Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn eine Gans eine Wolfsherde bekehren wollte, oder ein Has einen Fuchs, so sieht man nur die Dummheit, und über die lach' ich nie. Ich hab' es schon oft gesagt, daß die Klugheit nichts mit der Tugend gemein hat. Das ist die Homöopathie in der Politik, List mit List zu widerlegen. Wenn eine linke Seite erst Acten und Testimonien durchstudiren wollte, um endlich nach einigen Wochen eine Frage an die Ministerbank zu richten, so wollt' ich ihr diese mühevolle Ehrlichkeit sehr verdenken. Wie's der Augenblick bringt, jedes leise Wehen der geschäftigen Sage, jede noch schwache Vermuthung ist immer schon stark genug, den Zwecken der Opposition zu dienen. Will sie denn die Regierung besiegen? nein, sie will sie nur beschäftigen. Napoleon hat auch darin ohne sein Wollen dem Liberalismus gedient, daß er ihn kämpfen lehrte. Die heutige Taktik wird nicht mehr die Armeen vor den Festungen zerstreuen, sondern sie kühn und ohne Verzug mitten ins feindliche Land hineinmarschiren lassen; die Festungen ergeben sich zuletzt doch. Sonst ist die Gewalt der Regierung mächtig genug, selbst Felsen aus der Richtung ihres Weges fortzuschaffen, aber das parlamentarische Leben zwingt sie, an jedem Steinchen anzustoßen. Ich bleibe der festen Meinung, daß Alles den Zwecken der Wahrheit dienen kann,

wenn eine Gans eine Wolfsherde bekehren wollte, oder ein Has einen Fuchs, so sieht man nur die Dummheit, und über die lach’ ich nie. Ich hab’ es schon oft gesagt, daß die Klugheit nichts mit der Tugend gemein hat. Das ist die Homöopathie in der Politik, List mit List zu widerlegen. Wenn eine linke Seite erst Acten und Testimonien durchstudiren wollte, um endlich nach einigen Wochen eine Frage an die Ministerbank zu richten, so wollt’ ich ihr diese mühevolle Ehrlichkeit sehr verdenken. Wie’s der Augenblick bringt, jedes leise Wehen der geschäftigen Sage, jede noch schwache Vermuthung ist immer schon stark genug, den Zwecken der Opposition zu dienen. Will sie denn die Regierung besiegen? nein, sie will sie nur beschäftigen. Napoleon hat auch darin ohne sein Wollen dem Liberalismus gedient, daß er ihn kämpfen lehrte. Die heutige Taktik wird nicht mehr die Armeen vor den Festungen zerstreuen, sondern sie kühn und ohne Verzug mitten ins feindliche Land hineinmarschiren lassen; die Festungen ergeben sich zuletzt doch. Sonst ist die Gewalt der Regierung mächtig genug, selbst Felsen aus der Richtung ihres Weges fortzuschaffen, aber das parlamentarische Leben zwingt sie, an jedem Steinchen anzustoßen. Ich bleibe der festen Meinung, daß Alles den Zwecken der Wahrheit dienen kann,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0200" n="187"/>
wenn eine Gans eine Wolfsherde bekehren wollte, oder ein Has einen Fuchs, so sieht man nur die Dummheit, und über die lach&#x2019; ich nie. Ich hab&#x2019; es schon oft gesagt, daß die Klugheit nichts mit der Tugend gemein hat. Das ist die Homöopathie in der Politik, List mit List zu widerlegen. Wenn eine linke Seite erst Acten und Testimonien durchstudiren wollte, um endlich nach einigen Wochen eine Frage an die Ministerbank zu richten, so wollt&#x2019; ich ihr diese mühevolle Ehrlichkeit sehr verdenken. Wie&#x2019;s der Augenblick bringt, jedes leise Wehen der geschäftigen Sage, jede noch schwache Vermuthung ist immer schon stark genug, den Zwecken der Opposition zu dienen. Will sie denn die Regierung besiegen? nein, sie will sie nur beschäftigen. Napoleon hat auch darin ohne sein Wollen dem Liberalismus gedient, daß er ihn kämpfen lehrte. Die heutige Taktik wird nicht mehr die Armeen vor den Festungen zerstreuen, sondern sie kühn und ohne Verzug mitten ins feindliche Land hineinmarschiren lassen; die Festungen ergeben sich zuletzt doch. Sonst ist die Gewalt der Regierung mächtig genug, selbst Felsen aus der Richtung ihres Weges fortzuschaffen, aber das parlamentarische Leben zwingt sie, an jedem Steinchen anzustoßen. Ich bleibe der festen Meinung, daß Alles den Zwecken der Wahrheit dienen kann,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0200] wenn eine Gans eine Wolfsherde bekehren wollte, oder ein Has einen Fuchs, so sieht man nur die Dummheit, und über die lach’ ich nie. Ich hab’ es schon oft gesagt, daß die Klugheit nichts mit der Tugend gemein hat. Das ist die Homöopathie in der Politik, List mit List zu widerlegen. Wenn eine linke Seite erst Acten und Testimonien durchstudiren wollte, um endlich nach einigen Wochen eine Frage an die Ministerbank zu richten, so wollt’ ich ihr diese mühevolle Ehrlichkeit sehr verdenken. Wie’s der Augenblick bringt, jedes leise Wehen der geschäftigen Sage, jede noch schwache Vermuthung ist immer schon stark genug, den Zwecken der Opposition zu dienen. Will sie denn die Regierung besiegen? nein, sie will sie nur beschäftigen. Napoleon hat auch darin ohne sein Wollen dem Liberalismus gedient, daß er ihn kämpfen lehrte. Die heutige Taktik wird nicht mehr die Armeen vor den Festungen zerstreuen, sondern sie kühn und ohne Verzug mitten ins feindliche Land hineinmarschiren lassen; die Festungen ergeben sich zuletzt doch. Sonst ist die Gewalt der Regierung mächtig genug, selbst Felsen aus der Richtung ihres Weges fortzuschaffen, aber das parlamentarische Leben zwingt sie, an jedem Steinchen anzustoßen. Ich bleibe der festen Meinung, daß Alles den Zwecken der Wahrheit dienen kann,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/200
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/200>, abgerufen am 06.05.2024.