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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.

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Von den Gerechtsamen
einer Kirche mit einander in Verbindung stehen und
gewissermaassen ein Ganzes ausmachen, die Religions-
angelegenheiten daher nicht blos als ein zur innern Ein-
richtung eines ieden Staats gehöriger Gegenstand be-
trachtet werden können e]. Wenigstens pflegen die eu-
ropäischen Nazionen einander dieses Recht nicht streitig
zu machen f]. Hat eine Nazion überdies die Garan-
tie desfals übernommen g], oder sonst ein wesentliches
Interesse dabey h], so ist sie auch wohl noch zu ernstli-
chern Schritten berechtigt i]: das meiste kommt hier
auf Verträge und besondere Verfassungen und Verhält-
nisse der verschiedenen Glaubensgenossen, sowohl in
einem Staate, als gegen andere Nazionen an k].

a] Es müste denn ein anderes durch Verträge bedungen
seyn; wie z. B. in dem wegen der Dissidenten in Polen,
mit Beitritt auswärtiger Mächte, 1768. errichteten
Vertrage Art. 19. festgesetzt ist: La religion Greque
non-unie,
ou Dissidente ne sera point pour les
etrangers un empechement d'obtenir l'Indigenat de
Pologne; et les Grecs non-unis et Dissidens seront
admis a la nation Polonoise sans obligation de chan-
ger de religion.
Mosers Versuch 6. Th. S. 275.
vergl. S. 166. ff.
Dieienigen, welche um des Religions- und Gewis-
senszwanges zu entgehn, in das Territorium einer an-
dern Nazion sich flüchten, werden nicht leicht wieder
ausgeliefert, selbst wenn es Leibeigene sind. s. Mosers
Versuch 6. Th. S. 176. Zuweilen werden diese von
den auszuliefernden Flüchtigen in Verträgen ausdrücklich
ausgenommen, wie z. B. zwischen Rußland und der
Pforte in dem Caingardschen Frieden 1774. Art. 2.
nach welchem die Verbrecher auf Requisition ausgeliefert
werden sollen, dieienigen ausgenommen sind, welche um
die Religion anzunehmen, sich in des andern Theils
Reich begeben.

Von den Gerechtſamen
einer Kirche mit einander in Verbindung ſtehen und
gewiſſermaaſſen ein Ganzes ausmachen, die Religions-
angelegenheiten daher nicht blos als ein zur innern Ein-
richtung eines ieden Staats gehoͤriger Gegenſtand be-
trachtet werden koͤnnen e]. Wenigſtens pflegen die eu-
ropaͤiſchen Nazionen einander dieſes Recht nicht ſtreitig
zu machen f]. Hat eine Nazion uͤberdies die Garan-
tie desfals uͤbernommen g], oder ſonſt ein weſentliches
Intereſſe dabey h], ſo iſt ſie auch wohl noch zu ernſtli-
chern Schritten berechtigt i]: das meiſte kommt hier
auf Vertraͤge und beſondere Verfaſſungen und Verhaͤlt-
niſſe der verſchiedenen Glaubensgenoſſen, ſowohl in
einem Staate, als gegen andere Nazionen an k].

a] Es muͤſte denn ein anderes durch Vertraͤge bedungen
ſeyn; wie z. B. in dem wegen der Diſſidenten in Polen,
mit Beitritt auswaͤrtiger Maͤchte, 1768. errichteten
Vertrage Art. 19. feſtgeſetzt iſt: La religion Greque
non-unie,
ou Diſſidente ne ſera point pour les
étrangers un empêchement d’obtenir l’Indigenat de
Pologne; et les Grecs non-unis et Diſſidens ſeront
admis à la nation Polonoiſe ſans obligation de chan-
ger de religion.
Moſers Verſuch 6. Th. S. 275.
vergl. S. 166. ff.
Dieienigen, welche um des Religions- und Gewiſ-
ſenszwanges zu entgehn, in das Territorium einer an-
dern Nazion ſich fluͤchten, werden nicht leicht wieder
ausgeliefert, ſelbſt wenn es Leibeigene ſind. ſ. Moſers
Verſuch 6. Th. S. 176. Zuweilen werden dieſe von
den auszuliefernden Fluͤchtigen in Vertraͤgen ausdruͤcklich
ausgenommen, wie z. B. zwiſchen Rußland und der
Pforte in dem Caingardſchen Frieden 1774. Art. 2.
nach welchem die Verbrecher auf Requiſition ausgeliefert
werden ſollen, dieienigen ausgenommen ſind, welche um
die Religion anzunehmen, ſich in des andern Theils
Reich begeben.

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[332/0346] Von den Gerechtſamen einer Kirche mit einander in Verbindung ſtehen und gewiſſermaaſſen ein Ganzes ausmachen, die Religions- angelegenheiten daher nicht blos als ein zur innern Ein- richtung eines ieden Staats gehoͤriger Gegenſtand be- trachtet werden koͤnnen e]. Wenigſtens pflegen die eu- ropaͤiſchen Nazionen einander dieſes Recht nicht ſtreitig zu machen f]. Hat eine Nazion uͤberdies die Garan- tie desfals uͤbernommen g], oder ſonſt ein weſentliches Intereſſe dabey h], ſo iſt ſie auch wohl noch zu ernſtli- chern Schritten berechtigt i]: das meiſte kommt hier auf Vertraͤge und beſondere Verfaſſungen und Verhaͤlt- niſſe der verſchiedenen Glaubensgenoſſen, ſowohl in einem Staate, als gegen andere Nazionen an k]. a] Es muͤſte denn ein anderes durch Vertraͤge bedungen ſeyn; wie z. B. in dem wegen der Diſſidenten in Polen, mit Beitritt auswaͤrtiger Maͤchte, 1768. errichteten Vertrage Art. 19. feſtgeſetzt iſt: La religion Greque non-unie, ou Diſſidente ne ſera point pour les étrangers un empêchement d’obtenir l’Indigenat de Pologne; et les Grecs non-unis et Diſſidens ſeront admis à la nation Polonoiſe ſans obligation de chan- ger de religion. Moſers Verſuch 6. Th. S. 275. vergl. S. 166. ff. Dieienigen, welche um des Religions- und Gewiſ- ſenszwanges zu entgehn, in das Territorium einer an- dern Nazion ſich fluͤchten, werden nicht leicht wieder ausgeliefert, ſelbſt wenn es Leibeigene ſind. ſ. Moſers Verſuch 6. Th. S. 176. Zuweilen werden dieſe von den auszuliefernden Fluͤchtigen in Vertraͤgen ausdruͤcklich ausgenommen, wie z. B. zwiſchen Rußland und der Pforte in dem Caingardſchen Frieden 1774. Art. 2. nach welchem die Verbrecher auf Requiſition ausgeliefert werden ſollen, dieienigen ausgenommen ſind, welche um die Religion anzunehmen, ſich in des andern Theils Reich begeben. Hieher

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/346>, abgerufen am 29.04.2024.