Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

größtentheils an Wärme des Gemüths, der Skepticismus hatte der knöchernen Orthodoxie gegenüber leichtes Spiel; er hatte den Witz, die Phantasie, die zur Hilfe geruf'ne empirische Wissenschaft für sich und war durch das allgemeine Zugeständniß gesichert, daß seine künstlerische Aeußerung in den verschiedenen Literaturen, die damals Geltung hatten, namentlich in der englischen und französischen, auch zugleich Epoche im Schriftenthum überhaupt machten. Die Sarkasmen Bayle's hatte Shaftesbury nach England übertragen und wie in Frankreich bald alles, was schrieb und dachte, in jener Denkungsart lebte, deren Koryphäen sogar in Deutschland an den Hof eines Königs als Paradestücke des Geschmacks und der Philosophie gerufen wurden, schossen auch in England feine und redegewandte Spötter nach einander auf, welche, schon die Grundlagen der Religion überhaupt verwirrend, dem Christenthum nun gar noch keine weitere philosophische Geltung zugestanden. Die innern Widersprüche der Bibel wurden aufgedeckt; zum Erstenmale fing man an, die volksthümlichen Elemente, Nationalvorurtheile und Traditionen aus vergangnen Zeiten in den Berichten des neuen Testamentes zu unterscheiden; das phantastische Gewand, die jüdisch-orientalische Schlacke, in welche sich die Erzählung vom Ursprung des Christenthums hüllte, wurde von ihr abgesondert und der übrig gebliebene Rest, mit dem man nichts anstellen kann, weil das innere Wesen

größtentheils an Wärme des Gemüths, der Skepticismus hatte der knöchernen Orthodoxie gegenüber leichtes Spiel; er hatte den Witz, die Phantasie, die zur Hilfe geruf’ne empirische Wissenschaft für sich und war durch das allgemeine Zugeständniß gesichert, daß seine künstlerische Aeußerung in den verschiedenen Literaturen, die damals Geltung hatten, namentlich in der englischen und französischen, auch zugleich Epoche im Schriftenthum überhaupt machten. Die Sarkasmen Bayle’s hatte Shaftesbury nach England übertragen und wie in Frankreich bald alles, was schrieb und dachte, in jener Denkungsart lebte, deren Koryphäen sogar in Deutschland an den Hof eines Königs als Paradestücke des Geschmacks und der Philosophie gerufen wurden, schossen auch in England feine und redegewandte Spötter nach einander auf, welche, schon die Grundlagen der Religion überhaupt verwirrend, dem Christenthum nun gar noch keine weitere philosophische Geltung zugestanden. Die innern Widersprüche der Bibel wurden aufgedeckt; zum Erstenmale fing man an, die volksthümlichen Elemente, Nationalvorurtheile und Traditionen aus vergangnen Zeiten in den Berichten des neuen Testamentes zu unterscheiden; das phantastische Gewand, die jüdisch-orientalische Schlacke, in welche sich die Erzählung vom Ursprung des Christenthums hüllte, wurde von ihr abgesondert und der übrig gebliebene Rest, mit dem man nichts anstellen kann, weil das innere Wesen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0142" n="140"/>
größtentheils an Wärme des Gemüths, der Skepticismus hatte der knöchernen Orthodoxie gegenüber leichtes Spiel; er hatte den Witz, die Phantasie, die zur Hilfe geruf&#x2019;ne empirische Wissenschaft für sich und war durch das allgemeine Zugeständniß gesichert, daß seine künstlerische Aeußerung in den verschiedenen Literaturen, die damals Geltung hatten, namentlich in der englischen und französischen, auch zugleich Epoche im Schriftenthum überhaupt machten. Die Sarkasmen <hi rendition="#g">Bayle</hi>&#x2019;s hatte <hi rendition="#g">Shaftesbury</hi> nach England übertragen und wie in Frankreich bald alles, was schrieb und dachte, in jener Denkungsart lebte, deren Koryphäen sogar in Deutschland an den Hof eines Königs als Paradestücke des Geschmacks und der Philosophie gerufen wurden, schossen auch in England feine und redegewandte Spötter nach einander auf, welche, schon die Grundlagen der Religion überhaupt verwirrend, dem Christenthum nun gar noch keine weitere philosophische Geltung zugestanden. Die innern Widersprüche der Bibel wurden aufgedeckt; zum Erstenmale fing man an, die volksthümlichen Elemente, Nationalvorurtheile und Traditionen aus vergangnen Zeiten in den Berichten des neuen Testamentes zu unterscheiden; das phantastische Gewand, die jüdisch-orientalische Schlacke, in welche sich die Erzählung vom Ursprung des Christenthums hüllte, wurde von ihr abgesondert und der übrig gebliebene Rest, mit dem man nichts anstellen kann, weil das innere Wesen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0142] größtentheils an Wärme des Gemüths, der Skepticismus hatte der knöchernen Orthodoxie gegenüber leichtes Spiel; er hatte den Witz, die Phantasie, die zur Hilfe geruf’ne empirische Wissenschaft für sich und war durch das allgemeine Zugeständniß gesichert, daß seine künstlerische Aeußerung in den verschiedenen Literaturen, die damals Geltung hatten, namentlich in der englischen und französischen, auch zugleich Epoche im Schriftenthum überhaupt machten. Die Sarkasmen Bayle’s hatte Shaftesbury nach England übertragen und wie in Frankreich bald alles, was schrieb und dachte, in jener Denkungsart lebte, deren Koryphäen sogar in Deutschland an den Hof eines Königs als Paradestücke des Geschmacks und der Philosophie gerufen wurden, schossen auch in England feine und redegewandte Spötter nach einander auf, welche, schon die Grundlagen der Religion überhaupt verwirrend, dem Christenthum nun gar noch keine weitere philosophische Geltung zugestanden. Die innern Widersprüche der Bibel wurden aufgedeckt; zum Erstenmale fing man an, die volksthümlichen Elemente, Nationalvorurtheile und Traditionen aus vergangnen Zeiten in den Berichten des neuen Testamentes zu unterscheiden; das phantastische Gewand, die jüdisch-orientalische Schlacke, in welche sich die Erzählung vom Ursprung des Christenthums hüllte, wurde von ihr abgesondert und der übrig gebliebene Rest, mit dem man nichts anstellen kann, weil das innere Wesen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/142
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/142>, abgerufen am 14.05.2024.