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German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.

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Erstes Buch.
sprung ihres Zustands nicht. Biß dahin hatte jeder
mit gutem Appetit das Geschirr geläert/ als aber die
Mägen gefüllt waren/ hielte es härter als bey einem
Fuhrmann/ der mit geruhtem Gespann auff der
Ebne wol fort kompt/ am Berg aber nicht hotten
kan. Nachdem aber die Köpff auch doll wurden/ er-
setzte ihre Unmüglichkeit entweder deß einen Coura-
ge,
die er im Wein eingesoffen; oder beym andern
die Treuhertzigkeit/ seinem Freund eins zu bringen;
oder beym dritten die Teutsche Redlichkeit/ Ritter-
lich Bescheid zu thun: Nachdeme aber solches die
Länge auch nicht bestehen konte/ beschwur je einer
den andern bey grosser Herren und sonst lieber Freund/
oder bey seiner Liebsten Gesundheit/ den Wein Maß-
weis in sich zu schütten/ worüber manchem die Au-
gen übergiengen/ und der Angstschweiß außdrach;
doch muste es gesoffen seyn: Ja man machte zuletzt
mit Trommeln/ Pfeiffen und Säitenspiel Lermen/
und schoß mit Stücken darzu/ ohn Zweiffel darumb/
dieweil der Wein die Mägen mit Gewalt einnem-
men muste. Mich verwundert/ wohin sie ihn doch
alle schütten könten/ weil ich noch nicht wuste/ daß sie
solchen/ ehe er recht warm bey ihnen ward/ wiederum
mit grossem Schmertzen auß eben dem Ort herfür
gaben/ wohinein sie ihn kurtz zuvor mit höchster Ge-
fahr ihrer Gesundheit gegossen hatten.

Mein Pfarrer war auch bey dieser Gasterey/ ihm
beliebte so wol als andern/ weil er auch so wol als
andere ein Mensch war/ ein Abtritt zu nemmen: Jch
gieng ihm nach/ und sagte: Mein Herr Pfarrer/
warumb thun doch die Leut so seltzam? woher kommt
es doch/ daß sie so hin und her dorckeln? mich dünckt

schier
E vij

Erſtes Buch.
ſprung ihres Zuſtands nicht. Biß dahin hatte jeder
mit gutem Appetit das Geſchirꝛ gelaͤert/ als aber die
Maͤgen gefuͤllt waren/ hielte es haͤrter als bey einem
Fuhrmann/ der mit geruhtem Geſpann auff der
Ebne wol fort kompt/ am Berg aber nicht hotten
kan. Nachdem aber die Koͤpff auch doll wurden/ er-
ſetzte ihre Unmuͤglichkeit entweder deß einen Coura-
ge,
die er im Wein eingeſoffen; oder beym andern
die Treuhertzigkeit/ ſeinem Freund eins zu bringen;
oder beym dritten die Teutſche Redlichkeit/ Ritter-
lich Beſcheid zu thun: Nachdeme aber ſolches die
Laͤnge auch nicht beſtehen konte/ beſchwur je einer
den andern bey groſſer Herꝛen und ſonſt lieber Freund/
oder bey ſeiner Liebſten Geſundheit/ den Wein Maß-
weis in ſich zu ſchuͤtten/ woruͤber manchem die Au-
gen uͤbergiengen/ und der Angſtſchweiß außdrach;
doch muſte es geſoffen ſeyn: Ja man machte zuletzt
mit Trommeln/ Pfeiffen und Saͤitenſpiel Lermen/
und ſchoß mit Stücken darzu/ ohn Zweiffel darumb/
dieweil der Wein die Maͤgen mit Gewalt einnem-
men muſte. Mich verwundert/ wohin ſie ihn doch
alle ſchuͤtten koͤnten/ weil ich noch nicht wuſte/ daß ſie
ſolchen/ ehe er recht warm bey ihnen ward/ wiederum
mit groſſem Schmertzen auß eben dem Ort herfuͤr
gaben/ wohinein ſie ihn kurtz zuvor mit hoͤchſter Ge-
fahr ihrer Geſundheit gegoſſen hatten.

Mein Pfarꝛer war auch bey dieſer Gaſterey/ ihm
beliebte ſo wol als andern/ weil er auch ſo wol als
andere ein Menſch war/ ein Abtritt zu nemmen: Jch
gieng ihm nach/ und ſagte: Mein Herꝛ Pfarꝛer/
warumb thun doch die Leut ſo ſeltzam? woher kom̃t
es doch/ daß ſie ſo hin und her dorckeln? mich duͤnckt

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[107/0113] Erſtes Buch. ſprung ihres Zuſtands nicht. Biß dahin hatte jeder mit gutem Appetit das Geſchirꝛ gelaͤert/ als aber die Maͤgen gefuͤllt waren/ hielte es haͤrter als bey einem Fuhrmann/ der mit geruhtem Geſpann auff der Ebne wol fort kompt/ am Berg aber nicht hotten kan. Nachdem aber die Koͤpff auch doll wurden/ er- ſetzte ihre Unmuͤglichkeit entweder deß einen Coura- ge, die er im Wein eingeſoffen; oder beym andern die Treuhertzigkeit/ ſeinem Freund eins zu bringen; oder beym dritten die Teutſche Redlichkeit/ Ritter- lich Beſcheid zu thun: Nachdeme aber ſolches die Laͤnge auch nicht beſtehen konte/ beſchwur je einer den andern bey groſſer Herꝛen und ſonſt lieber Freund/ oder bey ſeiner Liebſten Geſundheit/ den Wein Maß- weis in ſich zu ſchuͤtten/ woruͤber manchem die Au- gen uͤbergiengen/ und der Angſtſchweiß außdrach; doch muſte es geſoffen ſeyn: Ja man machte zuletzt mit Trommeln/ Pfeiffen und Saͤitenſpiel Lermen/ und ſchoß mit Stücken darzu/ ohn Zweiffel darumb/ dieweil der Wein die Maͤgen mit Gewalt einnem- men muſte. Mich verwundert/ wohin ſie ihn doch alle ſchuͤtten koͤnten/ weil ich noch nicht wuſte/ daß ſie ſolchen/ ehe er recht warm bey ihnen ward/ wiederum mit groſſem Schmertzen auß eben dem Ort herfuͤr gaben/ wohinein ſie ihn kurtz zuvor mit hoͤchſter Ge- fahr ihrer Geſundheit gegoſſen hatten. Mein Pfarꝛer war auch bey dieſer Gaſterey/ ihm beliebte ſo wol als andern/ weil er auch ſo wol als andere ein Menſch war/ ein Abtritt zu nemmen: Jch gieng ihm nach/ und ſagte: Mein Herꝛ Pfarꝛer/ warumb thun doch die Leut ſo ſeltzam? woher kom̃t es doch/ daß ſie ſo hin und her dorckeln? mich duͤnckt ſchier E vij

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Zitationshilfe: German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/113>, abgerufen am 01.05.2024.