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[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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keit der Reformation unerwiesen bleibt. Der Erzieher opfert gern die Idee des Volkes, wenn er nur noch die der Menschheit behält, ein Anderer hat das entgegengesetzte Interesse. So bildet sich auf der Oberfläche unseres Lebens eine Menge kleiner, nicht einmal mit ihrem Umkreis zusammenstoßender Cirkel.

Da ich mich heute fast zum Declamatorischen aufgelegt fühle, so will ich Dir an den Parteiungen und dem bisherigen Streite unserer Theologen beweisen, wie sich jede Einseitigkeit an der andern aufreibt.

In einer Legende streiten sich zwei Klosterjungfrauen über den Vorzug ihrer Heiligen. Die Eine verehrt Johannes, den Täufer, die Andere den Jünger dieses Namens. Ueber Nacht erscheinen die Heiligen ihren Anwälten, und belehren Jede, daß nicht ihr Liebling, der jetzt zu ihnen rede, sondern der Andere der größere sei. Am folgenden Morgen hatten sich nun Beide von ihrem Irrthum bekehrt, nur daß unsere Kleriker das sich nicht so offen gestehen, und reumüthig um den Hals fallen. Kann es aber etwas Thörichteres geben, als einen Zank über den Anfang oder das Ende eines Cirkels? Den Einen erscheint Gott in den ersten Anfängen seiner Erkenntniß unbestimmt, unerklärbar; die Andern erhalten diese Unbegreif-

keit der Reformation unerwiesen bleibt. Der Erzieher opfert gern die Idee des Volkes, wenn er nur noch die der Menschheit behält, ein Anderer hat das entgegengesetzte Interesse. So bildet sich auf der Oberfläche unseres Lebens eine Menge kleiner, nicht einmal mit ihrem Umkreis zusammenstoßender Cirkel.

Da ich mich heute fast zum Declamatorischen aufgelegt fühle, so will ich Dir an den Parteiungen und dem bisherigen Streite unserer Theologen beweisen, wie sich jede Einseitigkeit an der andern aufreibt.

In einer Legende streiten sich zwei Klosterjungfrauen über den Vorzug ihrer Heiligen. Die Eine verehrt Johannes, den Täufer, die Andere den Jünger dieses Namens. Ueber Nacht erscheinen die Heiligen ihren Anwälten, und belehren Jede, daß nicht ihr Liebling, der jetzt zu ihnen rede, sondern der Andere der größere sei. Am folgenden Morgen hatten sich nun Beide von ihrem Irrthum bekehrt, nur daß unsere Kleriker das sich nicht so offen gestehen, und reumüthig um den Hals fallen. Kann es aber etwas Thörichteres geben, als einen Zank über den Anfang oder das Ende eines Cirkels? Den Einen erscheint Gott in den ersten Anfängen seiner Erkenntniß unbestimmt, unerklärbar; die Andern erhalten diese Unbegreif-

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[131/0144] keit der Reformation unerwiesen bleibt. Der Erzieher opfert gern die Idee des Volkes, wenn er nur noch die der Menschheit behält, ein Anderer hat das entgegengesetzte Interesse. So bildet sich auf der Oberfläche unseres Lebens eine Menge kleiner, nicht einmal mit ihrem Umkreis zusammenstoßender Cirkel. Da ich mich heute fast zum Declamatorischen aufgelegt fühle, so will ich Dir an den Parteiungen und dem bisherigen Streite unserer Theologen beweisen, wie sich jede Einseitigkeit an der andern aufreibt. In einer Legende streiten sich zwei Klosterjungfrauen über den Vorzug ihrer Heiligen. Die Eine verehrt Johannes, den Täufer, die Andere den Jünger dieses Namens. Ueber Nacht erscheinen die Heiligen ihren Anwälten, und belehren Jede, daß nicht ihr Liebling, der jetzt zu ihnen rede, sondern der Andere der größere sei. Am folgenden Morgen hatten sich nun Beide von ihrem Irrthum bekehrt, nur daß unsere Kleriker das sich nicht so offen gestehen, und reumüthig um den Hals fallen. Kann es aber etwas Thörichteres geben, als einen Zank über den Anfang oder das Ende eines Cirkels? Den Einen erscheint Gott in den ersten Anfängen seiner Erkenntniß unbestimmt, unerklärbar; die Andern erhalten diese Unbegreif-

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/144>, abgerufen am 06.05.2024.