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Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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um sich Muth zu machen; dann mit einem kühnen Anlauf, begann er: Sie belieben da Fragen zu berühren von der weitgehendsten Bedeutung, meine Gnädige, aber das Isisbildniß Ihres eigentlichen Denkens bleibt mir noch verschleiert. Was halten Sie zum Beispiel von der Ehe?

Frau Julia blickte den Vetter einen Moment prüfend und zweifelnd an wo er mit dieser Frage hinauswolle.

Offen gestanden, Herr Vetter, diese Frage überrascht mich einigermaßen in Ihrem Munde, da Sie jedenfalls nicht besonders günstig über jenes Thema denken.

Nicht besonders günstig -- weßhalb, meine Gnädige?

Sonst wären Sie doch wohl nicht Garcon geblieben.

Es ist richtig, dachte Vetter Isidor, sie beißt an, sie steuert drauf los. -- O, sagte er dann möglichst unbefangen, das hat hundert metaphysische, psychologische und sociale Gründe; aber bitte, beantworten Sie mir doch meine Frage.

Wieder sah ihn Julia forschend an und sagte seufzend:

Die Ehe ist eine Schule der Leiden.

Nicht wahr? rief Isidor aus, dessen entzündliches Herz wieder Feuer fing, eine Schule der Enttäuschungen, Aufopferungen . . .

Der Prüfungen, warf Frau Julia ein.

Eine Bahn sittenloser Erniedrigungen!

Wenigstens der Selbstverläugnung!

um sich Muth zu machen; dann mit einem kühnen Anlauf, begann er: Sie belieben da Fragen zu berühren von der weitgehendsten Bedeutung, meine Gnädige, aber das Isisbildniß Ihres eigentlichen Denkens bleibt mir noch verschleiert. Was halten Sie zum Beispiel von der Ehe?

Frau Julia blickte den Vetter einen Moment prüfend und zweifelnd an wo er mit dieser Frage hinauswolle.

Offen gestanden, Herr Vetter, diese Frage überrascht mich einigermaßen in Ihrem Munde, da Sie jedenfalls nicht besonders günstig über jenes Thema denken.

Nicht besonders günstig — weßhalb, meine Gnädige?

Sonst wären Sie doch wohl nicht Garçon geblieben.

Es ist richtig, dachte Vetter Isidor, sie beißt an, sie steuert drauf los. — O, sagte er dann möglichst unbefangen, das hat hundert metaphysische, psychologische und sociale Gründe; aber bitte, beantworten Sie mir doch meine Frage.

Wieder sah ihn Julia forschend an und sagte seufzend:

Die Ehe ist eine Schule der Leiden.

Nicht wahr? rief Isidor aus, dessen entzündliches Herz wieder Feuer fing, eine Schule der Enttäuschungen, Aufopferungen . . .

Der Prüfungen, warf Frau Julia ein.

Eine Bahn sittenloser Erniedrigungen!

Wenigstens der Selbstverläugnung!

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

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Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/95>, abgerufen am 01.05.2024.