchlagen thunlich, weder im Syſtem der Alliteration, noch der Reime 188). 4) Das iſt zugleich mit Grund, warum die Scalden auch in Mannichfaltigkeit ihrer Weiſen hinter den Deutſchen zu blei- ben ſcheinen. Worm und Olavius haben es fuͤr die aͤltere Zeit weit uͤbertrieben, daß 136 Veraͤnderungen im Silbenmaaß ſtatt gefunden haͤtten. Die reine Alliteration litt faſt gar keine, bloß durch die Silbenzahl kam eine Abwechſelung hinein. Als aber in der Form Runhend die Reime hinzu traten, und in Drott- und Togmaͤllt, (Koͤnigs- und Herzogsweiſe?) ſo zu ſagen, die Alliteration auf den Reim angewendet wurde, oͤff- 186) 187) Daran kann man das aͤltere Fundament der Alliteration er- kennen, daß ſie ſtets auf im Sinn bedeutenden Woͤrtern ruht, waͤhrend die nordiſchen Reime ſchon auch mit Flickwoͤrtern vor- lieb nehmen muͤſſen. 188) Conf. Olafsen cap. 2. §. 50. cap. 6. § 32. Indeſſen iſt mir doch ein Beiſpiel von uͤberſchlagenden Reimen bekannt, in den 144 erſten Zeilen der Rimur von Karl und Grim, eingangs der bioͤrneriſchen Sammlung. Dieſes uͤberkuͤnſtliche, unpoctiſche Stuͤck iſt aber ohne Zweifel nicht ſehr alt. Vergl. uͤber ſolche Rimur uͤberh. Olafſen pag. 69. § 39. und pag. 200. §. 20. 186) genſatz unſern Reim Ausreim zu nennen. Wie aber den Reim in Drott- und Togmaͤllt? den man einen in das Wort weiter einfreſſenden (jedoch umgedrehten) Anreim nennen kann, ſo daß er (in einſilbigen Worten) oft zu einem wirklichen Aus- reim wird. Alſo innerer, Mitte-, Ein- reim. L 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/173>, abgerufen am 30.04.2024.