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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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freilich nicht erörtern kann, ohne rüstig Hand anzulegen. Es ist gerade so wie in alten Zeiten. Das wahrhaft Antike und Romantische konnten nur die Bevorzugten fühlen, und gegenwärtig das Moderne die, welche den Vorzug haben, wenigstens die alten Zeiten vergleichen zu können.

Als ich Sir Anacharsis fragte, ob denn nun seiner Meinung nach das Moderne nicht auch bestimmt wäre, allmählich ein allgemeiner Charakter der Zeitgenossen zu werden? antwortete er: Nimmermehr! das ist das Exclusive. So sehr man es mit der Mode in Verbindung bringen darf, so ist ja eben die Mode auch nur das Streben, immer wieder aus der Mode zu kommen. Modern zu seyn ist eine Eigenheit. Sind die Menschen so weit, daß sie alle so denken und empfinden wie ich, dann werden die Philosophen des Jahrhunderts schon wieder in einem andern Stadium stehen und einen andern Namen haben.

Es war mir im Grunde komisch, wie ich, der ich doch mit ganzer Seele der Zeit hingegeben bin, mir einen so gelehrten Unterricht geben ließ über etwas, das ich durch Schrift befördert und in meinen eigenen Glauben aufgenommen habe. Auch Sir Anacharsis fühlte dieß und sagte lachend: Kommen Sie, was haben Sie nöthig, sich von mir über die Zeitgenossen belehren zu lassen. Repräsentiren Sie nicht in der Literatur vollkommen das Gepräge des Modernen, welches jetzt auf Gefühle und Gedanken von den Autoren gedrückt wird?

freilich nicht erörtern kann, ohne rüstig Hand anzulegen. Es ist gerade so wie in alten Zeiten. Das wahrhaft Antike und Romantische konnten nur die Bevorzugten fühlen, und gegenwärtig das Moderne die, welche den Vorzug haben, wenigstens die alten Zeiten vergleichen zu können.

Als ich Sir Anacharsis fragte, ob denn nun seiner Meinung nach das Moderne nicht auch bestimmt wäre, allmählich ein allgemeiner Charakter der Zeitgenossen zu werden? antwortete er: Nimmermehr! das ist das Exclusive. So sehr man es mit der Mode in Verbindung bringen darf, so ist ja eben die Mode auch nur das Streben, immer wieder aus der Mode zu kommen. Modern zu seyn ist eine Eigenheit. Sind die Menschen so weit, daß sie alle so denken und empfinden wie ich, dann werden die Philosophen des Jahrhunderts schon wieder in einem andern Stadium stehen und einen andern Namen haben.

Es war mir im Grunde komisch, wie ich, der ich doch mit ganzer Seele der Zeit hingegeben bin, mir einen so gelehrten Unterricht geben ließ über etwas, das ich durch Schrift befördert und in meinen eigenen Glauben aufgenommen habe. Auch Sir Anacharsis fühlte dieß und sagte lachend: Kommen Sie, was haben Sie nöthig, sich von mir über die Zeitgenossen belehren zu lassen. Repräsentiren Sie nicht in der Literatur vollkommen das Gepräge des Modernen, welches jetzt auf Gefühle und Gedanken von den Autoren gedrückt wird?

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[169/0197] freilich nicht erörtern kann, ohne rüstig Hand anzulegen. Es ist gerade so wie in alten Zeiten. Das wahrhaft Antike und Romantische konnten nur die Bevorzugten fühlen, und gegenwärtig das Moderne die, welche den Vorzug haben, wenigstens die alten Zeiten vergleichen zu können. Als ich Sir Anacharsis fragte, ob denn nun seiner Meinung nach das Moderne nicht auch bestimmt wäre, allmählich ein allgemeiner Charakter der Zeitgenossen zu werden? antwortete er: Nimmermehr! das ist das Exclusive. So sehr man es mit der Mode in Verbindung bringen darf, so ist ja eben die Mode auch nur das Streben, immer wieder aus der Mode zu kommen. Modern zu seyn ist eine Eigenheit. Sind die Menschen so weit, daß sie alle so denken und empfinden wie ich, dann werden die Philosophen des Jahrhunderts schon wieder in einem andern Stadium stehen und einen andern Namen haben. Es war mir im Grunde komisch, wie ich, der ich doch mit ganzer Seele der Zeit hingegeben bin, mir einen so gelehrten Unterricht geben ließ über etwas, das ich durch Schrift befördert und in meinen eigenen Glauben aufgenommen habe. Auch Sir Anacharsis fühlte dieß und sagte lachend: Kommen Sie, was haben Sie nöthig, sich von mir über die Zeitgenossen belehren zu lassen. Repräsentiren Sie nicht in der Literatur vollkommen das Gepräge des Modernen, welches jetzt auf Gefühle und Gedanken von den Autoren gedrückt wird?

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/197>, abgerufen am 29.04.2024.