kershoeck und Titiusa] bestrittenen Frage an: ob nach dem Naturrechte das Eigenthum mit Endigung des Besitzes einer Sache verlohren gehe, und ob daher beide gewissermassen für gleich zu achten, oder ob das Eigenthum auch ohne Besitz fortdauere? Ungeachtet die meisten Rechtslehrer der letztern Meinung beitreten, b] so ist mir die erstere doch einleuchtender.
Das Eigenthum besteht in dem ausschließlichen Rechte an einer Sache, vermöge welchem man dieselbe nach Gefallen gebrauchen oder auch einem andern wie- der überlassen kan. Es gehören zu dessen Erwerbe zwey wesentliche Erfordernisse: der Wille der Zueignung und die würkliche Besitzergreifung. So lange beides, der Wille und der Besitz fordauern, so lange währt auch das Eigenthum. Wenn aber eins, und besonders das Hauptsächlichste, der Besitz fehlt, so hört auch das Eigenthum auf: der Wille allein vermag nichts. Es ist sonderbar, daß die Gegner dieser Meinung zum Verlust des Eigenthums, so wie zu dessen Erwerbe, beides, die Aufgebung des Besitzes und des Willens für nöthig halten, da doch iede Sache der ein wesent- liches Stück mangelt, aufhört dieselbe zu seyn. Wie will man auch etwas, das man nicht im Besitz hat, mit Ausschlus anderer gebrauchen, oder es andern über- tragen? welches gleichwohl mit dem Begriffe des Ei- gemhums verbundene Folgen sind. Das Eigenthum geht daher, meiner Meinung nach, mit dem Besitze verlohren.
Dies ist auf doppelte Art möglich. Der bisherige Eigenthümer hört entweder von selbst freywillig auf zu besitzen -- nicht blos körperlich, sondern, wie bey der Besitzergreifung, durch Aufhebung der Merkmale und Unterlassung der Thathandlungen, welche eine Sache von den herrnlosen unterscheiden, -- ohne iedoch den Besitz einem andern zu übergeben, so hat auch das
Eigen-
Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
kershoeck und Titiusa] beſtrittenen Frage an: ob nach dem Naturrechte das Eigenthum mit Endigung des Beſitzes einer Sache verlohren gehe, und ob daher beide gewiſſermaſſen fuͤr gleich zu achten, oder ob das Eigenthum auch ohne Beſitz fortdauere? Ungeachtet die meiſten Rechtslehrer der letztern Meinung beitreten, b] ſo iſt mir die erſtere doch einleuchtender.
Das Eigenthum beſteht in dem ausſchließlichen Rechte an einer Sache, vermoͤge welchem man dieſelbe nach Gefallen gebrauchen oder auch einem andern wie- der uͤberlaſſen kan. Es gehoͤren zu deſſen Erwerbe zwey weſentliche Erforderniſſe: der Wille der Zueignung und die wuͤrkliche Beſitzergreifung. So lange beides, der Wille und der Beſitz fordauern, ſo lange waͤhrt auch das Eigenthum. Wenn aber eins, und beſonders das Hauptſaͤchlichſte, der Beſitz fehlt, ſo hoͤrt auch das Eigenthum auf: der Wille allein vermag nichts. Es iſt ſonderbar, daß die Gegner dieſer Meinung zum Verluſt des Eigenthums, ſo wie zu deſſen Erwerbe, beides, die Aufgebung des Beſitzes und des Willens fuͤr noͤthig halten, da doch iede Sache der ein weſent- liches Stuͤck mangelt, aufhoͤrt dieſelbe zu ſeyn. Wie will man auch etwas, das man nicht im Beſitz hat, mit Ausſchlus anderer gebrauchen, oder es andern uͤber- tragen? welches gleichwohl mit dem Begriffe des Ei- gemhums verbundene Folgen ſind. Das Eigenthum geht daher, meiner Meinung nach, mit dem Beſitze verlohren.
Dies iſt auf doppelte Art moͤglich. Der bisherige Eigenthuͤmer hoͤrt entweder von ſelbſt freywillig auf zu beſitzen — nicht blos koͤrperlich, ſondern, wie bey der Beſitzergreifung, durch Aufhebung der Merkmale und Unterlaſſung der Thathandlungen, welche eine Sache von den herrnloſen unterſcheiden, — ohne iedoch den Beſitz einem andern zu uͤbergeben, ſo hat auch das
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Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
kershoeck und Titius a] beſtrittenen Frage an: ob
nach dem Naturrechte das Eigenthum mit Endigung
des Beſitzes einer Sache verlohren gehe, und ob daher
beide gewiſſermaſſen fuͤr gleich zu achten, oder ob das
Eigenthum auch ohne Beſitz fortdauere? Ungeachtet
die meiſten Rechtslehrer der letztern Meinung beitreten, b]
ſo iſt mir die erſtere doch einleuchtender.
Das Eigenthum beſteht in dem ausſchließlichen
Rechte an einer Sache, vermoͤge welchem man dieſelbe
nach Gefallen gebrauchen oder auch einem andern wie-
der uͤberlaſſen kan. Es gehoͤren zu deſſen Erwerbe zwey
weſentliche Erforderniſſe: der Wille der Zueignung und
die wuͤrkliche Beſitzergreifung. So lange beides, der
Wille und der Beſitz fordauern, ſo lange waͤhrt auch
das Eigenthum. Wenn aber eins, und beſonders das
Hauptſaͤchlichſte, der Beſitz fehlt, ſo hoͤrt auch das
Eigenthum auf: der Wille allein vermag nichts. Es
iſt ſonderbar, daß die Gegner dieſer Meinung zum
Verluſt des Eigenthums, ſo wie zu deſſen Erwerbe,
beides, die Aufgebung des Beſitzes und des Willens
fuͤr noͤthig halten, da doch iede Sache der ein weſent-
liches Stuͤck mangelt, aufhoͤrt dieſelbe zu ſeyn. Wie
will man auch etwas, das man nicht im Beſitz hat,
mit Ausſchlus anderer gebrauchen, oder es andern uͤber-
tragen? welches gleichwohl mit dem Begriffe des Ei-
gemhums verbundene Folgen ſind. Das Eigenthum
geht daher, meiner Meinung nach, mit dem Beſitze
verlohren.
Dies iſt auf doppelte Art moͤglich. Der bisherige
Eigenthuͤmer hoͤrt entweder von ſelbſt freywillig auf
zu beſitzen — nicht blos koͤrperlich, ſondern, wie bey
der Beſitzergreifung, durch Aufhebung der Merkmale
und Unterlaſſung der Thathandlungen, welche eine
Sache von den herrnloſen unterſcheiden, — ohne iedoch
den Beſitz einem andern zu uͤbergeben, ſo hat auch das
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/86>, abgerufen am 03.05.2024.
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