Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschen verehrten mich wie einen Propheten. Wenn sich mein Geist in blitzende, leuchtende Strahlen spaltete, so war ich Regenbogen und Sonne zugleich, Wärme so gut, wie Licht. Gern sah' ich in die Kreise des menschlichen Lebens, auf die sonst der Stempel des Gewöhnlichen gedrückt ist. Aus den tiefsten Schachten einer reinen Gemüthswelt sah' ich reines Gold blinken. Mit dem Zauberstabe meiner sanften Rede führt' ich die Engel, die der irdische Glaube der Menschen an den Hütten der Unschuld und ungezwungenen Sitte unsichtbar gemacht hatte, wieder heim in diese Wohnungen des Friedens. Wie grünende Inseln schwammen meine Gedanken lange unentdeckt auf den Gewässern meiner Zeit. Nur verirrte Schiffer oder ein Unglücklicher, dessen letzte Rettung ein erhaschtes Boot gewesen, fand sie. Dann labt' er sich an dem süßen Quellwasser, das aus meinen dunkeln, heimlichen Grotten floß, an den fröhlichen, muntern Tönen geschwätziger Waldbewohner. Aber oft hat sich in einer Welt voller Flachheit und Entartung die Unschuld mit scharfem Stahl gewaffnet, so hab' auch ich die dunkeln Schatten meiner Zeit mit Feuerlilien vertrieben. Meine Frühlinge keimten meist nur aus Asche, wie aus den Lavaströmen des Vesuvs die Thränen Christi keimen. Die Biene war mein Sym-

Menschen verehrten mich wie einen Propheten. Wenn sich mein Geist in blitzende, leuchtende Strahlen spaltete, so war ich Regenbogen und Sonne zugleich, Wärme so gut, wie Licht. Gern sah’ ich in die Kreise des menschlichen Lebens, auf die sonst der Stempel des Gewöhnlichen gedrückt ist. Aus den tiefsten Schachten einer reinen Gemüthswelt sah’ ich reines Gold blinken. Mit dem Zauberstabe meiner sanften Rede führt’ ich die Engel, die der irdische Glaube der Menschen an den Hütten der Unschuld und ungezwungenen Sitte unsichtbar gemacht hatte, wieder heim in diese Wohnungen des Friedens. Wie grünende Inseln schwammen meine Gedanken lange unentdeckt auf den Gewässern meiner Zeit. Nur verirrte Schiffer oder ein Unglücklicher, dessen letzte Rettung ein erhaschtes Boot gewesen, fand sie. Dann labt’ er sich an dem süßen Quellwasser, das aus meinen dunkeln, heimlichen Grotten floß, an den fröhlichen, muntern Tönen geschwätziger Waldbewohner. Aber oft hat sich in einer Welt voller Flachheit und Entartung die Unschuld mit scharfem Stahl gewaffnet, so hab’ auch ich die dunkeln Schatten meiner Zeit mit Feuerlilien vertrieben. Meine Frühlinge keimten meist nur aus Asche, wie aus den Lavaströmen des Vesuvs die Thränen Christi keimen. Die Biene war mein Sym-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0241" n="228"/>
Menschen verehrten mich wie einen Propheten. Wenn sich mein Geist in blitzende, leuchtende Strahlen spaltete, so war ich Regenbogen und Sonne zugleich, Wärme so gut, wie Licht. Gern sah&#x2019; ich in die Kreise des menschlichen Lebens, auf die sonst der Stempel des Gewöhnlichen gedrückt ist. Aus den tiefsten Schachten einer reinen Gemüthswelt sah&#x2019; ich reines Gold blinken. Mit dem Zauberstabe meiner sanften Rede führt&#x2019; ich die Engel, die der irdische Glaube der Menschen an den Hütten der Unschuld und ungezwungenen Sitte unsichtbar gemacht hatte, wieder heim in diese Wohnungen des Friedens. Wie grünende Inseln schwammen meine Gedanken lange unentdeckt auf den Gewässern meiner Zeit. Nur verirrte Schiffer oder ein Unglücklicher, dessen letzte Rettung ein erhaschtes Boot gewesen, fand sie. Dann labt&#x2019; er sich an dem süßen Quellwasser, das aus meinen dunkeln, heimlichen Grotten floß, an den fröhlichen, muntern Tönen geschwätziger Waldbewohner. Aber oft hat sich in einer Welt voller Flachheit und Entartung die Unschuld mit scharfem Stahl gewaffnet, so hab&#x2019; auch ich die dunkeln Schatten meiner Zeit mit Feuerlilien vertrieben. Meine Frühlinge keimten meist nur aus Asche, wie aus den Lavaströmen des Vesuvs die <hi rendition="#g">Thränen Christi</hi> keimen. Die Biene war mein Sym-
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0241] Menschen verehrten mich wie einen Propheten. Wenn sich mein Geist in blitzende, leuchtende Strahlen spaltete, so war ich Regenbogen und Sonne zugleich, Wärme so gut, wie Licht. Gern sah’ ich in die Kreise des menschlichen Lebens, auf die sonst der Stempel des Gewöhnlichen gedrückt ist. Aus den tiefsten Schachten einer reinen Gemüthswelt sah’ ich reines Gold blinken. Mit dem Zauberstabe meiner sanften Rede führt’ ich die Engel, die der irdische Glaube der Menschen an den Hütten der Unschuld und ungezwungenen Sitte unsichtbar gemacht hatte, wieder heim in diese Wohnungen des Friedens. Wie grünende Inseln schwammen meine Gedanken lange unentdeckt auf den Gewässern meiner Zeit. Nur verirrte Schiffer oder ein Unglücklicher, dessen letzte Rettung ein erhaschtes Boot gewesen, fand sie. Dann labt’ er sich an dem süßen Quellwasser, das aus meinen dunkeln, heimlichen Grotten floß, an den fröhlichen, muntern Tönen geschwätziger Waldbewohner. Aber oft hat sich in einer Welt voller Flachheit und Entartung die Unschuld mit scharfem Stahl gewaffnet, so hab’ auch ich die dunkeln Schatten meiner Zeit mit Feuerlilien vertrieben. Meine Frühlinge keimten meist nur aus Asche, wie aus den Lavaströmen des Vesuvs die Thränen Christi keimen. Die Biene war mein Sym-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/241
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/241>, abgerufen am 01.05.2024.