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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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unserer Zeit. Es ist nicht wahr, daß eine Tendenz zur Revolution in unserm Jahrhundert liegt; im Gegentheil, was wir von revolutionären Bestrebungen antreffen, das ist nur die ricochettirende Kraft der ehemals geworfenen Kugeln, die nicht sogleich verglühen wollen. Die erstaunlichen Ereignisse, welche unsre Eltern erlebt haben, verhallen nach und nach, und dasjenige, was man für die Absicht einer Wiederholung derselben zu halten pflegt, oder was sich selbst dafür ausgibt, kann man nur mit dem Echo eines vorübergegangenen Gewitters vergleichen. Alle die Bewegungen, welche in Frankreich, Deutschland, Spanien und Jtalien eine Wiederholung der alten Revolution zu beabsichtigen schienen, waren sie etwas Anderes als natürliche Aeußerungen bei Völkern, die mehr als 20 Jahre hindurch vom Sturm der Zeit im Kreise gewirbelt wurden und (eine Nation gegen die andere) beinahe eben so lange die Waffen getragen hatten? Beweist die römische Geschichte nicht auf jeder Seite, wie sich die Armeen erst allmälig zu beruhigen pflegten, wenn sie geschlagen oder als Sieger aus den Feldzügen heimkehrten? Die revolutionären Kräfte relaxiren, die revolutionären Terminologien verlieren sich. Jst selbst die Julirevolution etwas Anderes gewesen, als der letzte Schlag eines Gewitters, eine in der Natur oft vorkommende Erscheinung, wo sich ein zurückgebliebener Rest von elektrischer Materie erst in dem Augenblicke entzündet, wo der Himmel schon wieder zu blauen beginnt?

Nein, wir haben die Revolution überwunden; sie ist

unserer Zeit. Es ist nicht wahr, daß eine Tendenz zur Revolution in unserm Jahrhundert liegt; im Gegentheil, was wir von revolutionären Bestrebungen antreffen, das ist nur die ricochettirende Kraft der ehemals geworfenen Kugeln, die nicht sogleich verglühen wollen. Die erstaunlichen Ereignisse, welche unsre Eltern erlebt haben, verhallen nach und nach, und dasjenige, was man für die Absicht einer Wiederholung derselben zu halten pflegt, oder was sich selbst dafür ausgibt, kann man nur mit dem Echo eines vorübergegangenen Gewitters vergleichen. Alle die Bewegungen, welche in Frankreich, Deutschland, Spanien und Jtalien eine Wiederholung der alten Revolution zu beabsichtigen schienen, waren sie etwas Anderes als natürliche Aeußerungen bei Völkern, die mehr als 20 Jahre hindurch vom Sturm der Zeit im Kreise gewirbelt wurden und (eine Nation gegen die andere) beinahe eben so lange die Waffen getragen hatten? Beweist die römische Geschichte nicht auf jeder Seite, wie sich die Armeen erst allmälig zu beruhigen pflegten, wenn sie geschlagen oder als Sieger aus den Feldzügen heimkehrten? Die revolutionären Kräfte relaxiren, die revolutionären Terminologien verlieren sich. Jst selbst die Julirevolution etwas Anderes gewesen, als der letzte Schlag eines Gewitters, eine in der Natur oft vorkommende Erscheinung, wo sich ein zurückgebliebener Rest von elektrischer Materie erst in dem Augenblicke entzündet, wo der Himmel schon wieder zu blauen beginnt?

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unserer Zeit. Es ist nicht wahr, daß eine Tendenz zur Revolution in unserm Jahrhundert liegt; im Gegentheil, was wir von revolutionären Bestrebungen antreffen, das ist nur die ricochettirende Kraft der ehemals geworfenen Kugeln, die nicht sogleich verglühen wollen. Die erstaunlichen Ereignisse, welche unsre Eltern erlebt haben, verhallen nach und nach, und dasjenige, was man für die Absicht einer Wiederholung derselben zu halten pflegt, oder was sich selbst dafür ausgibt, kann man nur mit dem Echo eines vorübergegangenen Gewitters vergleichen. Alle die Bewegungen, welche in Frankreich, Deutschland, Spanien und Jtalien eine Wiederholung der alten Revolution zu beabsichtigen schienen, waren sie etwas Anderes als natürliche Aeußerungen bei Völkern, die mehr als 20 Jahre hindurch vom Sturm der Zeit im Kreise gewirbelt wurden und (eine Nation gegen die andere) beinahe eben so lange die Waffen getragen hatten? Beweist die römische Geschichte nicht auf jeder Seite, wie sich die Armeen erst allmälig zu beruhigen pflegten, wenn sie geschlagen oder als Sieger aus den Feldzügen heimkehrten? Die revolutionären Kräfte relaxiren, die revolutionären Terminologien verlieren sich. Jst selbst die Julirevolution etwas Anderes gewesen, als der letzte Schlag eines Gewitters, eine in der Natur oft vorkommende Erscheinung, wo sich ein zurückgebliebener Rest von elektrischer Materie erst in dem Augenblicke entzündet, wo der Himmel schon wieder zu blauen beginnt?</p>
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[67/0095] unserer Zeit. Es ist nicht wahr, daß eine Tendenz zur Revolution in unserm Jahrhundert liegt; im Gegentheil, was wir von revolutionären Bestrebungen antreffen, das ist nur die ricochettirende Kraft der ehemals geworfenen Kugeln, die nicht sogleich verglühen wollen. Die erstaunlichen Ereignisse, welche unsre Eltern erlebt haben, verhallen nach und nach, und dasjenige, was man für die Absicht einer Wiederholung derselben zu halten pflegt, oder was sich selbst dafür ausgibt, kann man nur mit dem Echo eines vorübergegangenen Gewitters vergleichen. Alle die Bewegungen, welche in Frankreich, Deutschland, Spanien und Jtalien eine Wiederholung der alten Revolution zu beabsichtigen schienen, waren sie etwas Anderes als natürliche Aeußerungen bei Völkern, die mehr als 20 Jahre hindurch vom Sturm der Zeit im Kreise gewirbelt wurden und (eine Nation gegen die andere) beinahe eben so lange die Waffen getragen hatten? Beweist die römische Geschichte nicht auf jeder Seite, wie sich die Armeen erst allmälig zu beruhigen pflegten, wenn sie geschlagen oder als Sieger aus den Feldzügen heimkehrten? Die revolutionären Kräfte relaxiren, die revolutionären Terminologien verlieren sich. Jst selbst die Julirevolution etwas Anderes gewesen, als der letzte Schlag eines Gewitters, eine in der Natur oft vorkommende Erscheinung, wo sich ein zurückgebliebener Rest von elektrischer Materie erst in dem Augenblicke entzündet, wo der Himmel schon wieder zu blauen beginnt? Nein, wir haben die Revolution überwunden; sie ist

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Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/95>, abgerufen am 05.05.2024.