Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

die Schwierigkeit seiner Lage sieht. Das Alles sind so natürliche und einfache Sätze, daß man nicht begreift, wie die Wissenschaft noch eine Strafe vertheidigen kann, über welche das Gefühl längst schon den Stab gebrochen hat.

Wenn man das Strafrecht aus dem Contract social herleitet, so kann der Verbrecher von der Allgemeinheit doch immer nur unter dem Gesichtspunkte des Bürgers und nicht des Menschen betrachtet werden. Die Alten, welche das Staatsleben wahrlich in ihre innersten Nerven aufgenommen hatten, stellten die Verbannung so hoch, wie den Tod, und sagten, jene wäre so gut wie dieser capitis diminutio. Da wir nun eine allgemeine Völkermoral haben und das sittliche Leben anderer Nationen durch unsere eigenen Krankheiten anzustecken für schlecht halten, so haben wir, statt der Verbannung, Gefängnisse. Allein will man einmal die Strafe aus einem vorhergegangenen Uebereinkommen herleiten und sie als Maßregel der Politik hinstellen, so reichen die Hände des Staates doch nicht weiter, als bis zur Entziehung der politischen Freiheit, nicht über sie hinaus, bis zur Entziehung des menschlichen Daseyns. Wir können immer nur sagen: Wer das höchste Verbrechen begeht, den Mord, der ist keiner der Unsrigen mehr; wir würden ihn also verbannen müssen, wenn wir statt der Verbannung nicht die Gefängnisse eingeführt hätten. Dann möchte man auch wahrlich fragen, wozu soll dieses

die Schwierigkeit seiner Lage sieht. Das Alles sind so natürliche und einfache Sätze, daß man nicht begreift, wie die Wissenschaft noch eine Strafe vertheidigen kann, über welche das Gefühl längst schon den Stab gebrochen hat.

Wenn man das Strafrecht aus dem Contract social herleitet, so kann der Verbrecher von der Allgemeinheit doch immer nur unter dem Gesichtspunkte des Bürgers und nicht des Menschen betrachtet werden. Die Alten, welche das Staatsleben wahrlich in ihre innersten Nerven aufgenommen hatten, stellten die Verbannung so hoch, wie den Tod, und sagten, jene wäre so gut wie dieser capitis diminutio. Da wir nun eine allgemeine Völkermoral haben und das sittliche Leben anderer Nationen durch unsere eigenen Krankheiten anzustecken für schlecht halten, so haben wir, statt der Verbannung, Gefängnisse. Allein will man einmal die Strafe aus einem vorhergegangenen Uebereinkommen herleiten und sie als Maßregel der Politik hinstellen, so reichen die Hände des Staates doch nicht weiter, als bis zur Entziehung der politischen Freiheit, nicht über sie hinaus, bis zur Entziehung des menschlichen Daseyns. Wir können immer nur sagen: Wer das höchste Verbrechen begeht, den Mord, der ist keiner der Unsrigen mehr; wir würden ihn also verbannen müssen, wenn wir statt der Verbannung nicht die Gefängnisse eingeführt hätten. Dann möchte man auch wahrlich fragen, wozu soll dieses

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0112" n="110"/>
die Schwierigkeit seiner Lage sieht. Das Alles sind so natürliche und einfache Sätze, daß man nicht begreift, wie die Wissenschaft noch eine Strafe vertheidigen kann, über welche das Gefühl längst schon den Stab gebrochen hat.</p>
        <p>Wenn man das Strafrecht aus dem <hi rendition="#aq">Contract social</hi> herleitet, so kann der Verbrecher von der Allgemeinheit doch immer nur unter dem Gesichtspunkte des Bürgers und nicht des Menschen betrachtet werden. Die Alten, welche das Staatsleben wahrlich in ihre innersten Nerven aufgenommen hatten, stellten die Verbannung so hoch, wie den Tod, und sagten, jene wäre so gut wie dieser <hi rendition="#aq">capitis diminutio</hi>. Da wir nun eine allgemeine <hi rendition="#g">Völkermoral</hi> haben und das sittliche Leben anderer Nationen durch unsere eigenen Krankheiten anzustecken für schlecht halten, so haben wir, statt der Verbannung, Gefängnisse. Allein will man einmal die Strafe aus einem vorhergegangenen Uebereinkommen herleiten und sie als Maßregel der Politik hinstellen, so reichen die Hände des Staates doch nicht weiter, als bis zur Entziehung der politischen Freiheit, nicht über sie hinaus, bis zur Entziehung des menschlichen Daseyns. Wir können immer nur sagen: Wer das höchste Verbrechen begeht, den Mord, der ist keiner der Unsrigen mehr; wir würden ihn also verbannen müssen, wenn wir statt der Verbannung nicht die Gefängnisse eingeführt hätten. Dann möchte man auch wahrlich fragen, wozu soll dieses
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0112] die Schwierigkeit seiner Lage sieht. Das Alles sind so natürliche und einfache Sätze, daß man nicht begreift, wie die Wissenschaft noch eine Strafe vertheidigen kann, über welche das Gefühl längst schon den Stab gebrochen hat. Wenn man das Strafrecht aus dem Contract social herleitet, so kann der Verbrecher von der Allgemeinheit doch immer nur unter dem Gesichtspunkte des Bürgers und nicht des Menschen betrachtet werden. Die Alten, welche das Staatsleben wahrlich in ihre innersten Nerven aufgenommen hatten, stellten die Verbannung so hoch, wie den Tod, und sagten, jene wäre so gut wie dieser capitis diminutio. Da wir nun eine allgemeine Völkermoral haben und das sittliche Leben anderer Nationen durch unsere eigenen Krankheiten anzustecken für schlecht halten, so haben wir, statt der Verbannung, Gefängnisse. Allein will man einmal die Strafe aus einem vorhergegangenen Uebereinkommen herleiten und sie als Maßregel der Politik hinstellen, so reichen die Hände des Staates doch nicht weiter, als bis zur Entziehung der politischen Freiheit, nicht über sie hinaus, bis zur Entziehung des menschlichen Daseyns. Wir können immer nur sagen: Wer das höchste Verbrechen begeht, den Mord, der ist keiner der Unsrigen mehr; wir würden ihn also verbannen müssen, wenn wir statt der Verbannung nicht die Gefängnisse eingeführt hätten. Dann möchte man auch wahrlich fragen, wozu soll dieses

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/112
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/112>, abgerufen am 14.05.2024.