Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

und deren Gleichgewicht.
obachtung der festgesezten wechselseitigen Verbindlichkei-
ten zu Erhaltung des gemeinsamen Bandes ist, desto
größer muß die Sorgfalt der sämtlichen Mitglieder
seyn, daß keins derselben seine Macht zum Nachtheil
der Freiheit und Gerechtsame der übrigen zu sehr erwei-
tere. Das teutsche Reich ist ein aus mehrern größern
und kleinern Staaten zusammengesezter Staatskörper,
dessen Oberhaupt in Ausübung der höchsten Gewalt, so
wie den ständischen Freiheiten dabey durch Grundgesetze
zwar gewisse Grenzen vorgezeichnet sind, die iedoch von
beiden Seiten leicht überschritten werden könten, wenn
nicht eine gewisse Gleichheit der Macht sowohl zwischen
Haupt und Gliedern, als unter den leztern statt fände;
zumal da das Staatsinteresse die Wahl eines mächtigen
Standes zum Oberhaupt erfodert. Es ist daher eine
beständige Aufmerksamkeit nöthig, damit iedes Mitglied
bey dem freien und geruhigen Genuß seiner Lande, Be-
sitzungen und Rechte erhalten, und an ieder widerrechtli-
chen und willkührlichen Unternehmung gehindert wer-
de a]. Dies ist der Grund des Gleichgewichts im
teutschen Reiche
. Bey Gelegenheit der Streitigkei-
ten über den baierschen Ländertausch waren die Meinun-
gen über den Begrif des Gleichgewichts in Teutschland
getheilt. Kaiserlicher Seits behauptete man b]: "Das
wahre Gleichgewicht der Gewalt in Ansehung der Stän-
de unter sich, hängt nach der teutschen Verfassung nur
allein davon ab, daß ein Stand gegen den andern sich
gar keiner Gewalt anmaße, sondern daß ieder derselben
der bestelten gesetzmäsigen Obergewalt untergeordnet blei-
be: So wie auch das Gleichgewicht der Gewalt in An-
sehung des Reichsoberhaupts gegen die derselben unterge-
bene Stände einzig darauf beruht, daß die leztern an
der Gesetzgebung und an einigen andern in den Gesetzen
benanten Hoheitsrechten Theil haben, daß die exekutivi-
sche Gewalt durch die dazu besonders geordnete Stände

vol-
A a 5

und deren Gleichgewicht.
obachtung der feſtgeſezten wechſelſeitigen Verbindlichkei-
ten zu Erhaltung des gemeinſamen Bandes iſt, deſto
groͤßer muß die Sorgfalt der ſaͤmtlichen Mitglieder
ſeyn, daß keins derſelben ſeine Macht zum Nachtheil
der Freiheit und Gerechtſame der uͤbrigen zu ſehr erwei-
tere. Das teutſche Reich iſt ein aus mehrern groͤßern
und kleinern Staaten zuſammengeſezter Staatskoͤrper,
deſſen Oberhaupt in Ausuͤbung der hoͤchſten Gewalt, ſo
wie den ſtaͤndiſchen Freiheiten dabey durch Grundgeſetze
zwar gewiſſe Grenzen vorgezeichnet ſind, die iedoch von
beiden Seiten leicht uͤberſchritten werden koͤnten, wenn
nicht eine gewiſſe Gleichheit der Macht ſowohl zwiſchen
Haupt und Gliedern, als unter den leztern ſtatt faͤnde;
zumal da das Staatsintereſſe die Wahl eines maͤchtigen
Standes zum Oberhaupt erfodert. Es iſt daher eine
beſtaͤndige Aufmerkſamkeit noͤthig, damit iedes Mitglied
bey dem freien und geruhigen Genuß ſeiner Lande, Be-
ſitzungen und Rechte erhalten, und an ieder widerrechtli-
chen und willkuͤhrlichen Unternehmung gehindert wer-
de a]. Dies iſt der Grund des Gleichgewichts im
