Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

wird seufzend hinzugefügt. Daß man doch wenigstens wüßte, wo man Dich angreifen soll! Wir wollen ja lieber lauter Bettler, als einen, der heute in Lumpen geht, und sich morgen für einen Crösus ausgibt. Nein, in der That, hierin ist unsere Zeit consequent, sie will nicht arm sein; denn stolz und hochmüthig sagt sie bald darauf:

"Nein, ich bin reich, und habe gar satt, und bedarf Nichts."

Falsche Scham! Man weiß es besser:

"Du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß."

Leider, Die Noth des Volkes ist aufs Höchste gestiegen. Armes Irland, wie sehr bedarfst du des nachstehenden Trostes, daß nur die der Herr züchtigt, die er lieb hat.

Wenn Sie nun jetzt in der Bibel weiterläsen, so würden Sie einen Engel finden, der ein versiegeltes Buch trägt, das Buch der Weltgeschichte. Niemand ist da, der es öffnen kann. Die Zeit steht still und kann sich nicht mehr entwickeln. Da tritt endlich das apokalyptische Lamm hervor. Christus ist's, der die abgelaufene Uhr der Geschichte wieder aufzieht. Er öffnet sechs Siegel, und zuletzt ein siebentes, und dann -- o, ich zittre schon an allen Gliedern. Zittern auch Sie, Fräulein! Man hat Ursach!

wird seufzend hinzugefügt. Daß man doch wenigstens wüßte, wo man Dich angreifen soll! Wir wollen ja lieber lauter Bettler, als einen, der heute in Lumpen geht, und sich morgen für einen Crösus ausgibt. Nein, in der That, hierin ist unsere Zeit consequent, sie will nicht arm sein; denn stolz und hochmüthig sagt sie bald darauf:

»Nein, ich bin reich, und habe gar satt, und bedarf Nichts.«

Falsche Scham! Man weiß es besser:

»Du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß.«

Leider, Die Noth des Volkes ist aufs Höchste gestiegen. Armes Irland, wie sehr bedarfst du des nachstehenden Trostes, daß nur die der Herr züchtigt, die er lieb hat.

Wenn Sie nun jetzt in der Bibel weiterläsen, so würden Sie einen Engel finden, der ein versiegeltes Buch trägt, das Buch der Weltgeschichte. Niemand ist da, der es öffnen kann. Die Zeit steht still und kann sich nicht mehr entwickeln. Da tritt endlich das apokalyptische Lamm hervor. Christus ist’s, der die abgelaufene Uhr der Geschichte wieder aufzieht. Er öffnet sechs Siegel, und zuletzt ein siebentes, und dann — o, ich zittre schon an allen Gliedern. Zittern auch Sie, Fräulein! Man hat Ursach!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0322" n="309"/>
        <p> wird seufzend hinzugefügt. Daß man doch wenigstens wüßte, wo man Dich angreifen soll! Wir wollen ja lieber lauter Bettler, als einen, der heute in Lumpen geht, und sich morgen für einen Crösus ausgibt. Nein, in der That, hierin ist unsere Zeit consequent, sie will nicht arm sein; denn stolz und hochmüthig sagt sie bald darauf:</p>
        <p>»Nein, ich bin reich, und habe gar satt, und bedarf Nichts.«</p>
        <p>Falsche Scham! Man weiß es besser:</p>
        <p>»Du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß.«</p>
        <p>Leider, Die Noth des Volkes ist aufs Höchste gestiegen. Armes Irland, wie sehr bedarfst du des nachstehenden Trostes, daß nur die der Herr züchtigt, die er lieb hat.</p>
        <p>Wenn Sie nun jetzt in der Bibel weiterläsen, so würden Sie einen Engel finden, der ein versiegeltes Buch trägt, das Buch der Weltgeschichte. Niemand ist da, der es öffnen kann. Die Zeit steht still und kann sich nicht mehr entwickeln. Da tritt endlich das apokalyptische Lamm hervor. Christus ist&#x2019;s, der die abgelaufene Uhr der Geschichte wieder aufzieht. Er öffnet sechs Siegel, und zuletzt ein siebentes, und dann &#x2014; o, ich zittre schon an allen Gliedern. Zittern auch Sie, Fräulein! Man hat Ursach!</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0322] wird seufzend hinzugefügt. Daß man doch wenigstens wüßte, wo man Dich angreifen soll! Wir wollen ja lieber lauter Bettler, als einen, der heute in Lumpen geht, und sich morgen für einen Crösus ausgibt. Nein, in der That, hierin ist unsere Zeit consequent, sie will nicht arm sein; denn stolz und hochmüthig sagt sie bald darauf: »Nein, ich bin reich, und habe gar satt, und bedarf Nichts.« Falsche Scham! Man weiß es besser: »Du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß.« Leider, Die Noth des Volkes ist aufs Höchste gestiegen. Armes Irland, wie sehr bedarfst du des nachstehenden Trostes, daß nur die der Herr züchtigt, die er lieb hat. Wenn Sie nun jetzt in der Bibel weiterläsen, so würden Sie einen Engel finden, der ein versiegeltes Buch trägt, das Buch der Weltgeschichte. Niemand ist da, der es öffnen kann. Die Zeit steht still und kann sich nicht mehr entwickeln. Da tritt endlich das apokalyptische Lamm hervor. Christus ist’s, der die abgelaufene Uhr der Geschichte wieder aufzieht. Er öffnet sechs Siegel, und zuletzt ein siebentes, und dann — o, ich zittre schon an allen Gliedern. Zittern auch Sie, Fräulein! Man hat Ursach!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/322
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/322>, abgerufen am 28.04.2024.