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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Gedanken nicht die Nagelprobe des Herzens, sondern die der Originalität bestehen; und kämpfen unter anderem deßhalb auch für die Todesstrafe. Sie beginnen mit dem Witze und hören mit der Mystik auf. Sie machen die Toleranz des Zeitalters gegen Diebe und Mörder lächerlich. Sie werden immer so anfangen: "O ihr armen Ravaillac, ihr armen Schächer, die ihr neben Christo hinget, warum habt ihr nicht mit euern großen Handlungen gewartet, bis euch die Humanität des neunzehnten Jahrhunderts bloß, statt auf das Schaffot, lebenslänglich auf die Galeere geschickt hätte! Und du Heiland selbst, warum unterließest du dein Evangelium zu predigen nicht bis dahin, wo es ohnehin gleich von der Aufklärung verbessert werden konnte, und zogst dein Lebenlang Schiffe am todten Meere, statt am Kreuze zu sterben?" Nachdem die Spötter sich dann in ihrem Witze erschöpft haben, kommen sie auf ihre Ausgleichungstheorien zurück, verurtheilen den weichlichen Sinn der Zeitgenossen und leiten das Uebrige, was ihnen noch fehlt, um im Terrorismus vollständig zu seyn, aus ihren Ansichten vom Staate her. Diese ganze Fraktion besteht aus Dilettanten, Pseudo-Originalen und Aesthetikern, welche mit der Abschaffung der Todesstrafe auch den Untergang der Tragödie befürchten. Läßt sich die Leidenschaft und die Phantasie widerlegen?

Besonnene Rechtslehrer haben die Frage über die Todesstrafe in die Nothwendigkeit und Zuläßigkeit

Gedanken nicht die Nagelprobe des Herzens, sondern die der Originalität bestehen; und kämpfen unter anderem deßhalb auch für die Todesstrafe. Sie beginnen mit dem Witze und hören mit der Mystik auf. Sie machen die Toleranz des Zeitalters gegen Diebe und Mörder lächerlich. Sie werden immer so anfangen: "O ihr armen Ravaillac, ihr armen Schächer, die ihr neben Christo hinget, warum habt ihr nicht mit euern großen Handlungen gewartet, bis euch die Humanität des neunzehnten Jahrhunderts bloß, statt auf das Schaffot, lebenslänglich auf die Galeere geschickt hätte! Und du Heiland selbst, warum unterließest du dein Evangelium zu predigen nicht bis dahin, wo es ohnehin gleich von der Aufklärung verbessert werden konnte, und zogst dein Lebenlang Schiffe am todten Meere, statt am Kreuze zu sterben?" Nachdem die Spötter sich dann in ihrem Witze erschöpft haben, kommen sie auf ihre Ausgleichungstheorien zurück, verurtheilen den weichlichen Sinn der Zeitgenossen und leiten das Uebrige, was ihnen noch fehlt, um im Terrorismus vollständig zu seyn, aus ihren Ansichten vom Staate her. Diese ganze Fraktion besteht aus Dilettanten, Pseudo-Originalen und Aesthetikern, welche mit der Abschaffung der Todesstrafe auch den Untergang der Tragödie befürchten. Läßt sich die Leidenschaft und die Phantasie widerlegen?

Besonnene Rechtslehrer haben die Frage über die Todesstrafe in die Nothwendigkeit und Zuläßigkeit

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[101/0103] Gedanken nicht die Nagelprobe des Herzens, sondern die der Originalität bestehen; und kämpfen unter anderem deßhalb auch für die Todesstrafe. Sie beginnen mit dem Witze und hören mit der Mystik auf. Sie machen die Toleranz des Zeitalters gegen Diebe und Mörder lächerlich. Sie werden immer so anfangen: "O ihr armen Ravaillac, ihr armen Schächer, die ihr neben Christo hinget, warum habt ihr nicht mit euern großen Handlungen gewartet, bis euch die Humanität des neunzehnten Jahrhunderts bloß, statt auf das Schaffot, lebenslänglich auf die Galeere geschickt hätte! Und du Heiland selbst, warum unterließest du dein Evangelium zu predigen nicht bis dahin, wo es ohnehin gleich von der Aufklärung verbessert werden konnte, und zogst dein Lebenlang Schiffe am todten Meere, statt am Kreuze zu sterben?" Nachdem die Spötter sich dann in ihrem Witze erschöpft haben, kommen sie auf ihre Ausgleichungstheorien zurück, verurtheilen den weichlichen Sinn der Zeitgenossen und leiten das Uebrige, was ihnen noch fehlt, um im Terrorismus vollständig zu seyn, aus ihren Ansichten vom Staate her. Diese ganze Fraktion besteht aus Dilettanten, Pseudo-Originalen und Aesthetikern, welche mit der Abschaffung der Todesstrafe auch den Untergang der Tragödie befürchten. Läßt sich die Leidenschaft und die Phantasie widerlegen? Besonnene Rechtslehrer haben die Frage über die Todesstrafe in die Nothwendigkeit und Zuläßigkeit

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/103>, abgerufen am 14.05.2024.