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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Riß schaudern müssen, der Himmel und Erde, Ewiges und Zeitliches in unsern Ueberlieferungen sowohl wie in schon gewohnten eignen Anschauungen gespalten hat. Jn Nordamerika sind die Begriffe gehaltloser, aber sie hängen organischer zusammen. Die Freiheit wird nicht blos von der Religion unterstützt, sondern sie entwickelt sich auch aus ihr. Das Erste beweist, wenn z. B. ein Reisender erzählt, er habe einer Versammlung in Nordamerika beigewohnt, welche dem Schicksal der unglücklichen Polen gewidmet war. Ein Geistlicher führte darin das Wort; er begann mit einem Gebete, schilderte Rußland, wie David die Heiden und Philister schilderte, und machte eine durchaus politische und menschliche Frage zu einem Texte, der sich durch die Bibel beweisen ließ. Das Zweite, den wirklichen Ursprung der Freiheit aus der Religion, erkennt man aus gewissen ältern Statuten der Strafgesetzgebung. Wir meinen hier jene ganz individuelle nordamerikanische Freiheit, die oft weit mehr die Physiognomie der Beschränkung hat, diejenige Freiheit, welche sich an das Gesetz bindet. Es ist eine Unterabtheilung des nordamerikanischen Freiheitssystems, daß z B. Niemand um Geld spielt. Natürlich, wenn erst der glückliche Zufall über den Besitz von Vermögen entscheidet, dann stellt sich bald eine Aristokratie ein, die mit der des Blutes eben die Eigenschaft gemein hat, daß sie nicht die des Verdienstes ist. Reichthümer besitzen, stört ohnehin schon das Gleichheitsinteresse; um wie viel mehr, wenn die Reichthümer aus dem Zufalle

Riß schaudern müssen, der Himmel und Erde, Ewiges und Zeitliches in unsern Ueberlieferungen sowohl wie in schon gewohnten eignen Anschauungen gespalten hat. Jn Nordamerika sind die Begriffe gehaltloser, aber sie hängen organischer zusammen. Die Freiheit wird nicht blos von der Religion unterstützt, sondern sie entwickelt sich auch aus ihr. Das Erste beweist, wenn z. B. ein Reisender erzählt, er habe einer Versammlung in Nordamerika beigewohnt, welche dem Schicksal der unglücklichen Polen gewidmet war. Ein Geistlicher führte darin das Wort; er begann mit einem Gebete, schilderte Rußland, wie David die Heiden und Philister schilderte, und machte eine durchaus politische und menschliche Frage zu einem Texte, der sich durch die Bibel beweisen ließ. Das Zweite, den wirklichen Ursprung der Freiheit aus der Religion, erkennt man aus gewissen ältern Statuten der Strafgesetzgebung. Wir meinen hier jene ganz individuelle nordamerikanische Freiheit, die oft weit mehr die Physiognomie der Beschränkung hat, diejenige Freiheit, welche sich an das Gesetz bindet. Es ist eine Unterabtheilung des nordamerikanischen Freiheitssystems, daß z B. Niemand um Geld spielt. Natürlich, wenn erst der glückliche Zufall über den Besitz von Vermögen entscheidet, dann stellt sich bald eine Aristokratie ein, die mit der des Blutes eben die Eigenschaft gemein hat, daß sie nicht die des Verdienstes ist. Reichthümer besitzen, stört ohnehin schon das Gleichheitsinteresse; um wie viel mehr, wenn die Reichthümer aus dem Zufalle

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Riß schaudern müssen, der Himmel und Erde, Ewiges und Zeitliches in unsern Ueberlieferungen sowohl wie in schon gewohnten eignen Anschauungen gespalten hat. Jn Nordamerika sind die Begriffe gehaltloser, aber sie hängen organischer zusammen. Die Freiheit wird nicht blos von der Religion unterstützt, sondern sie entwickelt sich auch aus ihr. Das Erste beweist, wenn z. B. ein Reisender erzählt, er habe einer Versammlung in Nordamerika beigewohnt, welche dem Schicksal der unglücklichen Polen gewidmet war. Ein Geistlicher führte darin das Wort; er begann mit einem Gebete, schilderte Rußland, wie David die Heiden und Philister schilderte, und machte eine durchaus politische und menschliche Frage zu einem Texte, der sich durch die Bibel beweisen ließ. Das Zweite, den wirklichen Ursprung der Freiheit aus der Religion, erkennt man aus gewissen ältern Statuten der Strafgesetzgebung. Wir meinen hier jene ganz individuelle nordamerikanische Freiheit, die oft weit mehr die Physiognomie der Beschränkung hat, diejenige Freiheit, welche sich an das Gesetz bindet. Es ist eine Unterabtheilung des nordamerikanischen Freiheitssystems, daß z B. Niemand um Geld spielt. Natürlich, wenn erst der glückliche Zufall über den Besitz von Vermögen entscheidet, dann stellt sich bald eine Aristokratie ein, die mit der des Blutes eben die Eigenschaft gemein hat, daß sie nicht die des Verdienstes ist. Reichthümer besitzen, stört ohnehin schon das Gleichheitsinteresse; um wie viel mehr, wenn die Reichthümer aus dem Zufalle
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[139/0167] Riß schaudern müssen, der Himmel und Erde, Ewiges und Zeitliches in unsern Ueberlieferungen sowohl wie in schon gewohnten eignen Anschauungen gespalten hat. Jn Nordamerika sind die Begriffe gehaltloser, aber sie hängen organischer zusammen. Die Freiheit wird nicht blos von der Religion unterstützt, sondern sie entwickelt sich auch aus ihr. Das Erste beweist, wenn z. B. ein Reisender erzählt, er habe einer Versammlung in Nordamerika beigewohnt, welche dem Schicksal der unglücklichen Polen gewidmet war. Ein Geistlicher führte darin das Wort; er begann mit einem Gebete, schilderte Rußland, wie David die Heiden und Philister schilderte, und machte eine durchaus politische und menschliche Frage zu einem Texte, der sich durch die Bibel beweisen ließ. Das Zweite, den wirklichen Ursprung der Freiheit aus der Religion, erkennt man aus gewissen ältern Statuten der Strafgesetzgebung. Wir meinen hier jene ganz individuelle nordamerikanische Freiheit, die oft weit mehr die Physiognomie der Beschränkung hat, diejenige Freiheit, welche sich an das Gesetz bindet. Es ist eine Unterabtheilung des nordamerikanischen Freiheitssystems, daß z B. Niemand um Geld spielt. Natürlich, wenn erst der glückliche Zufall über den Besitz von Vermögen entscheidet, dann stellt sich bald eine Aristokratie ein, die mit der des Blutes eben die Eigenschaft gemein hat, daß sie nicht die des Verdienstes ist. Reichthümer besitzen, stört ohnehin schon das Gleichheitsinteresse; um wie viel mehr, wenn die Reichthümer aus dem Zufalle

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/167>, abgerufen am 29.04.2024.