Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Beamten sind in England zu dünn gesäet, als daß sie eine eigne sehr fest zusammenhängende Kaste bilden dürften. Sie sind genöthigt, wenn sie Unterhaltung, Umgang, Schwiegersöhne und Töchter haben wollen, sich mit dem größern Publikum zu vermischen. Anders ist dieß Verhältniß in Frankreich und soll es auch in Deutschland seyn. Dort bilden die Beamte ihre eigenen Cirkel und geben da, wo ihnen von begüterten Privaten nicht das Gleichgewicht gehalten wird, sogar den Ton an. Ganz entgegengesetzt ist diese Stellung der Beamten in Nordamerika. Dort sind sie wirklich die Diener des Publikums, und werden selbst in den höheren Chargen doch nur gleichsam als Commis in dem großen Staatscomptoire angesehen. Während man z. B. in Europa oft findet, daß Geschäftsmänner in die Verwaltung treten, so geschieht es in Nordamerika nur bei denen, welche schlecht spekulirt haben und sich vor dem Bankrutt retten wollen. Sonst sieht man im Gegentheil nur, daß diejenigen, welche eine Zeitlang Beamte gewesen sind, auf der Stelle ihre öffentlichen Functionen verlassen, so bald sie Aussicht haben, ihre Zeit in einem andern Wirkungskreise besser bezahlt zu bekommen. Ja, sogar das Militär in Amerika scheut sich nicht, nach Vollendung einer gewissen Dienstzeit sich umzusehen, ob nicht irgend ein Privatverhältniß ihm ein besseres Fortkommen gestatte. Jn Europa duckt sich Alles, was sich versorgt sehen will, unter die Flügel des Staates, in Amerika glaubt man grade am verlassensten

Die Beamten sind in England zu dünn gesäet, als daß sie eine eigne sehr fest zusammenhängende Kaste bilden dürften. Sie sind genöthigt, wenn sie Unterhaltung, Umgang, Schwiegersöhne und Töchter haben wollen, sich mit dem größern Publikum zu vermischen. Anders ist dieß Verhältniß in Frankreich und soll es auch in Deutschland seyn. Dort bilden die Beamte ihre eigenen Cirkel und geben da, wo ihnen von begüterten Privaten nicht das Gleichgewicht gehalten wird, sogar den Ton an. Ganz entgegengesetzt ist diese Stellung der Beamten in Nordamerika. Dort sind sie wirklich die Diener des Publikums, und werden selbst in den höheren Chargen doch nur gleichsam als Commis in dem großen Staatscomptoire angesehen. Während man z. B. in Europa oft findet, daß Geschäftsmänner in die Verwaltung treten, so geschieht es in Nordamerika nur bei denen, welche schlecht spekulirt haben und sich vor dem Bankrutt retten wollen. Sonst sieht man im Gegentheil nur, daß diejenigen, welche eine Zeitlang Beamte gewesen sind, auf der Stelle ihre öffentlichen Functionen verlassen, so bald sie Aussicht haben, ihre Zeit in einem andern Wirkungskreise besser bezahlt zu bekommen. Ja, sogar das Militär in Amerika scheut sich nicht, nach Vollendung einer gewissen Dienstzeit sich umzusehen, ob nicht irgend ein Privatverhältniß ihm ein besseres Fortkommen gestatte. Jn Europa duckt sich Alles, was sich versorgt sehen will, unter die Flügel des Staates, in Amerika glaubt man grade am verlassensten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0323" n="295"/>
        <p> Die Beamten sind in England zu dünn gesäet, als daß sie eine eigne sehr fest zusammenhängende Kaste bilden dürften. Sie sind genöthigt, wenn sie Unterhaltung, Umgang, Schwiegersöhne und Töchter haben wollen, sich mit dem größern Publikum zu vermischen. Anders ist dieß Verhältniß in Frankreich und soll es auch in Deutschland seyn. Dort bilden die Beamte ihre eigenen Cirkel und geben da, wo ihnen von begüterten Privaten nicht das Gleichgewicht gehalten wird, sogar den Ton an. Ganz entgegengesetzt ist diese Stellung der Beamten in Nordamerika. Dort sind sie wirklich die Diener des Publikums, und werden selbst in den höheren Chargen doch nur gleichsam als Commis in dem großen Staatscomptoire angesehen. Während man z. B. in Europa oft findet, daß Geschäftsmänner in die Verwaltung treten, so geschieht es in Nordamerika nur bei denen, welche schlecht spekulirt haben und sich vor dem Bankrutt retten wollen. Sonst sieht man im Gegentheil nur, daß diejenigen, welche eine Zeitlang Beamte gewesen sind, auf der Stelle ihre öffentlichen Functionen verlassen, so bald sie Aussicht haben, ihre Zeit in einem andern Wirkungskreise besser bezahlt zu bekommen. Ja, sogar das Militär in Amerika scheut sich nicht, nach Vollendung einer gewissen Dienstzeit sich umzusehen, ob nicht irgend ein Privatverhältniß ihm ein besseres Fortkommen gestatte. Jn Europa duckt sich Alles, was sich versorgt sehen will, unter die Flügel des Staates, in Amerika glaubt man grade am verlassensten
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0323] Die Beamten sind in England zu dünn gesäet, als daß sie eine eigne sehr fest zusammenhängende Kaste bilden dürften. Sie sind genöthigt, wenn sie Unterhaltung, Umgang, Schwiegersöhne und Töchter haben wollen, sich mit dem größern Publikum zu vermischen. Anders ist dieß Verhältniß in Frankreich und soll es auch in Deutschland seyn. Dort bilden die Beamte ihre eigenen Cirkel und geben da, wo ihnen von begüterten Privaten nicht das Gleichgewicht gehalten wird, sogar den Ton an. Ganz entgegengesetzt ist diese Stellung der Beamten in Nordamerika. Dort sind sie wirklich die Diener des Publikums, und werden selbst in den höheren Chargen doch nur gleichsam als Commis in dem großen Staatscomptoire angesehen. Während man z. B. in Europa oft findet, daß Geschäftsmänner in die Verwaltung treten, so geschieht es in Nordamerika nur bei denen, welche schlecht spekulirt haben und sich vor dem Bankrutt retten wollen. Sonst sieht man im Gegentheil nur, daß diejenigen, welche eine Zeitlang Beamte gewesen sind, auf der Stelle ihre öffentlichen Functionen verlassen, so bald sie Aussicht haben, ihre Zeit in einem andern Wirkungskreise besser bezahlt zu bekommen. Ja, sogar das Militär in Amerika scheut sich nicht, nach Vollendung einer gewissen Dienstzeit sich umzusehen, ob nicht irgend ein Privatverhältniß ihm ein besseres Fortkommen gestatte. Jn Europa duckt sich Alles, was sich versorgt sehen will, unter die Flügel des Staates, in Amerika glaubt man grade am verlassensten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/323
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/323>, abgerufen am 15.05.2024.