teutſchen Reiche
. Bey Gelegenheit der Streitigkei-
ten uͤber den baierſchen Laͤndertauſch waren die Meinun-
gen uͤber den Begrif des Gleichgewichts in Teutſchland
getheilt. Kaiſerlicher Seits behauptete man b]: „Das
wahre Gleichgewicht der Gewalt in Anſehung der Staͤn-
de unter ſich, haͤngt nach der teutſchen Verfaſſung nur
allein davon ab, daß ein Stand gegen den andern ſich
gar keiner Gewalt anmaße, ſondern daß ieder derſelben
der beſtelten geſetzmaͤſigen Obergewalt untergeordnet blei-
be: So wie auch das Gleichgewicht der Gewalt in An-
ſehung des Reichsoberhaupts gegen die derſelben unterge-
bene Staͤnde einzig darauf beruht, daß die leztern an
der Geſetzgebung und an einigen andern in den Geſetzen
benanten Hoheitsrechten Theil haben, daß die exekutivi-
ſche Gewalt durch die dazu beſonders geordnete Staͤnde

vol-
A a 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0403" n="377"/><fw place="top" type="header">und deren Gleichgewicht.</fw><lb/>
obachtung der fe&#x017F;tge&#x017F;ezten wech&#x017F;el&#x017F;eitigen Verbindlichkei-<lb/>
ten zu Erhaltung des gemein&#x017F;amen Bandes i&#x017F;t, de&#x017F;to<lb/>
gro&#x0364;ßer muß die Sorgfalt der &#x017F;a&#x0364;mtlichen Mitglieder<lb/>
&#x017F;eyn, daß keins der&#x017F;elben &#x017F;eine Macht zum Nachtheil<lb/>
der Freiheit und Gerecht&#x017F;ame der u&#x0364;brigen zu &#x017F;ehr erwei-<lb/>
tere. Das teut&#x017F;che Reich i&#x017F;t ein aus mehrern gro&#x0364;ßern<lb/>
und kleinern Staaten zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezter Staatsko&#x0364;rper,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Oberhaupt in Ausu&#x0364;bung der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gewalt, &#x017F;o<lb/>
wie den &#x017F;ta&#x0364;ndi&#x017F;chen Freiheiten dabey durch Grundge&#x017F;etze<lb/>
zwar gewi&#x017F;&#x017F;e Grenzen vorgezeichnet &#x017F;ind, die iedoch von<lb/>
beiden Seiten leicht u&#x0364;ber&#x017F;chritten werden ko&#x0364;nten, wenn<lb/>
nicht eine gewi&#x017F;&#x017F;e Gleichheit der Macht &#x017F;owohl zwi&#x017F;chen<lb/>
Haupt und Gliedern, als unter den leztern &#x017F;tatt fa&#x0364;nde;<lb/>
zumal da das Staatsintere&#x017F;&#x017F;e die Wahl eines ma&#x0364;chtigen<lb/>
Standes zum Oberhaupt erfodert. Es i&#x017F;t daher eine<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndige Aufmerk&#x017F;amkeit no&#x0364;thig, damit iedes Mitglied<lb/>
bey dem freien und geruhigen Genuß &#x017F;einer Lande, Be-<lb/>
&#x017F;itzungen und Rechte erhalten, und an ieder widerrechtli-<lb/>
chen und willku&#x0364;hrlichen Unternehmung gehindert wer-<lb/>
de <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">a</hi></hi>]. Dies i&#x017F;t der <hi rendition="#fr">Grund des Gleichgewichts im<lb/>
teut&#x017F;chen Reiche</hi>. Bey Gelegenheit der Streitigkei-<lb/>
ten u&#x0364;ber den baier&#x017F;chen La&#x0364;ndertau&#x017F;ch waren die Meinun-<lb/>
gen u&#x0364;ber den Begrif des Gleichgewichts in Teut&#x017F;chland<lb/>
getheilt. Kai&#x017F;erlicher Seits behauptete man <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">b</hi></hi>]: &#x201E;Das<lb/>
