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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Gothik ist, so würde sich der moderne Charakter der Architektur schlecht genug empfehlen, wenn es Bernini und das vorige Jahrhundert in Schutz nehmen sollte. Wir sind in neuerer Zeit, aus Verzweiflung, einen modernen Styl in der Baukunst zu erfinden, zur Antike und zum Mittelalter zurückgekehrt und haben damit entweder eine außerordentliche Armuth an Geist und Erfindungsgabe zugestanden, oder die baare Prosa und Nützlichkeitsbestimmung, die einigen vorzugsweise modernen Bauten, z. B. Getraidehallen, Jnvalidenhäusern u.s.w. zum Grunde lag. Auch der Riß unsres neuen Parlamentsgebäudes erinnert zu entschieden an das Mittelalter und die unvertilgbaren "faulen Flecken," als daß man von England behaupten könne, es besäße vor dem Continente, der sich z. B. in Deutschland, wie bei Klenze, dem Dilettantismus und, wie bei Schinkel, einer Mischung aller Geschmäcke hingegeben hat, einen Vorsprung. Ein Parlamentsgebäude in dem lichten, klaren, modernen Sinne der Reformbill: das war eine Aufgabe, die ich durch den von dem Parlamente gebilligten Grundriß nicht gelöst sehe. Das Moderne hat bis jetzt sich immer nur noch an Brücken, Kanälen, Eisenbahnen und Tunnels bewähren können; eine moderne Kirche gibt es nicht, wie es auch noch kein modernes Christenthum gibt, es müßte denn ein platter Würfel mit bürgerlichen Fenstern, ein Gebäude in Gestalt eines Kassino's jetzt für eine Kirche Christi ausgegeben werden dürfen.

Dennoch würde in der Baukunst Alles modern seyn,

Gothik ist, so würde sich der moderne Charakter der Architektur schlecht genug empfehlen, wenn es Bernini und das vorige Jahrhundert in Schutz nehmen sollte. Wir sind in neuerer Zeit, aus Verzweiflung, einen modernen Styl in der Baukunst zu erfinden, zur Antike und zum Mittelalter zurückgekehrt und haben damit entweder eine außerordentliche Armuth an Geist und Erfindungsgabe zugestanden, oder die baare Prosa und Nützlichkeitsbestimmung, die einigen vorzugsweise modernen Bauten, z. B. Getraidehallen, Jnvalidenhäusern u.s.w. zum Grunde lag. Auch der Riß unsres neuen Parlamentsgebäudes erinnert zu entschieden an das Mittelalter und die unvertilgbaren "faulen Flecken," als daß man von England behaupten könne, es besäße vor dem Continente, der sich z. B. in Deutschland, wie bei Klenze, dem Dilettantismus und, wie bei Schinkel, einer Mischung aller Geschmäcke hingegeben hat, einen Vorsprung. Ein Parlamentsgebäude in dem lichten, klaren, modernen Sinne der Reformbill: das war eine Aufgabe, die ich durch den von dem Parlamente gebilligten Grundriß nicht gelöst sehe. Das Moderne hat bis jetzt sich immer nur noch an Brücken, Kanälen, Eisenbahnen und Tunnels bewähren können; eine moderne Kirche gibt es nicht, wie es auch noch kein modernes Christenthum gibt, es müßte denn ein platter Würfel mit bürgerlichen Fenstern, ein Gebäude in Gestalt eines Kassino’s jetzt für eine Kirche Christi ausgegeben werden dürfen.

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Gothik ist, so würde sich der moderne Charakter der Architektur schlecht genug empfehlen, wenn es Bernini und das vorige Jahrhundert in Schutz nehmen sollte. Wir sind in neuerer Zeit, aus Verzweiflung, einen modernen Styl in der Baukunst zu erfinden, zur Antike und zum Mittelalter zurückgekehrt und haben damit entweder eine außerordentliche Armuth an Geist und Erfindungsgabe zugestanden, oder die baare Prosa und Nützlichkeitsbestimmung, die einigen vorzugsweise modernen Bauten, z. B. Getraidehallen, Jnvalidenhäusern u.s.w. zum Grunde lag. Auch der Riß unsres neuen Parlamentsgebäudes erinnert zu entschieden an das Mittelalter und die unvertilgbaren "faulen Flecken," als daß man von England behaupten könne, es besäße vor dem Continente, der sich z. B. in Deutschland, wie bei Klenze, dem Dilettantismus und, wie bei Schinkel, einer Mischung aller Geschmäcke hingegeben hat, einen Vorsprung. Ein Parlamentsgebäude in dem lichten, klaren, modernen Sinne der Reformbill: das war eine Aufgabe, die ich durch den von dem Parlamente gebilligten Grundriß nicht gelöst sehe. Das Moderne hat bis jetzt sich immer nur noch an Brücken, Kanälen, Eisenbahnen und Tunnels bewähren können; eine moderne Kirche gibt es nicht, wie es auch noch kein modernes Christenthum gibt, es müßte denn ein platter Würfel mit bürgerlichen Fenstern, ein Gebäude in Gestalt eines Kassino&#x2019;s jetzt für eine Kirche Christi ausgegeben werden dürfen.</p>
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[157/0185] Gothik ist, so würde sich der moderne Charakter der Architektur schlecht genug empfehlen, wenn es Bernini und das vorige Jahrhundert in Schutz nehmen sollte. Wir sind in neuerer Zeit, aus Verzweiflung, einen modernen Styl in der Baukunst zu erfinden, zur Antike und zum Mittelalter zurückgekehrt und haben damit entweder eine außerordentliche Armuth an Geist und Erfindungsgabe zugestanden, oder die baare Prosa und Nützlichkeitsbestimmung, die einigen vorzugsweise modernen Bauten, z. B. Getraidehallen, Jnvalidenhäusern u.s.w. zum Grunde lag. Auch der Riß unsres neuen Parlamentsgebäudes erinnert zu entschieden an das Mittelalter und die unvertilgbaren "faulen Flecken," als daß man von England behaupten könne, es besäße vor dem Continente, der sich z. B. in Deutschland, wie bei Klenze, dem Dilettantismus und, wie bei Schinkel, einer Mischung aller Geschmäcke hingegeben hat, einen Vorsprung. Ein Parlamentsgebäude in dem lichten, klaren, modernen Sinne der Reformbill: das war eine Aufgabe, die ich durch den von dem Parlamente gebilligten Grundriß nicht gelöst sehe. Das Moderne hat bis jetzt sich immer nur noch an Brücken, Kanälen, Eisenbahnen und Tunnels bewähren können; eine moderne Kirche gibt es nicht, wie es auch noch kein modernes Christenthum gibt, es müßte denn ein platter Würfel mit bürgerlichen Fenstern, ein Gebäude in Gestalt eines Kassino’s jetzt für eine Kirche Christi ausgegeben werden dürfen. Dennoch würde in der Baukunst Alles modern seyn,

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Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/185>, abgerufen am 29.04.2024.