Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

eine naive Sinnigkeit, die in der gedankenlosen und albernen Mode nie liegen wird, die aber in dem Charakter seiner Existenz unverkennbar war. Der Reiz des Modernen umgab ihn. Er führte mich in ein Zimmer, welches von einem magischen Licht erhellt war. Die Glasscheiben der gewölbten Fenster waren bemahlt, das Ganze stellte eine Halbrunde vor, fünf oder sechs Nischen waren mit den herrlichsten Antiken geschmückt. Eine schlafende Nymphe aus Alabaster, der Phantasie eines außerordentlichen Künstlers entsprungen, ruhte neben ihm an einer Ottomane. Was er über diese Einrichtung sagte, war: Sie werden mich für abergläubisch halten, wenn ich diesen Heiligthümern, welche Sie hier sehen, eine Einwirkung auf mein Gemüth zugestehe. Jch nehme in der Religion wenig Dogmen für gewiß an, und selbst an die, welche mir wahrscheinlich vorkommen könnten, fühl' ich mich nicht sehr verpflichtet zu glauben; allein eines gewissen Schauers werd' ich immer bedürfen, einer heiligen Erregung, die mich in den mystischen Zusammenhang der Jahrhunderte versetzt, die mir das Bedeutungsvolle der absoluten Stille vergegenwärtigt und mich unterstützt, an mich selbst zu denken.

Sir Anacharsis scheint somit die Religion zu widerlegen. Er zweifelt an ihr, verwirft sie, und doch läßt sie ihn nicht, und er sie nicht. Grade, daß sie ihn so viel beschäftigt, ist ein Beweis, daß er religiös ist trotz seines Skepticismus. Das Fürchterlichste aber, fuhr er

eine naive Sinnigkeit, die in der gedankenlosen und albernen Mode nie liegen wird, die aber in dem Charakter seiner Existenz unverkennbar war. Der Reiz des Modernen umgab ihn. Er führte mich in ein Zimmer, welches von einem magischen Licht erhellt war. Die Glasscheiben der gewölbten Fenster waren bemahlt, das Ganze stellte eine Halbrunde vor, fünf oder sechs Nischen waren mit den herrlichsten Antiken geschmückt. Eine schlafende Nymphe aus Alabaster, der Phantasie eines außerordentlichen Künstlers entsprungen, ruhte neben ihm an einer Ottomane. Was er über diese Einrichtung sagte, war: Sie werden mich für abergläubisch halten, wenn ich diesen Heiligthümern, welche Sie hier sehen, eine Einwirkung auf mein Gemüth zugestehe. Jch nehme in der Religion wenig Dogmen für gewiß an, und selbst an die, welche mir wahrscheinlich vorkommen könnten, fühl’ ich mich nicht sehr verpflichtet zu glauben; allein eines gewissen Schauers werd’ ich immer bedürfen, einer heiligen Erregung, die mich in den mystischen Zusammenhang der Jahrhunderte versetzt, die mir das Bedeutungsvolle der absoluten Stille vergegenwärtigt und mich unterstützt, an mich selbst zu denken.

Sir Anacharsis scheint somit die Religion zu widerlegen. Er zweifelt an ihr, verwirft sie, und doch läßt sie ihn nicht, und er sie nicht. Grade, daß sie ihn so viel beschäftigt, ist ein Beweis, daß er religiös ist trotz seines Skepticismus. Das Fürchterlichste aber, fuhr er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0195" n="167"/>
eine naive Sinnigkeit, die in der gedankenlosen und albernen Mode nie liegen wird, die aber in dem Charakter seiner Existenz unverkennbar war. Der Reiz des Modernen umgab ihn. Er führte mich in ein Zimmer, welches von einem magischen Licht erhellt war. Die Glasscheiben der gewölbten Fenster waren bemahlt, das Ganze stellte eine Halbrunde vor, fünf oder sechs Nischen waren mit den herrlichsten Antiken geschmückt. Eine schlafende Nymphe aus Alabaster, der Phantasie eines außerordentlichen Künstlers entsprungen, ruhte neben ihm an einer Ottomane. Was er über diese Einrichtung sagte, war: Sie werden mich für abergläubisch halten, wenn ich diesen Heiligthümern, welche Sie hier sehen, eine Einwirkung auf mein Gemüth zugestehe. Jch nehme in der Religion wenig Dogmen für gewiß an, und selbst an die, welche mir wahrscheinlich vorkommen könnten, fühl&#x2019; ich mich nicht sehr verpflichtet zu glauben; allein eines gewissen Schauers werd&#x2019; ich immer bedürfen, einer heiligen Erregung, die mich in den mystischen Zusammenhang der Jahrhunderte versetzt, die mir das <hi rendition="#g">Bedeutungsvolle der absoluten Stille</hi> vergegenwärtigt und mich unterstützt, an mich selbst zu denken.</p>
        <p>Sir Anacharsis scheint somit die Religion zu widerlegen. Er zweifelt an ihr, verwirft sie, und doch läßt sie ihn nicht, und er sie nicht. Grade, daß sie ihn so viel beschäftigt, ist ein Beweis, daß er religiös ist trotz seines Skepticismus. Das Fürchterlichste aber, fuhr er
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0195] eine naive Sinnigkeit, die in der gedankenlosen und albernen Mode nie liegen wird, die aber in dem Charakter seiner Existenz unverkennbar war. Der Reiz des Modernen umgab ihn. Er führte mich in ein Zimmer, welches von einem magischen Licht erhellt war. Die Glasscheiben der gewölbten Fenster waren bemahlt, das Ganze stellte eine Halbrunde vor, fünf oder sechs Nischen waren mit den herrlichsten Antiken geschmückt. Eine schlafende Nymphe aus Alabaster, der Phantasie eines außerordentlichen Künstlers entsprungen, ruhte neben ihm an einer Ottomane. Was er über diese Einrichtung sagte, war: Sie werden mich für abergläubisch halten, wenn ich diesen Heiligthümern, welche Sie hier sehen, eine Einwirkung auf mein Gemüth zugestehe. Jch nehme in der Religion wenig Dogmen für gewiß an, und selbst an die, welche mir wahrscheinlich vorkommen könnten, fühl’ ich mich nicht sehr verpflichtet zu glauben; allein eines gewissen Schauers werd’ ich immer bedürfen, einer heiligen Erregung, die mich in den mystischen Zusammenhang der Jahrhunderte versetzt, die mir das Bedeutungsvolle der absoluten Stille vergegenwärtigt und mich unterstützt, an mich selbst zu denken. Sir Anacharsis scheint somit die Religion zu widerlegen. Er zweifelt an ihr, verwirft sie, und doch läßt sie ihn nicht, und er sie nicht. Grade, daß sie ihn so viel beschäftigt, ist ein Beweis, daß er religiös ist trotz seines Skepticismus. Das Fürchterlichste aber, fuhr er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/195
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/195>, abgerufen am 29.04.2024.