Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

nervichte Linke hab' ich Deine wallenden Locken gewunden. Eher wollt' ich Dir, wie Virginia's Vater, das schöne, jugendliche Haupt vom Rumpfe trennen; eh' ich die Schmach erführe, Du hättest Dich ihnen hingeben müssen.

O, meine Gute, ich kenn' eine Telegraphenlinie, die geht durch alle Länder, in denen menschlicher Odem wehet! Keiner hat es dem Andern gesagt, und doch wissen sie es Alle. Jeder Seufzer, jede Klage, jeder Schrei der Verzweiflung steigt wie Feuersäulen in die Luft, von Bergen zu Bergen sieht man Tausende solcher Flammenzeichen rauchen. Das sind die Geister der Abendwinde und die Mondscheinwellen, auf denen sie schiffen. Das sind die unsichtbaren Landstraßen, die die Engel in duftigen Frühlingsnächten gewoben und gedämmt haben. Das sind all die heimlichen Gedanken, die hinüber und herüber ziehen, tröstend und mahnend. Wie Irrlichter sieht man die großen, glühenden Buchstaben, hinter schwarzem, ölgetränktem Papiere auf dunkeln Moorgründen auf- und niedergaukeln. Wie Feuerkugeln fallen aus nächtlichem Himmelsblau die Abbreviaturen der großen Commandowörter, die zum Schrecken der Tyrannen die Bewegungen unzähliger Heerscharen ordnen und lenken. Der helle Nordschein mit seinen gelblichrothen Lichtströmen ist eine glanz-

nervichte Linke hab’ ich Deine wallenden Locken gewunden. Eher wollt’ ich Dir, wie Virginia’s Vater, das schöne, jugendliche Haupt vom Rumpfe trennen; eh’ ich die Schmach erführe, Du hättest Dich ihnen hingeben müssen.

O, meine Gute, ich kenn’ eine Telegraphenlinie, die geht durch alle Länder, in denen menschlicher Odem wehet! Keiner hat es dem Andern gesagt, und doch wissen sie es Alle. Jeder Seufzer, jede Klage, jeder Schrei der Verzweiflung steigt wie Feuersäulen in die Luft, von Bergen zu Bergen sieht man Tausende solcher Flammenzeichen rauchen. Das sind die Geister der Abendwinde und die Mondscheinwellen, auf denen sie schiffen. Das sind die unsichtbaren Landstraßen, die die Engel in duftigen Frühlingsnächten gewoben und gedämmt haben. Das sind all die heimlichen Gedanken, die hinüber und herüber ziehen, tröstend und mahnend. Wie Irrlichter sieht man die großen, glühenden Buchstaben, hinter schwarzem, ölgetränktem Papiere auf dunkeln Moorgründen auf- und niedergaukeln. Wie Feuerkugeln fallen aus nächtlichem Himmelsblau die Abbreviaturen der großen Commandowörter, die zum Schrecken der Tyrannen die Bewegungen unzähliger Heerscharen ordnen und lenken. Der helle Nordschein mit seinen gelblichrothen Lichtströmen ist eine glanz-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0202" n="189"/>
nervichte Linke hab&#x2019; ich Deine wallenden Locken gewunden. Eher wollt&#x2019; ich Dir, wie Virginia&#x2019;s Vater, das schöne, jugendliche Haupt vom Rumpfe trennen; eh&#x2019; ich die Schmach erführe, Du hättest Dich ihnen hingeben müssen.</p>
        <p>O, meine Gute, ich kenn&#x2019; eine Telegraphenlinie, die geht durch alle Länder, in denen menschlicher Odem wehet! Keiner hat es dem Andern gesagt, und doch wissen sie es Alle. Jeder Seufzer, jede Klage, jeder Schrei der Verzweiflung steigt wie Feuersäulen in die Luft, von Bergen zu Bergen sieht man Tausende solcher Flammenzeichen rauchen. Das sind die Geister der Abendwinde und die Mondscheinwellen, auf denen sie schiffen. Das sind die unsichtbaren Landstraßen, die die Engel in duftigen Frühlingsnächten gewoben und gedämmt haben. Das sind all die heimlichen Gedanken, die hinüber und herüber ziehen, tröstend und mahnend. Wie Irrlichter sieht man die großen, glühenden Buchstaben, hinter schwarzem, ölgetränktem Papiere auf dunkeln Moorgründen auf- und niedergaukeln. Wie Feuerkugeln fallen aus nächtlichem Himmelsblau die Abbreviaturen der großen Commandowörter, die zum Schrecken der Tyrannen die Bewegungen unzähliger Heerscharen ordnen und lenken. Der helle Nordschein mit seinen gelblichrothen Lichtströmen ist eine glanz-
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0202] nervichte Linke hab’ ich Deine wallenden Locken gewunden. Eher wollt’ ich Dir, wie Virginia’s Vater, das schöne, jugendliche Haupt vom Rumpfe trennen; eh’ ich die Schmach erführe, Du hättest Dich ihnen hingeben müssen. O, meine Gute, ich kenn’ eine Telegraphenlinie, die geht durch alle Länder, in denen menschlicher Odem wehet! Keiner hat es dem Andern gesagt, und doch wissen sie es Alle. Jeder Seufzer, jede Klage, jeder Schrei der Verzweiflung steigt wie Feuersäulen in die Luft, von Bergen zu Bergen sieht man Tausende solcher Flammenzeichen rauchen. Das sind die Geister der Abendwinde und die Mondscheinwellen, auf denen sie schiffen. Das sind die unsichtbaren Landstraßen, die die Engel in duftigen Frühlingsnächten gewoben und gedämmt haben. Das sind all die heimlichen Gedanken, die hinüber und herüber ziehen, tröstend und mahnend. Wie Irrlichter sieht man die großen, glühenden Buchstaben, hinter schwarzem, ölgetränktem Papiere auf dunkeln Moorgründen auf- und niedergaukeln. Wie Feuerkugeln fallen aus nächtlichem Himmelsblau die Abbreviaturen der großen Commandowörter, die zum Schrecken der Tyrannen die Bewegungen unzähliger Heerscharen ordnen und lenken. Der helle Nordschein mit seinen gelblichrothen Lichtströmen ist eine glanz-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/202
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/202>, abgerufen am 01.05.2024.