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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

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Noch sechs Monate hielt Wally ein Leben
aus, dessen Stütze weggenommen war. Sie,
die Zweiflerin, die Ungewisse, die Feindin Got¬
tes, war sie nicht frömmer, als die, welche
sich mit einem nicht verstandenen Glauben be¬
ruhigen? Sie hatte die tiefe Ueberzeugung in
sich, daß ohne Religion das Leben des Menschen
elend ist. Sie gieng nun damit um, dem ihri¬
gen ein Ende zu machen.

Je unerschütterlicher sich dieser Gedanke
bei ihr festgesetzt hatte, desto mehr suchte sie
ihn äußerlich zu verbergen. Sie zeigte sogar,
je gewisser sie mit sich selbst wurde, eine heitre
Unbefangenheit, die die Rückkehr ihre frühern
Laune hoffen ließ.

Sie war viel auf ihrem Zimmer allein,
weinte und rang; aber beten konnte sie nicht.
Sie warf sich wohl oft verzweifelnd auf die
Knie, aber wie eine eherne Mauer stand es
vor ihr, wenn sie flehend die Hand ausstreckte.

Gutzkow's Wally. 20

Noch ſechs Monate hielt Wally ein Leben
aus, deſſen Stütze weggenommen war. Sie,
die Zweiflerin, die Ungewiſſe, die Feindin Got¬
tes, war ſie nicht frömmer, als die, welche
ſich mit einem nicht verſtandenen Glauben be¬
ruhigen? Sie hatte die tiefe Ueberzeugung in
ſich, daß ohne Religion das Leben des Menſchen
elend iſt. Sie gieng nun damit um, dem ihri¬
gen ein Ende zu machen.

Je unerſchütterlicher ſich dieſer Gedanke
bei ihr feſtgeſetzt hatte, deſto mehr ſuchte ſie
ihn äußerlich zu verbergen. Sie zeigte ſogar,
je gewiſſer ſie mit ſich ſelbſt wurde, eine heitre
Unbefangenheit, die die Rückkehr ihre frühern
Laune hoffen ließ.

Sie war viel auf ihrem Zimmer allein,
weinte und rang; aber beten konnte ſie nicht.
Sie warf ſich wohl oft verzweifelnd auf die
Knie, aber wie eine eherne Mauer ſtand es
vor ihr, wenn ſie flehend die Hand ausſtreckte.

Gutzkow's Wally. 20
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[305/0314] Noch ſechs Monate hielt Wally ein Leben aus, deſſen Stütze weggenommen war. Sie, die Zweiflerin, die Ungewiſſe, die Feindin Got¬ tes, war ſie nicht frömmer, als die, welche ſich mit einem nicht verſtandenen Glauben be¬ ruhigen? Sie hatte die tiefe Ueberzeugung in ſich, daß ohne Religion das Leben des Menſchen elend iſt. Sie gieng nun damit um, dem ihri¬ gen ein Ende zu machen. Je unerſchütterlicher ſich dieſer Gedanke bei ihr feſtgeſetzt hatte, deſto mehr ſuchte ſie ihn äußerlich zu verbergen. Sie zeigte ſogar, je gewiſſer ſie mit ſich ſelbſt wurde, eine heitre Unbefangenheit, die die Rückkehr ihre frühern Laune hoffen ließ. Sie war viel auf ihrem Zimmer allein, weinte und rang; aber beten konnte ſie nicht. Sie warf ſich wohl oft verzweifelnd auf die Knie, aber wie eine eherne Mauer ſtand es vor ihr, wenn ſie flehend die Hand ausſtreckte. Gutzkow's Wally. 20

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/314>, abgerufen am 28.04.2024.