müther eindringen läßt, erstiegen. Er hatte einen ganzen Friedhof todter Gedanken, herr¬ licher Ideen, an die er einst glaubte, hinter sich: er fiel nicht mehr vor sich selbst nieder und ließ seine Vergangenheit die Knie seiner Zukunft umschlingen und sie beten: heilige Zu¬ kunft, glühender Moloch, wann hör' ich auf, mich mir selbst zu opfern? Cäsar begrub keine Todten mehr: die stillen Ideen lagen so weit von ihm, daß seine Bewegungen sie nicht mehr erdrücken konnten. Er war reif, nur noch formell, nur noch Skeptiker: er rechnete mit Begriffsschatten, mit gewesenem Enthusiasmus. Er war durch die Schule hindurch und hätte nur noch handeln können; denn wozu ihn seine tod¬ ten Ideen machten, er war ein starker Cha¬ rakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Thätig¬ keit ist dir verschlossen, im Strome der Bege¬ benheiten kann deine wissensmatte Seele nicht wieder neu geboren werden; du kannst nur
müther eindringen läßt, erſtiegen. Er hatte einen ganzen Friedhof todter Gedanken, herr¬ licher Ideen, an die er einſt glaubte, hinter ſich: er fiel nicht mehr vor ſich ſelbſt nieder und ließ ſeine Vergangenheit die Knie ſeiner Zukunft umſchlingen und ſie beten: heilige Zu¬ kunft, glühender Moloch, wann hör' ich auf, mich mir ſelbſt zu opfern? Cäſar begrub keine Todten mehr: die ſtillen Ideen lagen ſo weit von ihm, daß ſeine Bewegungen ſie nicht mehr erdrücken konnten. Er war reif, nur noch formell, nur noch Skeptiker: er rechnete mit Begriffsſchatten, mit geweſenem Enthuſiasmus. Er war durch die Schule hindurch und hätte nur noch handeln können; denn wozu ihn ſeine tod¬ ten Ideen machten, er war ein ſtarker Cha¬ rakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Thätig¬ keit iſt dir verſchloſſen, im Strome der Bege¬ benheiten kann deine wiſſensmatte Seele nicht wieder neu geboren werden; du kannſt nur
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0019"n="10"/>
müther eindringen läßt, erſtiegen. Er hatte<lb/>
einen ganzen Friedhof todter Gedanken, herr¬<lb/>
licher Ideen, an die er einſt glaubte, hinter<lb/>ſich: er fiel nicht mehr vor ſich ſelbſt nieder<lb/>
und ließ ſeine Vergangenheit die Knie ſeiner<lb/>
Zukunft umſchlingen und ſie beten: heilige Zu¬<lb/>
kunft, glühender Moloch, wann hör' ich auf,<lb/>
mich mir ſelbſt zu opfern? Cäſar begrub keine<lb/>
Todten mehr: die ſtillen Ideen lagen ſo weit<lb/>
von ihm, daß ſeine Bewegungen ſie nicht mehr<lb/>
erdrücken konnten. Er war reif, nur noch<lb/>
formell, nur noch Skeptiker: er rechnete mit<lb/>
Begriffsſchatten, mit geweſenem Enthuſiasmus.<lb/>
Er war durch die Schule hindurch und hätte nur<lb/>
noch <hirendition="#g">handeln</hi> können; denn wozu ihn ſeine tod¬<lb/>
ten Ideen machten, er war ein ſtarker Cha¬<lb/>
rakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Thätig¬<lb/>
keit iſt dir verſchloſſen, im Strome der Bege¬<lb/>
benheiten kann deine wiſſensmatte Seele nicht<lb/>
wieder neu geboren werden; du kannſt nur<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[10/0019]
müther eindringen läßt, erſtiegen. Er hatte
einen ganzen Friedhof todter Gedanken, herr¬
licher Ideen, an die er einſt glaubte, hinter
ſich: er fiel nicht mehr vor ſich ſelbſt nieder
und ließ ſeine Vergangenheit die Knie ſeiner
Zukunft umſchlingen und ſie beten: heilige Zu¬
kunft, glühender Moloch, wann hör' ich auf,
mich mir ſelbſt zu opfern? Cäſar begrub keine
Todten mehr: die ſtillen Ideen lagen ſo weit
von ihm, daß ſeine Bewegungen ſie nicht mehr
erdrücken konnten. Er war reif, nur noch
formell, nur noch Skeptiker: er rechnete mit
Begriffsſchatten, mit geweſenem Enthuſiasmus.
Er war durch die Schule hindurch und hätte nur
noch handeln können; denn wozu ihn ſeine tod¬
ten Ideen machten, er war ein ſtarker Cha¬
rakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Thätig¬
keit iſt dir verſchloſſen, im Strome der Bege¬
benheiten kann deine wiſſensmatte Seele nicht
wieder neu geboren werden; du kannſt nur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/19>, abgerufen am 10.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.