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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

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Darstellung bevorzugt, Deutschland ist syste¬
matisch genug bearbeitet worden, hierin nach¬
folgen zu müssen. Die alte Literatur steht bei
uns versteinert da in Tempeln und in Wall¬
hallen, die mittlere war keines Schusses Pul¬
ver werth, die neue hat nur noch ein schwan¬
kendes und kaltes, von Politik und spekulativer
Trägheit ganz darnieder gehaltenes Publikum.
Darauf kömmt alles zurück: Man will von der
Literatur keine Anstrengung haben; die Litera¬
tur soll Niemanden mehr eine unruhige Nacht
machen, sie schildert, sie porträtirt, sie stillt
die Leselust mit Historie und Bulwer. Die
Poesie ist jetzt Selbstbefruchtung. Die Wirk¬
lichkeit nährt sich von ihrem eignen bürger¬
lichen, überquellenden Fette.

Menschen, die schon eine Stufe höher ste¬
hen, sind mit der Wahrscheinlichkeit zufrieden.
Sie wollen nur einige Voraussetzungen, die

Gutzkow's Wally. 21

Darſtellung bevorzugt, Deutſchland iſt ſyſte¬
matiſch genug bearbeitet worden, hierin nach¬
folgen zu müſſen. Die alte Literatur ſteht bei
uns verſteinert da in Tempeln und in Wall¬
hallen, die mittlere war keines Schuſſes Pul¬
ver werth, die neue hat nur noch ein ſchwan¬
kendes und kaltes, von Politik und ſpekulativer
Trägheit ganz darnieder gehaltenes Publikum.
Darauf kömmt alles zurück: Man will von der
Literatur keine Anſtrengung haben; die Litera¬
tur ſoll Niemanden mehr eine unruhige Nacht
machen, ſie ſchildert, ſie porträtirt, ſie ſtillt
die Leſeluſt mit Hiſtorie und Bulwer. Die
Poeſie iſt jetzt Selbſtbefruchtung. Die Wirk¬
lichkeit nährt ſich von ihrem eignen bürger¬
lichen, überquellenden Fette.

Menſchen, die ſchon eine Stufe höher ſte¬
hen, ſind mit der Wahrſcheinlichkeit zufrieden.
Sie wollen nur einige Vorausſetzungen, die

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[321/0330] Darſtellung bevorzugt, Deutſchland iſt ſyſte¬ matiſch genug bearbeitet worden, hierin nach¬ folgen zu müſſen. Die alte Literatur ſteht bei uns verſteinert da in Tempeln und in Wall¬ hallen, die mittlere war keines Schuſſes Pul¬ ver werth, die neue hat nur noch ein ſchwan¬ kendes und kaltes, von Politik und ſpekulativer Trägheit ganz darnieder gehaltenes Publikum. Darauf kömmt alles zurück: Man will von der Literatur keine Anſtrengung haben; die Litera¬ tur ſoll Niemanden mehr eine unruhige Nacht machen, ſie ſchildert, ſie porträtirt, ſie ſtillt die Leſeluſt mit Hiſtorie und Bulwer. Die Poeſie iſt jetzt Selbſtbefruchtung. Die Wirk¬ lichkeit nährt ſich von ihrem eignen bürger¬ lichen, überquellenden Fette. Menſchen, die ſchon eine Stufe höher ſte¬ hen, ſind mit der Wahrſcheinlichkeit zufrieden. Sie wollen nur einige Vorausſetzungen, die Gutzkow's Wally. 21

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/330>, abgerufen am 27.04.2024.