wahre Gleichgewicht der Gewalt in An&#x017F;ehung der Sta&#x0364;n-<lb/>
de unter &#x017F;ich, ha&#x0364;ngt nach der teut&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung nur<lb/>
allein davon ab, daß ein Stand gegen den andern &#x017F;ich<lb/>
gar keiner Gewalt anmaße, &#x017F;ondern daß ieder der&#x017F;elben<lb/>
der be&#x017F;telten ge&#x017F;etzma&#x0364;&#x017F;igen Obergewalt untergeordnet blei-<lb/>
be: So wie auch das Gleichgewicht der Gewalt in An-<lb/>
&#x017F;ehung des Reichsoberhaupts gegen die der&#x017F;elben unterge-<lb/>
bene Sta&#x0364;nde einzig darauf beruht, daß die leztern an<lb/>
der Ge&#x017F;etzgebung und an einigen andern in den Ge&#x017F;etzen<lb/>
benanten Hoheitsrechten Theil haben, daß die exekutivi-<lb/>
&#x017F;che Gewalt durch die dazu be&#x017F;onders geordnete Sta&#x0364;nde<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a 5</fw><fw place="bottom" type="catch">vol-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0403] und deren Gleichgewicht. obachtung der feſtgeſezten wechſelſeitigen Verbindlichkei- ten zu Erhaltung des gemeinſamen Bandes iſt, deſto groͤßer muß die Sorgfalt der ſaͤmtlichen Mitglieder ſeyn, daß keins derſelben ſeine Macht zum Nachtheil der Freiheit und Gerechtſame der uͤbrigen zu ſehr erwei- tere. Das teutſche Reich iſt ein aus mehrern groͤßern und kleinern Staaten zuſammengeſezter Staatskoͤrper, deſſen Oberhaupt in Ausuͤbung der hoͤchſten Gewalt, ſo wie den ſtaͤndiſchen Freiheiten dabey durch Grundgeſetze zwar gewiſſe Grenzen vorgezeichnet ſind, die iedoch von beiden Seiten leicht uͤberſchritten werden koͤnten, wenn nicht eine gewiſſe Gleichheit der Macht ſowohl zwiſchen Haupt und Gliedern, als unter den leztern ſtatt faͤnde; zumal da das Staatsintereſſe die Wahl eines maͤchtigen Standes zum Oberhaupt erfodert. Es iſt daher eine beſtaͤndige Aufmerkſamkeit noͤthig, damit iedes Mitglied bey dem freien und geruhigen Genuß ſeiner Lande, Be- ſitzungen und Rechte erhalten, und an ieder widerrechtli- chen und willkuͤhrlichen Unternehmung gehindert wer- de a]. Dies iſt der Grund des Gleichgewichts im teutſchen Reiche. Bey Gelegenheit der Streitigkei- ten uͤber den baierſchen Laͤndertauſch waren die Meinun- gen uͤber den Begrif des Gleichgewichts in Teutſchland getheilt. Kaiſerlicher Seits behauptete man b]: „Das wahre Gleichgewicht der Gewalt in Anſehung der Staͤn- de unter ſich, haͤngt nach der teutſchen Verfaſſung nur allein davon ab, daß ein Stand gegen den andern ſich gar keiner Gewalt anmaße, ſondern daß ieder derſelben der beſtelten geſetzmaͤſigen Obergewalt untergeordnet blei- be: So wie auch das Gleichgewicht der Gewalt in An- ſehung des Reichsoberhaupts gegen die derſelben unterge- bene Staͤnde einzig darauf beruht, daß die leztern an der Geſetzgebung und an einigen andern in den Geſetzen benanten Hoheitsrechten Theil haben, daß die exekutivi- ſche Gewalt durch die dazu beſonders geordnete Staͤnde vol- A a 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/403
Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/403>, abgerufen am 01.05.2024.