Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Man rechnet mich zu den bessern Schriftstellern der Nation, dankt mir für die Unterhaltung, die ich auf Augenblicke gewähre. Der Laune des Publicums, einer verzogenen, verbildeten Dame, muß ich mich hingeben, und auf dem Sopha neben Schooßhündchen und Stickmustern prangen. Wenn die Leute schläfrig sind, muß ich ihnen die Augenwimpern aufrecht stützen: und statt daß mir eine müde Schöne erlauben sollte, ihr die Seidendecke des Auges zu küssen, wirft sie mich unwillig zur Seite, nimmt ihr Licht, und geht zu Bett.

Ja, Schwester, die römischen Classiker müssen als erste Opfer fallen!

Wenn die Völker dieser Zeit nur auf Trümmern und zersprengten Felsen wohnen, so sind die Schriftsteller meist nur das niedrige ärmliche Gestrüpp, das ihnen noch einigen Reiz und Lebensaussehen gibt. So grünt das modernde Moos, wenn es sich über verwitterte Steine, zwischen Tod und Leben kämpfend, zieht. Sollen wir nicht rathend, belebend, schaffend durch die Räume der Erde walten? Wir besitzen die Klarheit des Geistes, und nicht die Sitte und Gewohnheit soll herrschen, sondern der Geist, der sie prüfend verwirft oder annimmt. Gibt es unter dem Volke Unmündige, so ist das ein Zeugniß gegen uns. Die Vorurtheile sind stark, aber sie sterben aus

Man rechnet mich zu den bessern Schriftstellern der Nation, dankt mir für die Unterhaltung, die ich auf Augenblicke gewähre. Der Laune des Publicums, einer verzogenen, verbildeten Dame, muß ich mich hingeben, und auf dem Sopha neben Schooßhündchen und Stickmustern prangen. Wenn die Leute schläfrig sind, muß ich ihnen die Augenwimpern aufrecht stützen: und statt daß mir eine müde Schöne erlauben sollte, ihr die Seidendecke des Auges zu küssen, wirft sie mich unwillig zur Seite, nimmt ihr Licht, und geht zu Bett.

Ja, Schwester, die römischen Classiker müssen als erste Opfer fallen!

Wenn die Völker dieser Zeit nur auf Trümmern und zersprengten Felsen wohnen, so sind die Schriftsteller meist nur das niedrige ärmliche Gestrüpp, das ihnen noch einigen Reiz und Lebensaussehen gibt. So grünt das modernde Moos, wenn es sich über verwitterte Steine, zwischen Tod und Leben kämpfend, zieht. Sollen wir nicht rathend, belebend, schaffend durch die Räume der Erde walten? Wir besitzen die Klarheit des Geistes, und nicht die Sitte und Gewohnheit soll herrschen, sondern der Geist, der sie prüfend verwirft oder annimmt. Gibt es unter dem Volke Unmündige, so ist das ein Zeugniß gegen uns. Die Vorurtheile sind stark, aber sie sterben aus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0335" n="322"/>
        <p> Man rechnet mich zu den bessern Schriftstellern der Nation, dankt mir für die Unterhaltung, die ich auf Augenblicke gewähre. Der Laune des Publicums, einer verzogenen, verbildeten Dame, muß ich mich hingeben, und auf dem Sopha neben Schooßhündchen und Stickmustern prangen. Wenn die Leute schläfrig sind, muß ich ihnen die Augenwimpern aufrecht stützen: und statt daß mir eine müde Schöne erlauben sollte, ihr die Seidendecke des Auges zu küssen, wirft sie mich unwillig zur Seite, nimmt ihr Licht, und geht zu Bett.</p>
        <p>Ja, Schwester, die römischen Classiker müssen als erste Opfer fallen!</p>
        <p>Wenn die Völker dieser Zeit nur auf Trümmern und zersprengten Felsen wohnen, so sind die Schriftsteller meist nur das niedrige ärmliche Gestrüpp, das ihnen noch einigen Reiz und Lebensaussehen gibt. So grünt das modernde Moos, wenn es sich über verwitterte Steine, zwischen Tod und Leben kämpfend, zieht. Sollen wir nicht rathend, belebend, schaffend durch die Räume der Erde walten? Wir besitzen die Klarheit des Geistes, und nicht die Sitte und Gewohnheit soll herrschen, sondern der Geist, der sie prüfend verwirft oder annimmt. Gibt es unter dem Volke Unmündige, so ist das ein Zeugniß gegen uns. Die Vorurtheile sind stark, aber sie sterben aus
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0335] Man rechnet mich zu den bessern Schriftstellern der Nation, dankt mir für die Unterhaltung, die ich auf Augenblicke gewähre. Der Laune des Publicums, einer verzogenen, verbildeten Dame, muß ich mich hingeben, und auf dem Sopha neben Schooßhündchen und Stickmustern prangen. Wenn die Leute schläfrig sind, muß ich ihnen die Augenwimpern aufrecht stützen: und statt daß mir eine müde Schöne erlauben sollte, ihr die Seidendecke des Auges zu küssen, wirft sie mich unwillig zur Seite, nimmt ihr Licht, und geht zu Bett. Ja, Schwester, die römischen Classiker müssen als erste Opfer fallen! Wenn die Völker dieser Zeit nur auf Trümmern und zersprengten Felsen wohnen, so sind die Schriftsteller meist nur das niedrige ärmliche Gestrüpp, das ihnen noch einigen Reiz und Lebensaussehen gibt. So grünt das modernde Moos, wenn es sich über verwitterte Steine, zwischen Tod und Leben kämpfend, zieht. Sollen wir nicht rathend, belebend, schaffend durch die Räume der Erde walten? Wir besitzen die Klarheit des Geistes, und nicht die Sitte und Gewohnheit soll herrschen, sondern der Geist, der sie prüfend verwirft oder annimmt. Gibt es unter dem Volke Unmündige, so ist das ein Zeugniß gegen uns. Die Vorurtheile sind stark, aber sie sterben aus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/335
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/335>, abgerufen am 28.04.2024.